Reise in die Vielfalt der türkischen Kultur

"Şimdi Now ist jetzt" steht auf Plakaten des bislang größten türkischen Kulturfestivals in Deutschland. Das bunte Programm reicht von klassischen Konzerten bis zu moderner Clubmusik, von osmanischer Kunst bis zu Videoinstallationen.

"Şimdi Now ist jetzt" steht auf Plakaten des bislang wohl größten türkischen Kulturfestivals in Deutschland. Das einwöchige Programm reicht von klassischen Konzerten bis zu moderner Clubmusik, von osmanischer Kunst bis zu Videoinstallationen. Silke Bartlick hat mit den Initiatoren des Festivals gesprochen.

​​Zahlreiche Mitarbeiter verschiedener Berliner Kulturinstitutionen haben in den letzten Monaten die Türkei und vor allem deren pulsierende Metropole Istanbul für sich entdeckt und sind ihrer Vitalität schier erlegen. Denn dass in der Stadt am Bosporus eine derart junge, lebendige und vielfältige Kulturszene zu Hause ist, hat sie alle überrascht.

So auch Nilgün Mirze: "Bislang ist nur die populäre Kultur exportiert worden. Das, was man als touristisch bezeichnen könnte. Und ich glaube, Europa war nicht neugierig genug, wollte nicht wissen, was in der Türkei wirklich los ist."

Nilgün Mirze organisiert für die "Istanbul-Stiftung für Kultur und Kunst" seit Jahren internationale Festivals am Bosporus. Ihre Stiftung bringe Europas Kulturen in die Türkei, sagt sie, aber nie sei eines der beteiligten Länder an ihrer, der türkischen Kultur interessiert gewesen.

Ein anderer kultureller Blick

Bis Nilgün Mirze dann eines Tages Nikki Kawamura traf, eine blonde Berlinerin mit japanischem Namen und Wohnsitz in Kreuzberg - einem Berliner Bezirk, dessen Straßenbild Zehntausende zumeist aus ländlichen Regionen zugewanderte Türken seit rund 30 Jahren prägen. Mit traditioneller Kleidung, hierarchischen Familienstrukturen, mit Volksmusik und Döner Kebap.

"Das Bild, das tägliche Bild, was sich einem dort bietet, seitens der türkischen Community, ist doch recht einseitig", meint Nikki Kawamura, "irgendwie hab ich persönlich gedacht, es muss doch noch mehr geben, es muss doch noch was anders geben!"

Drei unabhängige Partner, die "Istanbul-Stiftung für Kultur und Kunst", "Harrison Parrot Künstler- und Projektmanagement" aus London und die Berliner "Werkstatt der Kulturen" präsentieren nun in Berlin bis zum 4. September die türkische Musik- und Kulturszene in ihrer ganzen Bandbreite. Rund 270 Künstler sind an 20 renommierten Veranstaltungsorten mit Konzerten, Ausstellungen, Tanz- und Theaterabenden, mit Filmen und Lesungen zu erleben. Andreas Freudenberg, Leiter der Werkstatt der Kulturen zeigt sich zufrieden über das Angebot:

"Also, wenn man, sagen wir, vor 20 Jahren in die Türkei gefahren ist und nach Theater gesucht hat, dann hat man gedacht: 'Mmmh, müssen wir das hier nach Deutschland holen?!' Aber wenn man das jetzt macht, dann entdeckt man plötzlich ganz neue Farben. Dann entdeckt man plötzlich den Aufbruch und man entdeckt wirklich auch junge, neue Positionen, die uns auch interessieren können. Das hat natürlich auch den Hintergrund oder fügt sich dann zu der politischen Fragestellung: Was hat die Türkei mit Europa zu tun, was hat Europa mit der Türkei zu tun? Wie identifiziert sich Europa mit diesem Land? Wie identifiziert sich die Türkei mit Europa?"

Eine Frage, die, so Andreas Freudenberg, die meisten türkischen Künstler für sich längst eindeutig beantwortet hätten. Denn sie sehen sich als Europäer und fühlen sich Europa verbunden.

Vielfältige musikalische Facetten

Foto: AP
Letztjährige Grand-Prix-Gewinnerin Sertab Erener

​​"Şimdi Now" - Jetzt, gerade jetzt" ist das Berliner Festival zeitgenössischer türkischer Kultur überschrieben, bei dem nicht nur die Pop Diva Sezen Aksu auftritt und die letztjährige Grand-Prix-Gewinnerin Sertab Erener, sondern auch herausragende Musikerinnen wie die Önder- und die Pekinel-Schwestern. Ihr Instrument, das Klavier, verbindet die klassische türkische Musik mit der westeuropäischen Klassik, die osmanische Sultane einst in die Türkei gebracht haben.

Andere Künstler interpretieren die von der orientalischen Poesie beeinflussten Gedichte Goethes, begleitet von traditionellen osmanischen Instrumenten, oder mischen spirituelle Sufi-Klänge mit Elementen zeitgenössischer elektronischer Musik.

"Neue Positionen heißt auch, dass man sich durchaus differenziert" und aus ganz verschiedenen Perspektiven mit dem Verhältnis von westlicher Welt, westlicher Zivilisation, Kultur, zu muslimischer, islamischer Welt, islamischer Kultur auseinandersetzt und dabei gerade in der Türkei eine sehr aufgeklärte, aufgeschlossene Position sucht", meint Andreas Freudenberg. "Gerade deswegen, glaube ich, ist die Türkei für Europa auch so wichtig."

Beispielhafter Kulturdialog

Mit dem Festival "Şimdi Now" leisten die Veranstalter einen wichtigen Beitrag zum Dialog der Kulturen. In Berlin, der Stadt mit der größten türkischen Bevölkerungsgruppe außerhalb der Türkei. Und im Idealfall, so Nikki Kawamura, trägt dieses Festival auch zu einem innerkulturellen Dialog bei, regt in Berlin lebende Türken zu einer Auseinandersetzung mit den Entwicklungen in ihrem Heimatland an:

"Ich hab auch diese Haltung erlebt, auch in Istanbul, die auch gesagt haben, wir haben mit den Leuten, die in Deutschland wohnen, nichts zu tun", so Nikki Kawamura. "Das seien hauptsächlich Leute, die aus Anatolien kommen, ländliche Bevölkerung und so weiter, und die gäben auch nicht das Bild des städtischen Istanbul und der städtischen Kultur wieder."

Silke Bartlick

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004

Näheres zum Programm des Festivals "Şimdi Now" erfahren Sie hier