Pakt mit dem Teufel

Pakistan soll für die USA ein Bollwerk im Krieg gegen den Terror sein. Doch das funktioniert nicht, da Präsident Pervez Musharraf selbst auf die Islamisten im eigenen Land angewiesen ist. Von Bernard Imhasly

Pakistans Präsident Musharraf und US-Präsident Bush; Foto: AP
Die USA gingen nach 9/11 das realpolitisch einzig mögliche Risiko ein: einen tief gespaltenen Staat zu einem Kernelement ihrer Strategie im Antiterrorkrieg zu machen, schreibt Bernard Imhasly

​​In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad kursierte nach der Invasion in Irak das böse Wort, die USA seien ein Opfer der schlechten Geografiekenntnisse ihres Präsidenten geworden. Denn wollte George W. Bush nicht den Diktator stürzen, der Massenvernichtungswaffen besaß, die Demokratie knebelte, seine Nachbarn bedrängte, Al-Qaida-Zellen tolerierte und islamische Fundamentalisten förderte?

Der einzige Staat, auf den alle diese Kriterien zutrafen, war aber nicht Irak, sondern ein Land etwas weiter östlich namens Pakistan.

Doch dummerweise war eben dieser Staat der vielleicht wichtigste Alliierte Washingtons im Kampf gegen den islamischen Terror. Die USA gingen nach 9/11 das realpolitisch einzig mögliche Risiko ein: einen tief gespaltenen Staat zu einem Kernelement ihrer Strategie im Antiterrorkrieg zu machen.

Fünf Jahre nach der historischen Zäsur von 2001 zeigt sich, dass die Pakistan-Gleichung nicht aufgegangen ist.

Tauschhandel mit Islamisten

Pakistans Präsident Pervez Musharraf versprach damals beflissen eine "echte Demokratie". Doch bereits ein Jahr später ließ er sich in einer offensichtlich gefälschten Wahl zum Präsidenten für fünf Jahre wählen. Er versprach weiter einen "gemäßigten Islam" und die Ausrottung des islamischen Fundamentalismus.

Gleichwohl ließ er sich kurz darauf auf einen faustischen Tauschhandel mit diesem ein. Gestützt auf die Islamisten der Partei MMA, ließ er die Verfassung ändern, um sowohl Präsident wie Armeechef bleiben zu können.

Musharraf konnte diese Übung in "gelenkter Demokratie" unter den Augen der USA durchführen, die ein weiteres Jahr später einen Krieg entfesselten, um in Irak eine "echte" Demokratie zu errichten.

Doch hat Musharraf zumindest seinen Teil des Versprechens eingelöst und das Al-Qaida-Netzwerk sowie die Taliban-Infrastruktur im eigenen Land zerstört? Fünf Jahre nach dem 11. September sitzen die populärsten drei Politiker des Landes immer noch im Exil, und die Islamistenpartei MMA regiert in den zwei strategisch wichtigen Grenzprovinzen zu Afghanistan.

Erstarken der Taliban

Die Reform und Registrierung der Koranschulen, der Madrassen, ein Kernstück von Musharrafs Reformpolitik, ist kaum vom Fleck gekommen.

Der Grund: In der Nordwestprovinz, wo die meisten Ausbildungsmadrassen für die Gotteskrieger - seien es Dschihadi, seien es Taliban - liegen, ist die islamistische MMA (Muttahida Majlis-e-Amal, islamistische Allianz, Anm.d.Red.) an der Macht.

Die Infiltration der Taliban nach Afghanistan hat ein solches Ausmaß angenommen, dass die von den USA geführte Anti-Terror-Streitmacht im Süden Afghanistans an die Grenze zu Pakistan abkommandiert werden musste.

Die neue Taliban-Generation ist ein wichtiger Grund für die anhaltende Instabilität des Nachbarlandes fünf Jahre nach dessen Befreiung.

Auch der Versuch, den gewaltbereiten Dschihadi-Untergrund zu liquidieren und gleichzeitig mit der MMA zu paktieren, erwies sich für Musharraf als ein zu großer Spagat. Bei allen sechs schweren Terrorattentaten (oder Attentatsplänen) seit 9/11 - Madrid, London, Bali, London, Bombay, Delhi - führten Spuren nach Pakistan.

Der wichtigste MMA-Politiker ist Fazlur Rahman, der eine große Zahl von Madrassen in der Nordwestprovinz beherrscht und sie 2001 den ausländischen Medien stolz als Ausbildungsstätten der afghanischen Taliban vorgeführt hatte.

Kein Vorgehen gegen Islamisten

Rahman verurteilt im Parlament von Islamabad Musharraf zwar als "Diktator", hat aber bisher die Konsolidierung von dessen Macht mitgemacht. Aus Sorge um seine eigene Machtbasis hat es Musharraf daher nicht gewagt, frontal gegen die terrorverdächtigen Organisationen vorzugehen, obwohl diese ihm den Kampf angesagt haben - und ihn zweimal beinahe ums Leben brachten.

In der MMA-regierten Nordwestprovinz bestehen immer noch Ausbildungslager für "kaschmirische" Befreiungsorganisationen, die Verbindungen unterhalten zu mutmaßlichen Geldgebern der Londoner Attentats-Planer. Dieses Kaschmir-Engagement ist ein weiterer Grund für das Weiterbestehen von Terrorzellen in Pakistan.

Die alte Feindschaft mit Indien ist unter dem Eindruck des weltweiten Terrors einer größeren Friedensbereitschaft auf beiden Seiten gewichen.

Doch die Fortschritte waren bisher zu gering, als dass Musharraf den Sprung über den Schatten gewagt und das kaschmirische Untergrundnetzwerk aufgelöst hätte - wenn es die Armee ihm denn erlaubt hätte.

Islamistische Infrastruktur

Solange die Armee an der politischen Rechtfertigung des bewaffneten Widerstands gegen Indien festhält, werden auch Al-Qaida-Zellen darin Unterschlupf finden - und wird eine saubere Trennung in "gute" und "schlechte" Dschihadis nicht möglich sein.

Jüngsten Medienberichten zufolge bestehen die Ausbildungscamps für Kaschmirkämpfer in der Nordwestprovinz weiter. Zwar wurde ihnen offenbar der Geldhahn zugedreht - aber die islamistischen Kader sind immer noch anwesend.

Bleibt die Frage: Hat die Aufnahme von Musharrafs Militärregime in die Anti-Terror-Koalition deren Zielsetzung genützt oder geschadet?

Es war wohl ein Nullsummenspiel. Die Allianz mit Musharraf konnte verhindern, dass der Atomwaffenstaat Pakistan noch stärker destabilisiert wurde und in einer Koalition von Generälen und Mullahs endete.

Doch der Preis dafür war hoch: Die radikale islamistische Infrastruktur existiert weiter, in Form der afghanischen Taliban und des eigenen Untergrunds.

Bernard Imhasly

© die tageszeitung, 2006

Qantara.de

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