Wörter wie Sandkörner aus der Wüste

Der beeindruckende Gedichtband "The Wild Fox of Yemen“ von Threa Almontaser lässt den Leser in das Leben einer Dichterin zwischen dem Jemen und den Vereinigten Staaten eintauchen. Richard Marcus hat den Band für Qantara.de gelesen.

Von Richard Marcus

Der Jemen wird derzeit zerrieben im Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien sowie dem sunnitischen und schiitischen Islam. Die Menschen leiden Hunger und das Land liegt in Trümmern. Nach Einschätzung der Organisation Ärzte ohne Grenzen spielt sich dort eine der schlimmsten humanitären Katastrophen der Welt ab. Doch niemand scheint willens oder imstande zu sein, etwas dagegen zu unternehmen.

In ihrer Gedichtsammlung The Wild Fox of Yemen, die 2021 bei Gray Wolf Press erschienen ist, durchquert Threa Almontaser dieses Minenfeld emotionaler Erschütterungen mit sprachlicher Brillanz und Ehrlichkeit. Sie beschreibt den Versuch, sich in den USA zurechtzufinden, die Zerstörung der Heimat ihrer Familie samt ihren kulturellen Wurzeln sowie ein bisweilen überwältigendes Gefühl der Hilflosigkeit. Jedes Gedicht in dieser Sammlung gibt uns Lesern eine Ahnung von ihren Empfindungen. Als Leser mögen wir nicht in der Lage sein, gleich zu empfinden wie sie, aber die Gedichte sprechen in einer Weise zu uns, die uns gleich verstehen lässt, was sie bewegt.

Leben zwischen zwei Welten

Die Gedichte sind eine Tür zu der einzigartigen Welt, in der die Autorin lebt. Jedes Kind von Migranten muss sich sein eigenes Land schaffen, das keine Grenzen kennt, und steht doch zwischen zwei Welten. Almontaser zeigt uns auf bemerkenswerte Weise, dass dies zwar manchmal recht schwierig sein kann, aber andererseits auch eine Quelle von Schönheit und Stärke darstellt.

Zumindest, was diese Gedichtsammlung angeht, erinnert mich die Lyrik von Almontaser an ein Zitat des amerikanischen Dichters E. E. Cummings: "Das grenzenlose Land einer jeden Künstlerin ist sie selbst. Eine Künstlerin, die damit ein falsches Spiel treibt, hat Selbstmord begangen.“ Almontaser hat sich mit ihrer Kunst nicht nur ihr eigenes Land ohne Grenzen geschaffen, sie bleibt ihm auch mit jedem Wort, das sie schreibt, treu.

Denn die Gedichte leben nicht nur von ihrer Bildsprache – von der Schönheit der jemenitischen Wüstenlandschaften bis hin zu Albträumen aus Furcht vor Verfolgung. Sie enthüllen beim Leser auch eine Gefühlswelt von subtiler Komplexität. Selbst die Erinnerungen an den Jemen – aus Erzählungen von Verwandten oder von Besuchen der Autorin – sind keine sentimentalen Erinnerungen an "die Heimat“. Almontaser ist in allem, was sie schreibt, schonungslos ehrlich.

Cover of Threa Almontaser's "The Wild Fox of Yemen" (source: Gray Wolf Press)
"The Wild Fox of Yemen by Threa Almontaser is an amazing collection of poems which not only explores the reality of an immigrant's life in America, but introduces readers to the country of Yemen behind the bloodshed and horror," writes Richard Marcus

Der Jemen spielt in dieser Gedichtsammlung eine tragende Rolle. Die Gedichte sind voller Bilder, die durch dieses Land inspiriert sind. Ob es sich nun um die äußeren Landschaften des Landes oder um seine Geschichten handelt: Der Jemen sickert in Almontasers Worte ein. Sandkörner aus der Wüste sind wie die Körner in einer Getreidemühle: Wir vernehmen, wie sie widerstreitenden Kulturen gleich aneinanderreiben und hören den Nachhall der Erschütterungen, den ihr Zusammenprall auslöst.

