Krüppel und Verwundete passen nicht ins Bild

Der Irakkrieg hat auf Seiten der US-Armee nicht nur Todesopfer, sondern auch rund 9.000 Schwerverletzte gefordert. Um die Unterstützung für den Einsatz nicht zu schwächen, versuchen Behörden, die Berichterstattung zu behindern.

Der Irakkrieg hat auf Seiten der US-Streitkräfte nicht nur Todesopfer, sondern auch rund 9.000 Schwerverletzte gefordert. Um die Unterstützung für den Einsatz nicht zu schwächen, versuchen Behörden, die Berichterstattung zu behindern. Christoph Grabenheinrich informiert aus Washington.

Foto: AP
Amerikanische Soldaten beim Abtransport von Verwundeten

​​Die riesigen C-17 Transportmaschinen landen ohne großes Aufsehen, meist nachts. Mehrmals in der Woche fliegen sie die Andrews Air Force Base an, den Militärflughafen in der Nähe von Washington. Fast immer voll beladen. Ihre Fracht: Verwundete und erkrankte US-Soldaten aus dem Irak. "Willkommen zu Hause!", werden sie begrüßt, während sie auf Metall-Pritschen aus dem Bauch des Flugzeugs getragen werden.

Schwer Verwundete werden sofort vor Ort weiter behandelt, andere auf die Militärkrankenhäuser im Land verteilt. Lange waren die Intensivstationen dort bis aufs das letzte Bett belegt, das medizinische Personal arbeitete unter Hochdruck, rund um die Uhr. Zwischenzeitlich mussten Verwundete sogar in Hotels untergebracht werden.

Selbst erfahrene Ärzte wie Dr. Rummond können die Geschichten der Verletzten oft nur schwer verarbeiten. Vom Kampf gegen die eigenen Tränen erzählt er und davon, dass er erst lernen musste mit all dem Elend umzugehen: "Viele von ihnen sind für den Rest ihres Lebens versehrt, können nie wieder ein normales Leben führen."

Verwundete sind kaum eine Meldung wert

Die amerikanische Öffentlichkeit bekommt davon kaum etwas mit. Während über die stetig steigende Zahl der Toten in den Medien regelmäßig berichtet wird, sind die Verwundeten höchstens eine kurze Meldung wert.

Und das in der Regel nur dann, wenn es bei einem Angriff auch Tote gegeben hat. Interviews vom Krankenbett, die gezeichneten Gesichter der verletzten Soldaten, der Schmerz der Angehörigen, quälende Wochen in den Reha-Kliniken, das Anpassen von Prothesen oder Glasaugen – all das sind Bilder, die es im Fernsehen so gut wie nicht zu sehen gibt.

"Verwundete zu zeigen, oder deren Angehörige zu interviewen, das wäre verhängnisvolle PR für Bushs Krieg", urteilt Medienkritiker Norman Solmon. "Die Verletzten werden ausgeblendet, da ihre Existenz die amerikanische Öffentlichkeit zu sehr deprimieren würde. Sie sind zu real, ihre Geschichten wären für die Zuschauer kaum oder nur sehr schwer zu ertragen."

Solmon hat sich bereits als Autor zu diesem Thema zu Wort gemeldet. In dem Buch "Target Iraq. What the News Media Didn’t Tell You" legte er den Finger auf eine offene Wunde.

Zweifel an der Unabhängigkeit amerikanischer Medien

Todd Ensign, Direktor von "Citizen Soldier", einer Interessenvertretung für amerikanische Soldaten, geht in seiner Einschätzung noch weiter: "Die Verwundeten hinterlassen einen schlechten Beigeschmack.

Foto: AP
US-Truppen im Irak-Krieg

​​Die Tatsache, dass es so viele sind, zeigt doch deutlich, dass die Irak-Politik völlig fehlgeschlagen ist. Die Medien haben kein Interesse an solchen Geschichten. Im Großen und Ganzen werden sie von Unternehmen kontrolliert und dominiert, die in Einklang mit der Politik der Bush-Regierung stehen."

Fragt man die Menschen auf der Straße vor dem Kapitol in der Hauptstadt wird schnell deutlich, wie wenig die Amerikaner über die menschlichen Kosten des Militäreinsatzes wissen. Drei Dutzend Fragen, drei Dutzend Antworten, die alle an der Realität weit vorbeigehen. Einige hundert Verwundete und schwer Erkrankte, höchstens ein bis zwei Tausend, so die Schätzungen.

Tatsächlich wurden aber bereits über 9.000 verletzte und erkrankte Soldaten aus dem Irak ausgeflogen. Angriffe auf US-Truppen sind weiterhin blutige alltägliche Realität im Nachkriegs-Irak. Die Folgen sind verheerend. "Amputationen gehörten lange zur Tagesordnung", so Sergeant DeLaune, der den Rücktransport der Verwundeten organisiert und mittlerweile recht abgestumpft ist.

