Tödlicher Staub bleibt Tabu

Dass die amerikanische und britische Armeen im Irak Uranmunition eingesetzt haben, ist unstrittig. Die Folgen der Uranverseuchung und schwere Fehlbildungen bei Neugeborenen werden von den USA geleugnet und von der Weltöffentlichkeit ignoriert. In der Stadt Basra ist die Belastung am Höchsten. Von Birgit Svensson

Von Birgit Svensson

Es ist genauso wie vor zehn Jahren. Heftige Sandstürme fegen über die versteppten Flächen im Süden Iraks. Die Palmenwedel entlang des Schatt al-Arab, dem Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, neigen sich dem Boden entgegen und riskieren abzubrechen. Staubpartikel zwängen sich auch durch die kleinsten Ritzen der Häuser. Als die amerikanischen und britischen Truppen am 20. März 2003 in den Irak einmarschierten und am 9. April Bagdad einnahmen, machten die Einwohner des Zweistromlandes die Panzer der „Koalition der Willigen“ für die Stürme verantwortlich. Die Militärfahrzeuge wirbelten den Sand auf, hieß es damals. Wer heute die Schuld trägt, ist noch nicht entschieden.

40 Kilometer südlich von Nasserija in Richtung Basra wird der Krieg anschaulich. Und Kriege gab es unter Saddam Hussein reichlich. Wie keine andere Stadt im Irak hat Basra sie alle durchleben müssen – gegen Iran, gegen Kuwait und gegen die Amerikaner. Rechts an der Autobahn von Bagdad lässt sich auch heute noch ein großes Schlachtfeld ausmachen: ausgebrannte Panzer, Humvees und Artillerie-Fahrzeuge liegen verrostet in großer Zahl herum. Der trockene Wüstenwind hat sie leicht zugedeckt und konserviert. Die meisten stammen von 1991, als alliierte Truppen unter dem Oberkommando der USA die irakische Armee aus Kuwait vertrieben. Auch im Frühjahr 2003 stießen Amerikaner und Briten hier im Süden auf den heftigsten Widerstand. Im Rest des Landes ergab sich die irakische Armee nahezu kampflos. Lediglich vom Terror der letzten Jahre wurde Basra weniger heimgesucht als Bagdad, Mosul oder Kirkuk.

Erste Studien

Auch in Basra wird über die Uranverseuchung geschwiegen. Zudem sind die Bewohner Basras permanenten Umweltschäden wie kontaminierten Böden, verseuchtem Wasser und Luftverschmutzung ausgesetzt.

„Hier verläuft auch die Linie der Uranverseuchung“, kommentiert ein Arzt aus Basra die liegengebliebenen Trümmer auf dem Wüstenboden. „Ab hier bis zum Golf haben wir erhöhte Strahlung.“ Der Arzt rät, von den Militärfahrzeugen fern zu bleiben. Denn sie seien es, die die Strahlung auf den Menschen übertragen. Doch viele hätten dies nicht gewusst und die Erkenntnis komme zu spät. Erst in den letzten beiden Jahren habe es eindeutige Untersuchungen von unabhängigen Institutionen dazu gegeben.

Im November 2012 veröffentlichte das Heidelberger Fachblatt „Bulletin of Environmental Contamination and Toxicology“ eine Studie, wonach sich die Zahl der angeborenen Fehlbildungen in Basra zwischen 1994 und 2003 versiebzehnfacht habe. 23 von 1000 Lebendgeburten wiesen Missbildungen auf. Nie zuvor sei jemals eine so hohe Rate an Neuralrohrdefekten (offener Rücken) bei Babys gemessen worden wie in Basra, und die Zahl steige weiter an. Die Zahl von Hydrozephalus-Fällen (Wasserkopf) unter Neugeborenen sei sechsmal so hoch wie in den USA.

D.U. (Depleted Uranium) – Uranmunition – ist ein heikles Thema im Irak. Nicht jeder Arzt in Basra will sich dazu äußern, geschweige denn seinen Namen nennen. Die Diskussion wird schwieriger dadurch, dass angebliche Verstrahlung durch die Reste panzerbrechender Uranmunition ein beliebtes Thema der Propaganda von Saddam Hussein nach dem Zweiten Golfkrieg war, als George Bush senior im Weißen Haus regierte. In den USA hat es bislang keinen Artikel in einer größeren Zeitung über die genetischen Erkrankungen in Falludscha gegeben und auch über Basra hält man sich bedeckt.

Der britische „Guardian“ indes kritisiert das Schweigen des Westens als moralisches Versagen und zitiert den Chemiker Chris Busby, dem zufolge es sich in Basra um die „höchste Rate an genetischen Schäden handelt, die je an einer Bevölkerungsgruppe untersucht worden ist“. Busby ist Mitverfasser zweier Studien zum Thema. Im Dezember berichtete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ von der wohl bislang umfangreichsten Studie zum Thema, die die Londoner Royal Society 2002 vorgestellt hat. Allerdings nur zu den möglichen Gefährdungen von Soldaten. Demnach sei das Risiko von Strahlungsschäden „sehr niedrig“, die Gefahr von dauerhafter Nierenvergiftung durch Uran-Staub ebenso.

