Das dynamische dritte Geschlecht

Der Angriff auf einen Schwulenclub in Florida hat schmerzlich gezeigt, dass sexuelle Minderheiten in Zeiten der Radikalisierung besonders leicht zu Angriffszielen werden. In Südasien haben Transgender eine uralte Tradition. Trotz bestehender Diskriminierung gibt es hier seit einigen Jahren erstaunliche Entwicklungen. Von Sara-Duana Meyer

Von Sara-Duana Meyer

Manche sagen, es sei der Hindu-Gott Rama gewesen, der den Hijra vor über 2000 Jahren als Dank für ihre Treue die Gabe zum Segensspruch verlieh. Von göttlicher Hand auserwählt, in alten Texten als Eunuchen oder Hermaphroditen beschrieben, bewegen sich die Hijra in einer mythologischen wie soziobiologischen Grauzone, die der Sammelbegriff „Transgender“ nur annähernd umreißt.

Bis heute werden in Südasien Angehörige des sogenannten dritten Geschlechts zu Hochzeiten und Geburten eingeladen, um einem jungen Paar oder neugeborenen Sohn ihren Segen zu erteilen. Öfter noch sieht man sie an Straßenkreuzungen, wo sie grell geschminkt und in leuchtend bunter Frauenkleidung im Tausch für Geld oder unter Androhung von Flüchen gute Wünsche aussprechen.

Auserwählt oder nicht, Hijra, die oft aus sozialen Unterschichten kommen und in einer Art Clan unter der Obhut einer älteren Transfrau leben, haben meist nur beschränkte Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie können tanzen, bei mangelndem Talent als Prostituierte arbeiten, oder betteln. In der arabischen Wortwurzel  „hijr“ ist das Verlassen des Heims, der Ausschluss aus der Gesellschaft, erzwungen oder nicht, bereits angelegt wie eine unheilvolle Prophezeiung.

Pakistan als Vorreiter für Trans-Rechte

So unscharf die Grauzone bei genauerem Hinsehen wird, bedeuten ihre klar markierten Ränder, mit der Schablone stereotyper Merkmale und Annahmen ausgestochen, einen zweifelhaften gesellschaftlichen Schutz. Die Zuordnung in eine dritte geschlechtliche Kategorie, Khwaja Sera in Urdu, fällt leichter als die Anerkennung sexueller Orientierungen wie Homosexualität – die göttliche Hand hinterfragt man seltener.

Das Film, Art & Dialogue Festival
Das Film, Art & Dialogue Festival wurde 2014 gegründet und soll ein soziopolitisches Festival sein, ohne seinen künstlerischen Unterhaltungswert zu verlieren. „Thirdness“ ist der Fokus: Die Sichtbarkeit sexueller und kultureller Minderheiten sowie der Brückenschlag zwischen ihnen und der sonstigen Bevölkerung.

Seit 2012 gibt es in pakistanischen Ausweisen neben weiblich und männlich noch eine dritte Option. Auch Bangladesch, Nepal und Indien bieten als vier von elf Ländern weltweit diese formaljuristische Alternative zum binären Geschlechtssystem. Mit dieser Option wurden in Pakistan zum ersten Mal Quotenjobs in öffentlichen Einrichtungen und entsprechende Studienplätze geschaffen, eine von Aktivisten lautstark begrüßte Entscheidung.

„Das reicht nicht“, sagt Kami, Aktivistin und Mitorganisatorin des dänisch-pakistanischen Film, Art & Dialogue Festivals AKS, das im April 2016 zum zweiten Mal in Pakistan stattfand. „Wir sind gleichwertige Bürger. Wir wollen keine Sonderrechte, wir wollen gleiche Rechte.“

Nicht alle Transgender sind Angehörige eines Hijra-Clans oder wollen sich auf dessen Bedingungen einlassen. Trotz ihrer langen Tradition sind Transgender allzu oft von Diskriminierung und Gewalt betroffen. Wo der Sammelbegriff zunächst diejenigen meint, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie geboren wurden, verweist das Präfix „trans“ immer auf ein Überschreiten von gesellschaftlich festgelegter, binärer Identität und damit auf ein Leben außerhalb der Norm.

Doch wo mit Begrifflichkeiten und Identitäten auch die Möglichkeiten zur eindeutigen Zuordnung verschwimmen, entsteht Unbehagen. Der Mord an Alesha, einer Trans-Aktivistin, die Ende Mai im nördlichen Pakistan erschossen wurde, hat die Gemeinschaft tief erschüttert. Letztendlich war es die stundenlang diskutierte Frage, ob sie im Frauen- oder Männerteil des Krankenhauses behandelt werden sollte, die Alesha das Leben kostete.

