Wir messen mit zweierlei Maß!

Warum wird das Geschehen in Darfur - im Gegensatz zu den Konflikten im Nahen Osten - weder von den arabischen Medien noch von den Politikern genügend wahrgenommen? Mutaz Al-Fugairi und Ridwan Ziyada versuchen Antworten zu finden.

Für viele Menschen in der arabischen Welt gibt es keine "humanitäre Katastrophe" in Darfur, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die arabischen Medien sich mit diesem Thema nicht befassen. Daher hat man kein Gefühl von Unbehagen oder Missfallen über die Ignoranz, die die Araber an den Tag legen, wenn es um die Verbrechen an der Menschlichkeit in der sudanesischen Provinz geht.

Schlimmer noch, der Eindruck entsteht, man habe es mit Gewissenlosigkeit zu tun, die an Geschichtsverleugnung grenzt, denkt man an die Rolle, die einigen Arabern in Afrika beim Sklavenhandel zukam.

Vollkommenes Schweigen auf arabischer Seite

Wenn wir einmal annehmen, es sei nur logisch, dass die arabischen Regierungen sich im Falle Darfur nicht eindeutig für die Wahrung der Menschenrechte aussprechen – ist dies doch das Letzte, worauf eine arabische Regierung in ihrer Außenpolitik Wert legt – wie ist dann das Verhalten der arabischen Journalisten, Intellektuellen, Aktivisten und Künstler zu rechtfertigen, besonders derjenigen, die für die Vereinten Nationen als Botschafter der guten Sache auftreten?

Wie können sie ihr Schweigen zu den Geschehnissen in Darfur rechtfertigen? Es ist noch keine Erklärung oder ehrliche Stellungnahme erfolgt, in der die Bestürzung über die Ereignisse in Darfur zum Ausdruck kommt. Abgesehen von der am 17. Oktober 2006 veröffentlichten Erklärung, in der zumindest einige wenige arabische Intellektuelle ihre Missbilligung über "das Schweigen der arabischen Welt hinsichtlich der humanitären Katastrophe in Darfur" äußerten.

Kriegsgebeutelter Sudan

Seit 2003 wurden in Darfur 300.000 – 400.000 Menschen in Folge bewaffneter Auseinandersetzungen, schlechter Lebensbedingungen, grassierender Krankheiten und Unterernährung getötet. Über zwei Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht oder sind emigriert. Durch die Übergriffe müssen dreieinhalb Millionen Menschen von humanitären Hilfsgeldern leben.

Das Friedensabkommen von Abudja, das am 5. Mai 2006 zwischen der Regierung in Khartum und einer der einflussreichsten Rebellengruppen in der Provinz geschlossen wurde, hat weder Sicherheit noch Frieden für Darfur gebracht. Viele Anzeichen deuten im Gegenteil darauf hin, dass die Lage sich noch verschlechtert hat.

Im Gegensatz zu anderen arabischen Regionen geht es in Darfur um einen innersudanesischen Konflikt zwischen der Zentralregierung und bewaffneten Oppositionsbewegungen, der mit einer jahrzehntelangen Benachteiligung der Entwicklung und der Machtgier der Zentralregierung zusammenhängt. Und dies geschieht in einer Region, in der die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt einen Krieg nach dem nächsten hervorbringt.

Verleugnung auf ganzer Linie

Dass die Araber sich trotz der Grausamkeit nicht mit dem Thema auseinandersetzen, liegt vielleicht daran, dass den Konflikten im Nahen Osten, besonders dem Konflikt mit Israel, zentrale Bedeutung beigemessen wird. Ein Teil der politischen und intellektuellen Elite in der arabischen Welt ignoriert nicht nur die Geschehnisse im Sudan, er leugnet sie sogar. Dies legen beispielsweise Berichte der arabischen Ärztevereinigung und der Internationalen Vereinigung muslimischer Rechtsgelehrter nahe.

Deshalb liegt Darfur außerhalb des Interesses der arabischen Medien, ganz im Gegensatz zu den Konflikten im Nahen Osten – "als ginge Darfur uns nicht direkt etwas an, oder als wollten wir nicht, dass es uns etwas angeht", wie eine arabische Journalistin es ausdrückt.

