Menschenrechte einer Minderheit

Im März 2018 gab es für Pakistans Transgender-Menschen eine erstaunliche Revolution. Das Parlament verabschiedete ein Gesetz zu ihrem Schutz. Dieser Schritt führt in Richtung der Beendigung von Ausgrenzung und Armut, glaubt die pakistanische Autorin Mahwish Gul.

Von Mahwish Gul

Der Transgender Persons (Protection of Rights) Act 2018 formuliert das Recht, als Person mit jedwedem Geschlecht, das als das eigene empfunden wird, anerkannt zu werden. Er erkennt darüber hinaus andere Grundrechte der betroffenen Menschen an. Transmänner und -frauen haben demnach das aktive und passive Wahlrecht sowie Anspruch auf Erbe, Bildung, Berufsanstellung, Gesundheit, Eigentum, Zugang zu öffentlichen Räumen und Versammlungsfreiheit. Dem neuen Gesetz zufolge haben die betroffenen Menschen alle Rechte, welche die Verfassung Pakistans Bürgern zuspricht.

Pakistaner haben somit das Recht, ihr Geschlecht entsprechend ihrer im Innersten subjektiv erlebten Identität zu inszenieren – unabhängig davon, ob dieses Geschlecht ihnen auch bei der Geburt zugeschrieben wurde. Ämter müssen sie mit der selbstgewählten Identität registrieren. Das gilt für sämtliche Zwecke vom Personalausweis über Führerschein und Pass bis hin zu Abschlusszeugnissen. Wer will, kann bestehende Einträge auch entsprechend ändern lassen.

Laut pakistanischem Recht kommt es nur auf das Identitätsempfinden an, aber nicht auf die Genitalien und andere körperlichen Merkmale. Als Transgender-Personen gelten juristisch "alle, deren geschlechtliche Identität oder geschlechtliche Selbstdarstellung von den sozialen Normen und den kulturellen Erwartungen abweicht, die mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde, verbunden sind".

Ein großer Schritt

Für Pakistan, ein muslimisch geprägtes Land mit konservativen Vorstellungen über Geschlechterrollen, ist diese Reform ein großer Schritt. In welchem Maße sie das Leben der betroffenen Community verbessern kann, bleibt abzuwarten. Traditionell sind die Hijras, wie Transvestiten, Transgender-Menschen und Eunuchen in ganz Südasien traditionell genannt werden, eine arme, ausgegrenzte Gemeinschaft am Rande der Gesellschaft.

Transsexuellen-Demo in Karatschi im Dezember 2010; Foto: Getty Images/AFP/A. Hassan
Protest gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und Stigmatisierung: Pakistans Hijras leben isoliert in kleinen, verstreuten Gemeinschaften und werden von der Mehrheitsgesellschaft verachtet. Ihre Angehörigen verstoßen sie typischerweise, häufig schon bald nach der Geburt. Rückhalt finden sie nur bei Ihresgleichen.

Es gibt keine zuverlässigen Statistiken über Transgender-Menschen. Laut Volkszählungsdaten von 2017 gibt es in Pakistan rund 10.000 Hijras. Zivilgesellschaftliche Organisationen gehen dagegen von bis zu 500.000 aus. Volkszählungsdaten sind, was diskriminierte Minderheiten angeht, weltweit unzuverlässig. Aus ähnlichen Gründen ist auch nicht bekannt, was für Einkommen und welche Kaufkraft Hijras im Schnitt haben. Es ist aber offensichtlich, dass sie in der Regel unter multidimensionaler Armut leiden.

Pakistans Hijras leben isoliert in kleinen, verstreuten Gemeinschaften und werden von der Mehrheitsgesellschaft verachtet. Ihre Angehörigen verstoßen sie typischerweise, häufig schon bald nach der Geburt. Rückhalt finden sie nur bei Ihresgleichen. Ohne Chance auf sinnstiftende Berufstätigkeit schlagen sie sich mit Betteln, Schautänzen und Prostitution durch.

Sie werden ihr Leben lang verlacht und verspottet. Ständig drohen Belästigung, Gewalt, Ausbeutung und Vergewaltigung. Auch die Polizei wird allzu oft übergriffig. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung und Verfolgung bietet der Transgender Persons (Protection of Rights) Act nun neue Hoffnung – doch die strukturelle und systemische Diskriminierung ist noch längst nicht beendet. Die Behörden müssen sich nun auch an die neuen Prinzipien halten.

Richtersprüche

Völlig neu sind die neuen Prinzipien nicht. Die Justiz schafft bereits seit einem Jahrzehnt die Grundlagen, denn der Supreme Court Pakistans hat mehrere Entscheidungen zugunsten der Transgender-Community getroffen. Der erste Impuls ging von einem Anwalt aus, der 2009 eine Petition zum Schutz der Hijras einreichte. Bald darauf urteilte der Supreme Court, der Staat müsse sie mit dem Ziel umfassender sozialer Inklusion amtlich registrieren.

2012 entschied der Supreme Court dann, Hirjas hätten Anspruch auf Eintrag ins Wahlregister. Sie dürften sich auch als drittes Geschlecht bezeichnen. 2013 erkannte der Supreme Court Transgender-Menschen als gleichberechtigte Bürger an. Er hielt fest, sie genössen alle verfassungsgemäßen Grundrechte. Erwähnt wurden ausdrücklich das Recht auf Erbschaft, Identität, berufliche Beschäftigung sowie Schutz vor Schikanen von Polizei und anderen Sicherheitskräften.

[embed:render:embedded:node:20470]Das Parlament hat diese Prinzipien im März auch gesetzgeberisch festgeschrieben. Seither sind viele wichtige Dinge erstmals passiert:

Schon im März wurde eine 21-jährige Journalistin zur ersten Transgender-Nachrichtensprecherin im Fernsehen.

Im April wurde die erste Berufsschule für Transgender-Menschen eröffnet.

Im August bekam erstmals ein Transgender-Mensch ein Bankkonto, und ein anderer startete eine eigene Modemarke.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Solche Ereignisse zeigen, dass einige Betroffene vom Kulturwandel profitieren. Ihre Erfahrungen sind aber möglicherweise nicht typisch.

Diskriminierung gibt es jedenfalls weiterhin. Im September töteten vier Männer eine Transgender-Person, die sich gegen eine sexualisierte Attacke wehrte. Das Opfer wurde angezündet und starb an schweren Verbrennungen. Drei Tage später musste ein Vertreter der Law and Justice Commission dem Supreme Court Bericht erstatten. Seinen Aussagen zufolge wurden in den vergangenen drei Jahren mindestens 500 Transgender-Menschen getötet.

In derselben Sitzung kündigte Supreme-Court-Präsident Mian Saqib Nisar an, sein Gericht werde künftig Transgender-Menschen als Personal einstellen. Beobachter werten das als wichtiges Signal, der Alltag bleibt aber für viele Hijras trotzdem hart und bitter. Schikanen, Spott und Stigmatisierung halten an. Würde und leibliche Unversehrtheit werden ständig infrage gestellt. Die Zeit wird zeigen, welchen Wandel die Gesetzesreform im Alltag bringt.

Mahwish Gul

© Zeitschrift Entwicklung & Zusammenarbeit 2018

Mahwish Gul kommt aus Islamabad und studiert Entwicklungsmanagement an der Ruhr-Universität Bochum und der University of Western Cape in Kapstadt. Ihr Master-Studiengang gehört zur Arbeitsgemeinschaft entwicklungsbezogener Postgraduierten-Programme (AGEP).