Dieser "Kampf der Kulturen“ findet sich auch in der Sprache ihrer Gedichte wieder, wenn dort unvermittelt mitten im englischen Text arabische Schriftzeichen auftauchen. Wir empfinden die Einsprengsel einer neuen Schrift in unserem vertrauten Alphabet als etwas Exotisches und Anderes – wie eine seltene Blüte in einem Garten. Für Almontaser ist das die Wirklichkeit. Arabisch und Englisch helfen ihr, sich zu definieren, machen sie unverwechselbar, aber gleichzeitig macht das Arabische sie zur Zielscheibe.

Als dunkelhäutige Frau mit Hidschāb in den USA

Denn seien wir ehrlich: In den zurückliegenden zwanzig Jahren war eine dunkelhäutige Frau mit Hidschāb, die Arabisch, Urdu oder Paschtu spricht, eine Zielscheibe. Wer einen dunkleren Hautton hat, zieht in der Sicherheitskontrolle am Flughafen die Aufmerksamkeit auf sich. Stellen Sie sich vor, mit dieser ständigen Furcht und den damit verbundenen Albträumen zu leben.

Diese Furcht und Unsicherheit lässt sie in ihrem Gedicht "Home Security After 9/11“ greifbar werden. Zitate aus juristischen Lehrbüchern, in denen Consent (Einwilligung) definiert wird, vermischen sich mit Bildern der Furcht, die die ständigen Kontrollen auslösen. "Wir werden verschleppt von [...]/Ich frage das schwache weiße Licht, Wohin gehen all die Muslime?/Blaue Männer drängen mich in ihren Transporter, alles ein langsamer, leuchtender Schwenk, festgezurrt in diesem Bildnis.“

Auch mit dem Layout der Gedichte gibt Almontaser ein Statement ab. Wie bei dem Gedicht, das die Form einer Ziege annimmt, die für ein Festmahl geschlachtet wird, oder bei den englischen Zeilen, die wie die arabische Schrift von rechts nach links laufen. Mit dieser eigentlich einfachen Übung, die uns auffordert, einen kurzen Text in einer Richtung zu lesen, die wir nicht gewohnt sind, gewinnen wir einen winzigen Einblick darin, wie schwierig es für jeden  sein muss, der sich auf diese neue Art des Lesens und Schreibens einstellen muss.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten die Leserichtung der Buchstaben auf einer Seite neu erlernen! Wenn es uns schon schwerfällt, einigen Strophen eines Verses zu folgen, wie schwer muss das erst für Menschen sein, die sich dauerhaft umstellen müssen? Das Gedicht "Recognized Language“ handelt nicht nur von den Gefühlen, die diese Umstellung hervorruft, sondern veranschaulicht diese auch strukturell mit einer in Gegenrichtung geschriebenen Strophe. "tief sich vergraben Worte fehlenden Meine/ Erde amerikanischer in / aufwallen Mutter meiner Blut das lässt Es / Ton falschen dem mit ich wenn / heule Mund im/ daneben bisschen ein mich fühle Ich / Autotür einer in Spiegelbild mein wie / gestaucht und gestreckt.“

Den Unterschieden nachspüren

Doch geht es in ihrer Lyrik nicht nur um fehlende Verbundenheit. Einige Gedichte schwelgen in den unterschiedlichen Ichs der Verfasserin und ihren Wurzeln. Andere offenbaren das Wunder und die Mystik des Jemen, feiern die persönliche und kulturelle Geschichte des Landes. Und dann sind da noch die Gedichte, die uns einfach in Staunen und Bewunderung angesichts ihrer Schönheit versetzen.

Threa Almontaser arbeitet mit Worten, so wie ein bildender Künstler mit Farben auf der Leinwand experimentiert. Je länger wir sie betrachten, desto mehr Bedeutungen entstehen. Und wie die besten Gemälde regen die Worte uns nicht nur zum Nachdenken an, sondern lösen Gefühle aus.

The Wild Fox of Yemen von Threa Almontaser ist eine beeindruckende Gedichtsammlung. Sie lässt uns nicht nur an der Lebenswirklichkeit einer Migrantin teilhaben, sondern bringt uns auch den Jemen jenseits von Kriegsgewalt und Grauen näher. Almontaser bleibt ihrem Land ohne Grenzen treu und zeigt es uns ungeschönt in all seinen Facetten.

Richard Marcus

© Qantara.de 2021

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers