Willkürjustiz im Dienste der Armee

Die Todesurteile gegen 529 vermeintliche Anhänger der Muslimbruderschaft sind das Werk einer politisierten Justiz - und könnten jegliche Chancen für eine nationale Versöhnung in Ägypten zerstören. Ein Kommentar von Loay Mudhoon

Von Loay Mudhoon

Selten war die für ihre Behäbigkeit bekannte Justiz in Ägypten so "effektiv": In einem Schnellverfahren haben Richter in der oberägyptischen Stadt Minia 529 vermeintliche Anhänger der Muslimbruderschaft wegen angeblicher Beteiligung am gemeinschaftlichen Mord zum Tode verurteilt.

Für diesen "Massen-Prozess" haben sie lediglich zwei Prozesstage benötigt. Eine Anhörung der Verteidigung war aus Sicht des Strafgerichts nicht nötig. Zwar können die Verurteilten Berufung gegen diese beispiellosen Skandalurteile einlegen, dennoch steht heute schon fest: Dieser Tag wird als ein schwarzer Tag in die Geschichte der ägyptischen Justiz eingehen.

Denn die Ad-hoc-Todesurteile lassen alle international anerkannten Mindeststandards der Rechtstaatlichkeit und der Fairness außer Acht. Und sie dokumentieren den Niedergang der einst stolzen Justiz am Nil. Aber noch wichtiger: Sie sind das Werk einer politisierten Justiz, die als Rache-Instrument im Dienste der neuen Machthaber aus Militär und Oligarchie fungiert.

Vom Schreckgespenst zum Dämon

Die Todesurteile setzen die systematische Kriminalisierung der Mutterorganisation des politischen Islams durch das ägyptische Militärregime fort. Sie drohen, jegliche Chance auf nationale Versöhnung und einen echten Neubeginn im Post-Mursi-Ägypten für immer zu zerstören.

Inhaftiertes Oberhaupt der Muslimbrüder, Mohammed Badie; Foto: Ahmed Gamil/AFP/Getty Images
Die Muslimbruderschaft im Fadenkreuz der Scharfrichter: Zu den Zu den Angeklagten zählt auch der Anführer der Muslimbrüder, Mohammed Badie.Die Angeklagten sollen sich für ihre Teilnahme an gewaltsamen Protesten im Sommer verantworten, bei denen zwei Polizisten getötet worden waren. Die Armee hatte Mursi im Juli entmachtet und später bei der Räumung von zwei Protestcamps der Muslimbrüder hunderte Anhänger des gestürzten Präsidenten getötet. Mursi steht derzeit selbst vor Gericht.

Doch die Politik der Dämonisierung der Islamisten, die Hand in Hand mit der repressiven Ausschaltung säkular-demokratischer Kräfte in einem Klima der Angst und der Hysterie geht, dürfte die Zukunft des größten arabischen Landes aufs Spiel setzen.

Es ist schlicht naiv zu glauben, eine in der breiten Bevölkerung verankerte Massenorganisation wie die Muslimbruderschaft lasse sich mit Gewalt allein beseitigen. Alarmierend hinzu kommen Berichte der Menschenrechtsorganisationen über die massive Zunahme von systematischer Folter in den Gefängnissen des Landes seit der gewaltsamen Absetzung Mursis im Juli 2013. Selbst der ägyptische Nationalrat für Menschenrechte kritisierte kürzlich den Einsatz rücksichtsloser Gewalt gegen unbewaffnete Muslimbrüder.

Ägypten braucht dringend eine nationale Agenda der Versöhnung, die alle politischen Kräfte im Lande einbindet und sich ausschließlich zivilen Mitteln der Konfliktbewältigung bedient. Sonst würde eine neue Generation von Terroristen heranwachsen, die das Land in Angst und Schrecken versetzen würde. Um diese mögliche "Pakistanisierung" Ägyptens zu vermeiden, sollten auch westliche Staaten alles daran setzen, den neuen Machthaber um General Abdel Fattah al-Sisi zur Kurskorrektur zu bewegen - im ureigensten Interesse Europas.

Loay Mudhoon

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de