Auf der Suche nach den moderaten Taliban

Die Überlegungen von US-Präsident Obama, mit dem gemäßigten Flügel der Taliban in Verhandlungen zu treten, haben möglicherweise eine überraschende Wende genommen. Einzelheiten von Martin Gerner aus Herat

Die Überlegungen von US-Präsident Obama, mit dem gemäßigten Flügel der Taliban in Verhandlungen zu treten, haben möglicherweise eine überraschende Wende genommen. Nachdem aus dem Umfeld von Mullah Omar zunächst eine kategorische Absage kam, scheinen sich die Taliban jetzt gesprächsbereit zu zeigen. Martin Gerner berichtet aus Herat.

Taliban-Befehlshaber Qari Bashir im Gespräch mit Medienvertretern; Foto: AP
Experten halten es heute für ein Versäumnis, dass die internationale Gemeinschaft nicht versucht hat, moderate Taliban nach dem Sturz des Regimes Ende 2001 einzubinden, wie z.B. auf der Petersberger Konferenz.

​​"Mullah Omar hat grünes Licht gegeben", erklärte ein Vermittler auf Taliban-Seite gegenüber der britischen Sunday Times. "Es ist ein bedeutender Schritt. Erstmals gibt es ein Friedensbekundungen auf beiden Seiten", so Abdullah Anas.

Allem Anschein nach haben die Akteure der strategischen Geheimgespräche zwischen Taliban und afghanischer Regierung in den vergangenen Monaten in Saudi-Arabien die Avance Obamas positiv aufgenommen.

Sollte sich dieser Bericht bestätigen, hätten die von den Briten unterstützten und von der US-Regierung geduldeten Verhandlungen eine neue Grundlage.

Zwischen Optimismus und Skepsis

"Ich habe mich mit Vertretern der Taliban in den vergangenen fünf Tagen getroffen und ich kann sagen, dass die Worte Obamas einen enormen Optimismus verbreitet haben", so Qayum Karsai, Bruder des amtierenden Präsidenten. Es gebe keinen anderen Ausweg als Gespräche.

Gleichwohl: die afghanische Bevölkerung bleibt skeptisch. "Afghanistans Politiker sollten wissen, dass die Menschen keine Rückkehr der Taliban an die Macht wollen", so Massood, ein bekannter Fernsehmoderator.

Flüchtlinge aus Helmand in einem Lager bei Kabul; Foto: Martin Gerner
Flucht vor Taliban und Luftangriffen der NATO: Flüchtlinge aus Helmand in einem Lager bei Kabul

​​ "Wenn Obama 'Ja' zu Gesprächen sagt, dann kann das zweierlei bedeuten: zum einen zuzugeben, dass man die Taliban braucht, um ein besseres Ergebnis abzuliefern, und zweitens ist dies ein beschämender Rückschlag für alle demokratischen Bemühungen."

Abdullah, ein Tadschjike und Nachwuchspolitiker, der jahrelang jegliche Gespräche zwischen Regierung und Taliban misstrauisch verfolgt hat, meint inzwischen:

"Wir müssen mit diesen Leuten reden. Sicher sympathisieren große Teile der Paschtunen, besonders im Süden, mit den Taliban. Wenn sie akzeptieren, dass es nicht darum geht, das ganze Staatswesen zu kippen und die Menschen unter Zwang zu setzen, dann gibt es keine Alternative, sie an der Macht zu beteiligen."

Erkennbare Widersprüche

Die Überlegungen Obamas scheinen angesichts des Eingeständnisses, den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen zu können, ohne Alternative. Widersprüche sind gleichwohl erkennbar. So hat die US-Diplomatie das jüngste Abkommen zwischen pakistanischen Taliban und der Regierung in Islamabad in der Unruheprovinz Swat kritisiert.

Das Swat-Tal; Foto: DW
Einst für seinen Tourismus bekannt, nun von militanten Taliban-Kämpfern beherrscht - das Swat-Tal gilt als Hochburg der radikalen, sunnitischen Milizen.

​​ Nach Meinung von Ahmed Rashid, Autor des Bestsellers 'Taliban', ermöglicht dies den Taliban, sich in Ruhe für den Kampf in Afghanistan aufzustellen.

Der Kreis um Mullah Omar ist gleichwohl nur ein Akteur der Bewegung.
Tatsächlich sind die Taliban eine äußerst heterogene Bewegung. Obamas Chance könnte darin liegen lokale, nicht-ideologisierte Führer des Aufstands in den politischen Aufbau-Prozess einzubeziehen. Die Hoffnung ist, die Führung der radikalen Taliban so Schritt für Schritt zu isolieren.

Auch 17.000 zusätzliche US-Soldaten erscheinen vor dem Hintergrund von Obamas Schritt als widersprüchlich. Experten meinen, die US-Regierung wolle aus einer Position der Stärke mögliche Verhandlungen führen – was aber dazu führen könnte, dass die radikalen Talibangruppen sich ebenfalls auf harte kriegerische Auseinandersetzungen einstellen.

Warten auf neue Strategien

Beobachter fordern indessen Mindeststandards im Fall von Verhandlungen: so sollen die Taliban Abstand nehmen von Terroranschlägen und die afghanische Verfassung inklusive der gleichberechtigten Stellung der Frau akzeptieren.

Im Gegenzug könnte es Straffreiheit für einen Teil der Aufständischen geben. Ein entsprechendes staatliches Programm gibt es bereits seit Jahren. Auch sitzt ein knappes Dutzend ehemaliger Taliban im afghanischen Parlament.

Derweil wartet die Welt auf die neue US-Strategie für Afghanistan: Ein oft undifferenziert geführter und strategisch nicht ausgeklügelter Anti-Terrorkampf des US-Militärs in den vergangenen sieben Jahren macht es selbst nach Aussagen von Diplomaten wie Entwicklungshelfern den Aufständischen schwer, die Waffen niederzulegen.

Längst sind auch die übrigen NATO-Länder in die neue, aggressive Strategie miteinbezogen, bei der immer mehr zivile Opfer zu beklagen sind. Die zivilen Helfer bekommen die Folgen zu spüren: Es wird ihnen zunehmend unmöglich, in Gegenden zu operieren, in denen internationales Militär operiert, und sei es kurzzeitig.

Dass die Taliban weiterhin an Einfluss gewinnen, liegt vor allem an der bisherigen Unfähigkeit der Karsai-Regierung und der Geberländer, die Lage der ländlichen Bevölkerung merklich zu verbessern. Deutlich mehr Beschäftigung würde zugleich mehr Sicherheit bedeuten. So aber sind Korruption und Arbeitslosigkeit ein stetiger Nährboden der Aufstandsbewegung.

Ein Grund der heutigen Misere liegt außerdem im Petersberger Abkommen: Damals wurden die Taliban vom Verhandlungstisch ausgeschlossen. Einen Schritt, den die maßgebenden Akteure von damals heute als Fehler bezeichnen.

Martin Gerner

© Qantara.de 2009

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