Zwischen Kunst und Kommerz

Die Goldene Palme von Cannes für Regisseur Nuri Bilge Ceylan hat das Augenmerk einmal mehr auf das türkische Kino gelenkt. Neben künstlerischen Highlights finden sich auch viele türkische Genrefilme auf den Spielplänen der deutschen Kinos wieder. Einzelheiten von Jochen Kürten

Von Jochen Kürten

Dem ganz normalen Kinogänger mögen türkische Filme kaum auffallen zwischen all den großen Blockbustern aus Hollywood und deutschen Filmen von Till Schweiger bis Wim Wenders. Meist laufen diese Filme hierzulande nur in Großstädten und mit wenigen Kopien an. Große kommerzielle türkische Genrefilme richten sich zudem ausschließlich an die hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund - sie werden oft in Originalsprache ohne Untertitel gezeigt.

Schaut man sich aber die Spielpläne der deutschen Kinos genauer an, so ist man verblüfft über die vielen, unterschiedlichen Angebote. Ein paar Beispiele: Seit Ende Mai ist Yeşim Ustaoğlus Film "Araf - Somewehre in Between" in den Kinos, der ein klassisches Thema des türkischen Films aufgreift: den Konflikt der Menschen zwischen Provinz und Stadt, zwischen Tradition und Moderne in der Türkei.

Hüseyin Tabaks "Deine Schönheit ist nichts wert" dagegen nimmt die Situation von türkischen Migranten in den westeuropäischen Großstädten, in diesem Fall Wien, in den Fokus. Und Aslı Özges "Lifelong - Hayatboyu" erzählt von der Entfremdung eines Ehepaars in Istanbul. Dokumentarfilme aus der Türkei, türkische "Mafia"-Filme, Horrorfilme und vor allem Komödien aus den Produktionsstudios aus Istanbul und Ankara ergänzen das Angebot.

Ausnahmeregisseur Nuri Bilge Ceylan

Mit dem Schub der Goldenen Palme von Cannes wird auch Nuri Bilge Ceylans "Winter Sleep" in den kommenden Monaten einen Verleih finden. Der Regisseur galt schon im Vorfeld des wichtigsten Festivals der Welt als heißer Kandidat für die Auszeichnung. Ceylan hat sich mit seinen streng komponierten Werken, die mit seismografischem Blick Veränderungen innerhalb der türkischen Gesellschaft wahrnehmen, einen festen Platz im europäischen Kunst-Kino erobert.

Szene aus "Winter Sleep" von Nuri Bilge Ceylan; Quelle: Festival de Cannes
Ceylans dreistündiges Opus "Winter Sleep": Der 1959 in Istanbul geborene Filmemacher blickt in "Winter Sleep" auf die Lethargie türkischer Intelektueller. Nuri Bilge Ceylan vermeidet direkte Anspielungen auf aktuelle Entwicklungen in der türkischen Politik, spart aber auch nicht mit Kritik an der Lage seines Landes. Ceylans Filme zeichnen sich durch lange Einstellungen, eine epische Erzählweise und viele Landschaftspanoramen aus.

Ceylan steht für ein ästhetisch ausgereiftes Kino - ein Massenpublikum erreichen Ceylans anspruchsvolle Filme nicht - weder in Deutschland noch in der Türkei. Im Gegenteil. In der Türkei wird der Regisseur in einem großen kommerziellen Blockbuster wegen seiner langsamen Dramaturgie verspottet, erzählt der Filmjournalist Bernd Buder, der das türkische Kino der letzten Jahre intensiv beobachtet hat.

Die Masse der Deutschen mit türkischen Wurzeln strömt in Städten wie Berlin und Köln in die populären Filme der Komödienserie "Recep İvedik" oder die umstrittenen Kriegsfilme der "Tal der Wölfe"-Folgen. Diese kommerziellen Filmbeispiele des türkischen Kinos stehen für die eine Ausprägung der modernen türkischen Gesellschaft. Die künstlerischen Filme eines Nuri Bilge Ceylan für eine andere. Beide zusammen symbolisieren die Zerrissenheit des Landes, die sich gerade in den letzten Monaten so eklatant gezeigt hat.

"Guckt man sich türkische Mainstreamfilme an, zeigt sich die Gespaltenheit der türkischen Gesellschaft", sagt Buder: "Auf der einen Seite sind Filme, die liberale, auch linke Werte transportieren, gerade Richtung Geschlechterverhältnis oder türkisch-kurdisches Verhältnis." Auf der anderen Seite stünden Werke, die sehr nationalistisch seien. Als dritte Strömung nennt Bernd Buder "Filme, die stark islamistische Werte transportieren und dabei die Vertreter des kemalistischen Staates als korrupt und Amerika-hörig hinstellen."

Der Weg zum Erfolg: "Yol"

Yilmaz Güney; Foto: dpa/picture-alliance
Meilenstein in der türkischen Kinogeschichte: 1982 gewann das Drama "Yol - Der Weg" von Serif Gören und Yilmaz Güney den begehrten Hauptpreis des Filmfestivals von Cannes.

In der ersten Hälfte der 1980er Jahre wurden türkische Filme zunehmend auch in deutschen Kinos gezeigt. Der Kurdenkonflikt, das Verhältnis der Geschlechter, der Stadt-Land-Konflikt oder der Zerrissenheit der Menschen zwischen Tradition und Moderne - das waren Themen des neuen türkischen Films damals. 1982 bekam "Yol - der Weg" von Yilmaz Güney die Goldene Palme in Cannes und feierte auch in den hiesigen Programmkinos einen großen Erfolg. Güneys Film beschäftigte sich mit Auswüchsen innerhalb der türkischen Gesellschaft nach dem Militärputsch 1980. Der Regisseur konnte seinen Film allerdings zunächst nicht selbst inszenieren: Er saß im Gefängnis und war auf die Mitarbeit von Kollegen angewiesen.

Seit "Yol" ist der türkische Film deutschen Kinogängern ein Begriff. Immer wieder war er seitdem auf Festivals, aber auch in deutschen Programmkinos erfolgreich. Zuletzt machte Regisseur Semih Kaplanoğlu mit "Bal - der Honig" auf sich aufmerksam. "Bal", Teil einer filmischen Trilogie, erzählt vom harten, entbehrungsreichen Leben eines Imkers in der Provinz. Kaplanoğlu bekam dafür 2010 den Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele.

Zum relativ großen Angebot türkischer Filme in deutschen Kinos tragen auch die vielen deutsch-türkischen Filmfestivals bei. In Städten wie Berlin, Nürnberg und Frankfurt werden seit Jahren regelmäßig neue Filme aus der Türkei gezeigt. Und doch: Bernd Buder meint, dass diese wegen der vielen deutsch-türkischen Mitbürger so wichtige Kinoszene hierzulande zu wenig Beachtung findet: "Gerade das deutsche Publikum sollte eigentlich neugieriger auf die Türkei sein."

Jochen Kürten

© Deutsche Welle 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de