Zu oft hat er mitbekommen, wie seine Kameraden halb zerfetzt von einem Einsatz zurück gebracht wurden. "Sie kommen hier her, sie sind 19, 20 Jahre alt, und wenn sie sich auf die Heimreise machen, dann oft ohne Gliedmaße. Ich habe Soldaten gesehen, denen gleich drei davon amputiert werden mussten. Unsere Generation hat es noch nicht erlebt, dass jungen Menschen solch immenser Schaden zugefügt wurde."

Heim gebracht werden dabei nur die ganz schweren Fälle, alle anderen werden im Irak behandelt.

Verschleierungstaktik der Behörden

9.000 – eine Zahl, für deren offizielle Bestätigung man viel Geduld mitbringen muss. Das Militär spricht nicht gerne darüber. Nicht Nachrichtensperre, aber doch Verschleierungstaktik. Am Telefon wird man wochenlang hin und her verwiesen. Vom Pentagon zum zentralen Einsatzkommando und zurück – niemand ist zuständig.

Pentagon-Sprecher Turner gibt an, das Einsatzkommando sei für die Auswertung solcher Details zuständig. Dessen Sprecher Mitchell erklärt hingegen, die Zahlen würden täglich zum Verteidigungsministerium geschickt. Auskunft gibt es schließlich bei der Armee. Dort sind zumindest grobe Zahlen erhältlich, allerdings ohne Auskunft, wie diese Zahlen aufzuschlüsseln und zu bewerten sind.

Wer wissen will, wie viele Soldaten lebenslänglich versehrt sind, wie viele schwere Gehirnschäden haben oder erblindet sind, wie vielen Arme oder Beine amputiert wurden, der recherchiert vergeblich. Zuständig ist das US Medical Command. Aber dort werden die Zahlen offiziell noch bearbeitet.

Peter Feaver kann da nur zynisch lachen. Der Professor für Politikwissenschaft forscht an der Duke Universität über die menschlichen Kosten des Militäreinsatzes im Irak. "Ich bin mir sicher, detaillierte Informationen sind vorhanden. Irgendwo in den riesigen Datenbanken des Pentagon. Offensichtlich sind sie nur noch nicht zu Veröffentlichung frei gegeben."

Eigenes politisches Lager beklagt "große Glaubwürdigkeitslücke"

Selbst der republikanische Senator Chuk Hagel fischt im Trüben. Er hatte einen ausführlichen Fragenkatalog ans Pentagon geschickt, musste sechs Wochen auf eine für ihn unbefriedigende Antwort warten: Die angeforderten Informationen lägen noch nicht vor. "Erstaunlich", findet Hagel. "Vor allem für technisch so hoch gerüstete und per Computer komplett vernetzte Streitkräfte. Ich will niemanden der Lüge bezichtigen, aber eine große Glaubwürdigkeitslücke sehe ich schon."

Hagel ist sauer: "Die Bevölkerung bezahlt schließlich dafür und opfert ihre Soldaten. Die Menschen haben ein Recht darauf, endlich Details zu erfahren. Ohne die können die wahren Kosten des Krieges gar nicht abgeschätzt werden." Bushs Parteifreund ist sich sicher, die Unterstützung für den Militäreinsatz könnte schnell weiter abnehmen, wenn man die Öffentlichkeit über das wahre Ausmaß der Gefahren und andauernden Komplikationen im Irak informieren würde.

Aus den Augen aus dem Sinn…

An manchen Tagen werden dutzende Soldaten verwundet und trotzdem nimmt kaum jemand Notiz. Eine vergessene Geschichte des Krieges, urteilt die Washington Post. Aus den Augen aus dem Sinn, so kritisieren Kriegsgegner die Haltung von Medien und Bevölkerung.

Die Verwundeten müssen derweil lernen, mit ihrem Leben irgendwie zurechtzukommen. Es ist schwer, sich an ein Leben nach dem Krieg zu gewöhnen. Hinzu kommen bürokratische Hürden.

Einige müssen hart darum kämpfen, als Kriegsversehrte anerkannt zu werden oder um medizinische Nachbehandlung finanziert zu bekommen. "Ich will ja keine Sonderbehandlung oder irgendwelche Orden", klagt ein Soldat der anonym bleiben will, "aber dass wir völlig ignoriert werden, hilft weder uns noch der Gesellschaft."

Senator Hagel zieht ein ähnliches Fazit: "Während des Vietnam-Kriegs ist wahrlich genug gelogen worden."

Christoph Grabenheinrich, © Qantara.de 2004