Filmfestival der Transcommunity

„Wir wollen eine Plattform, auf der die allgemeine Bevölkerung und die Transcommunity sich treffen können“, fährt Kami fort und streicht sich das halblange Haar aus dem Gesicht, „nicht nur eine Quote. Deshalb sind Veranstaltungen wie das AKS-Festival so wichtig für uns.“

Das Film, Art & Dialogue Festival wurde 2014 von Filmemacher Saadat Munir in Kopenhagen, Dänemark, gegründet. Es soll ein soziopolitisches Festival sein, ohne seinen künstlerischen Unterhaltungswert zu verlieren. „Thirdness“ sei der Fokus, sagt Saadat, die Sichtbarkeit sexueller und kultureller Minderheiten sowie der Brückenschlag zwischen ihnen und der sonstigen Bevölkerung. „Ich mag westliche Begriffe wie LGBT nicht, die versuchen, etwas in eine Schablone zu pressen. Pakistanis ist geschlechtliche Uneindeutigkeit nicht fremd, es gibt sie schon ewig.“ Das Festival auch in Pakistan zu veranstalten, schien zunächst undenkbar. „Keine Sorge“, habe Mitorganisatorin und Trans-Aktivistin Neeli Rana daraufhin gesagt. „Die Transcommunity macht das für dich möglich.“

Mit der Unterstützung von Initiativen und kulturellen Organisationen fand das Festival schließlich in mehreren Städten Pakistans mit einem bunt gemischten Publikum statt. Auch Partner wie die Architektin Marvi Mazhar sind euphorisch: „Ich glaube, das war die erste öffentliche Veranstaltung, wo Transgender und ein breites Publikum zusammenkamen, um einfach eine gute Zeit zu haben. Wir hatten hier bisher nur Transgender-Veranstaltungen, wo über Politik und Rechte gestritten wurde, aber keine, die Spaß machten.“

Mazhar leitet das Kulturzentrum T2F in Karachi, nachdem die Gründerin des Zentrums, Sabeen Mahmud, vor gut einem Jahr erschossen wurde. T2F ist bekannt dafür, kontroversen Themen und gesellschaftlichen Minderheiten Raum zu geben. Wenig überraschend war daher der Besuch eines Regierungsbeamten bei einigen Veranstaltungen. Zum Schutz, hieß es. Kurz zuvor war der Herausgeber eines LGBT-Magazins in Bangladesch ermordet worden.

Besucher des AKS-Festivals. Foto: Sara-Duana Meyer
„So unscharf die Grauzone bei genauerem Hinsehen wird, bedeuten ihre klar markierten Ränder, mit der Schablone stereotyper Merkmale und Annahmen ausgestochen, einen zweifelhaften gesellschaftlichen Schutz“, schreibt Sara-Duana Meyer.

Männlichkeitswahn erzeugt Transphobie

„Die allgemeine Bevölkerung akzeptiert niemanden, der anders ist, da brauchen wir uns nichts vorzumachen“, sagt Sid, LGBT-Aktivist und seit sieben Jahren Kamis Lebenspartner. „Homosexualität wird als Krankheit betrachtet, die man mit elektrischen Schocks behandeln kann. Für Schwule und Lesben ist es viel einfacher, sich zu verstecken. Transgender werden durch ihre Sichtbarkeit extrem marginalisiert. Andererseits passiert in Pakistan viel zum Thema Transgender, das hilft auch der LGBT-Gemeinschaft insgesamt.“

Die Option vom dritten Geschlecht als formaljuristischer Möglichkeit sehen einige Aktivisten allerdings auch kritisch. Der Mythos, dass Transgender grundsätzlich Hermaphroditen seien, dient manchmal als Schutz; in einer hypermaskulinen Gesellschaft wie Pakistan, in der „männlicher“ als Fortschritt gilt, bedeutet die Annahme des dritten Geschlechts zugleich die Aufgabe männlicher Privilegien zum Beispiel beim Erbrecht.

Auch das ist ein Grund, warum der Wechsel von weiblich zu männlich im Transgenderdiskurs selten thematisiert wird. Eine Tochter, die Allah zum Sohn berufen hat, ist ein Gewinn für die Familie. Transphobie erwächst aus Sexismus – dass ein Mann freiwillig die männliche Überlegenheit zugunsten einer weiblichen Identität aufgeben würde, ist für viele schwer nachzuvollziehen und birgt subversives Potential, auf das mit Angst und Ablehnung reagiert wird.

Auch die zunehmende Radikalisierung im Norden Pakistans spiegelt sich in Angriffen auf sexuelle Minderheiten. Alesha ist kein Einzelfall, so gut wie jede Transfrau in Pakistan hat mehr oder weniger gewalttätige Übergriffe erfahren.

„Das AKS-Festival als Plattform ist wegweisend“, erklärt Sid. „Wir wollen das Festival mit kleinen Veranstaltungen fortsetzen. Gerade suchen wir die finanziellen Mittel und einen Ort“, fährt Kami fort. „ Die in sich so diverse LGBT-Community braucht Räume, um sich auszutauschen und mehr über ihre Rechte zu erfahren. Dann wollen wir den Austausch weitertragen und ein Publikum heranziehen, das zum Katalysator für die restliche Bevölkerung werden kann. Dieser Dialog wird noch lange dauern, dafür müssen alle an Bord sein. Aber es bewegt sich was.“

Sara-Duana Meyer

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