Einige arabische Medien bestehen darauf, die Krise in Darfur als "eine zionistisch-amerikanische Verschwörung" zu bezeichnen, die darauf abziele, den Sudan zu zerstückeln und seiner Potenziale zu berauben, wobei gleichzeitig die in der Region begangenen Verbrechen ignoriert werden.

Überheblichkeit und Rassismus der Medien

Einige Medien, insbesondere die ägyptischen, betonen verstärkt die Frage der nationalen Sicherheit zum Nachteil aller anderen humanitären Belange.

Die ägyptischen Medien leugnen nicht nur vielfach die humanitäre Krise im Sudan, oft wird gar eine überhebliche Haltung eingenommen. Deutlich wurde das bei der Berichterstattung über die Krise der sudanesischen Flüchtlinge, die zu Dutzenden getötet wurden, nachdem sie sich auf einem Platz in Kairo versammelt hatten, um gegen die Flüchtlingspolitik zu protestieren.

Die offiziellen ägyptischen Medien rechtfertigten die Aktion der Sicherheitskräfte und berichteten auf überhebliche und rassistische Art über die wehrlosen Sudanesen, die vor dem Elend im Sudan geflüchtet waren, um mit den Knüppeln der ägyptischen Sicherheitskräfte Bekanntschaft zu machen.

Politisches Kalkül auf Kosten von Zivilisten

In der gegenwärtigen Diskussion nimmt der Protest gegen die Anwesenheit der UN-Friedenstruppen im Sudan viel Raum ein. Zum einen bezichtigen die arabischen Regime die Internationale Gemeinschaft der Unfähigkeit und unterstellen ihr Doppelmoral beim Vorgehen im arabisch-israelischen Konflikt. Gleichzeitig werden ständig die Forderungen nach internationalem Schutz der Zivilisten in Palästina wiederholt.

Dabei kann man im arabischen Denken dieselbe Doppelmoral erkennen: Das beschränkte politische Kalkül kostete Millionen unschuldiger Zivilisten in Darfur das Leben, die plötzlich zum Objekt des Feilschens im Konflikt der politischen und intellektuellen arabischen Eliten mit dem Westen wurden.

Zusammenarbeit mit Internationaler Gemeinschaft

Was manche, allen voran die Regierung in Khartum, übersehen, ist die Tatsache, dass im Sudan eine 10.000 Mann starke UN-Truppe stationiert ist, zusammengestellt größtenteils aus Soldaten aus 60 afrikanischen und asiatischen Ländern.

LKW's des Welt-Ernährungsprogramms der UN in Darfur; Foto: Wikimedia CCL
Das Welt-Ernährungsprogramms der UN leistet in Darfur humanitäre Hilfe

​​Sie sind im Zentrum und im Süden des Landes stationiert, gemäß dem Friedensabkommen von 2005, das den einundzwanzig Jahre dauernden Bürgerkrieg zwischen der Regierung und der Südsudanesischen Befreiungsbewegung beendete.

Die Zusammenarbeit mit der Internationalen Gemeinschaft zur Durchsetzung des Friedens in Darfur steht nicht im Gegensatz zum internationalen Recht oder verletzt die Souveränität der sudanesischen Führung, sondern es ist die Pflicht der Internationalen Gemeinschaft.

Reagieren bevor es zu spät ist

Die arabische Öffentlichkeit hat bei der Krise in Darfur vollkommen versagt. Tausend Mal schwerer als das politische Versagen aber wiegt das moralische Versagen. Das betrifft nicht nur die arabischen Regierungen, sondern auch die arabischen Intellektuellen.

Besser spät als nie müssen sich daher arabische Politiker, Intellektuelle, Juristen und Journalisten verbünden, um die Einwohner Darfurs zu schützen. So mag es vielleicht doch noch gelingen, den Kummer und die Gewissensbisse, die uns alle infolge unseres Schweigens und unserer Ignoranz erwarten, ein wenig zu verringern.

Mutaz Al-Fugairi und Ridwan Ziyada

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Al-Fugairi/Ziyada

Zuerst veröffentlicht in der arabischen Tageszeitung al-Hayat

Mutaz Al-Fugairi ist Programmdirektor des "Cairo Institute for Human Rights Studies". Ridwan Ziyada ist Direktor des "Damascus Centre for Human Rights Studies".

Qantara.de

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