Blei, Quecksilber und krebserregende Rußwolken

Eine Studie wies nach, dass zwischen 1994 und 2003 die Zahl der angeborenen Fehlbildungen sich versiebzehnfacht hat.

Unstrittig ist inzwischen, dass sowohl Amerikaner als auch Briten Uranmunition im Irak verwendet haben. Als D.U. werden Geschosse bezeichnet, deren Legierung oder Kern aus „abgereichertem“, schwach radioaktivem Uran gefertigt ist. Dieser Kern verleiht dem Geschoss wegen seiner besonderen Schwere eine sehr hohe Wucht und lässt es die Panzerung von Kampfpanzern durchschlagen. Bei der Explosion von D.U. entsteht Uran-Feinststaub.

Wenn Kinder zum Beispiel in der Nähe von Panzerwracks spielen, können sie diesen Staub aufnehmen, durch die Haut, den Mund, die Atemwege. Bereits 2002 hat eine Studie der Universität Bremen Chromosomen-Veränderungen bei Golfkriegsveteranen festgestellt, die in Kontakt mit Uran-Munition gekommen waren. Im Bezirk Basra ist Uran-Munition zweimal eingesetzt worden: während des Zweiten Golfkriegs 1991, außerhalb der Stadt. Und 2003, diesmal auch im Stadtgebiet, als britische Truppen von Westen zum Flughafen vorrückten. West-Basra ist auch der Stadtbezirk mit der höchsten Leukämierate unter Kleinkindern.

Das Uran mag verdächtig sein für Krebserkrankungen und Missbildungen. Aber es gibt auch andere Stoffe: giftige Schwermetalle wie Blei und Quecksilber, die bei der Produktion von Munition und Bomben auch verwendet werden. „Die Bombardierung von Basra und Falludscha kann die Belastung der Bevölkerung durch Metalle verschärft haben, mit dem möglichen Ergebnis des gegenwärtigen Anstiegs von Geburtsfehlern“, heißt es in der Heidelberger Studie. 2003 war das Rumaila-Ölfeld bei Basra in Brand gesteckt worden, und die Stadt lag unter einer Rußwolke, voll krebserregender Partikel. Zudem sind die gut zwei Millionen Einwohner von Iraks drittgrößter Stadt permanenten Umweltschäden ausgesetzt, wie kontaminierten Böden, verseuchtem Wasser und einer beständig zunehmenden Luftverschmutzung.

Wo bleiben die Einnahmen vom Öl?

Eigentlich ist Basra die reichste Stadt Iraks und könnte sich längst sauberes Wasser, 24 Stunden Strom, intakte Straßen und eine funktionierende Müllabfuhr leisten. Doch nichts dergleichen. Zwei Brücken, ein neues Krankenhaus und ein weiterer Universitätscampus ist alles, was in den letzten zehn Jahren hier entstanden ist. An einer Sport-City wird seit Jahren gebaut, ohne dass ein Fertigstellungsdatum eingehalten wird. Einzig das ehemalige Hotel Sheraton, das zunächst durch Bomben beschädigt, dann geplündert und schließlich in Brand gesteckt wurde, ist wieder aufgebaut.

Doch rings herum um den klobigen Betonkasten an der Uferstraße am Schatt al-Arab liegen Berge von Müll, fließen Abwässer zu Seen zusammen und haben Seitenstraßen Schlaglöcher zum Beine brechen. Geht man die Watan-Straße entlang, die ehemalige Vergnügungsstraße Basras, wird das Bild noch düsterer. Häuser, die früher Kinos, Nachtclubs und Casinos beherbergten, stehen leer und verfallen. Die billigen Schawarma-Schnellimbissläden sehen nicht gerade einladend aus und die zumeist jungen Männer, die dort herumlungern, machen einen ungepflegten Eindruck.

Man fragt sich ständig, wo eigentlich das Geld bleibt, das Basra täglich einnimmt. Denn von jedem gepumpten Fass Öl bekommt die Stadt einen Dollar in ihr Säckel überwiesen. Derzeit werden im Irak täglich bis zu drei Millionen Fass Öl gefördert – ein Rekordhoch. Seit 30 Jahren wurde nicht mehr so viel gepumpt wie heute. Basra hält mit 2,25 Millionen daran den Löwenanteil. Der Rest wird in Kirkuk im Nordirak aus dem Boden geholt.

„Früher war es Saddam Hussein, der Basra hat verkommen lassen“, hört man als Erklärung für den jämmerlichen Zustand von Iraks Süd-Metropole. „Heute verhindert die Korruption den Fortschritt“, sagt ein Apotheker in der Watan-Straße. Die Meldung aus der irakischen Zeitung „Azzaman“, wonach im Parlament gerade ein Misstrauensvotum gegen den Minister für Jugend und Sport, Jasim Ja‘far, gescheitert sei, verleiht seiner Aussage Nachdruck. Dem Minister wurde Korruption im Zusammenhang mit dem Bau der „Sportstadt Basra“ vorgeworfen. „Die halten sich doch gegenseitig“, kommentiert der Apotheker illusionslos.

Birgit Svensson

© Qantara.de 2013

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de