Bühnen für Religionen

Woran glauben die Menschen in Essen, Duisburg, Bochum oder Dortmund? Welche Sprache versteht ihr Gott? Welche Kirchen, Gebetsräume, Moscheen, Tempel besuchen sie? Diesen Fragen ist das interreligiöse Projekt "Urban Prayers" in sechs verschiedenen Gotteshäusern im Ruhrgebiet auf den Grund gegangen. Von Gaby Reucher

Von Gaby Reucher

Schon der Empfang am Eingang zum Gelände der DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh ist ungewöhnlich. Junge Frauen stehen mit einer Flasche Desinfektionsmittel bereit und heißen die Besucher willkommen. "Das ist für die Gäste, um die Hände zu desinfizieren. Und dann bekommen Sie noch etwas Süßes", erklärt mir die freundliche Mitarbeiterin der Gemeinde. Meine Hände duften nach Zitrone.

Die Moschee im Duisburger Stadtteil Marxloh bietet Platz für 1.200 Menschen, eine der größten Moscheen in Deutschland. Dort, wo einst die Kantine eines Bergwerks stand, wurde sie 2008 als Gebetshaus, und auch als interkulturelle Begegnungsstätte eröffnet. In Marxloh ging der Moscheebau - anders als in anderen deutschen Städten, wie Köln zum Beispiel - ohne größere Proteste der Bürger und Anwohner über die Bühne.

Die Merkez-Moschee - ein Ort des Dialogs

Der ideale Ort für den Auftakt des Theater-Musik-Projektes "Urban Prayers Ruhr". Autor ist Björn Bicker, inszeniert wird es von Intendant Johan Simons. Im Rahmen der diesjährigen Ruhrtriennale geht es bei diesem Stück um die Vielfalt der Religionen in Deutschland und um die grundsätzliche Frage, woran jeder eigentlich glaubt.

In sechs Gotteshäusern verschiedener Religionsgemeinschaften wird das Stück aufgeführt. Regisseur Simons wollte von Anfang an, dass die Merkez-Moschee als Aufführungsort dabei ist: "Wir sollten das Ganze erst in einem Nebenraum aufführen, nicht in der Moschee selbst. Aber je öfter wir mit den Leuten gesprochen haben, desto offener wurden sie. Und sie haben am Ende gesagt: 'Ach, macht es einfach in der Moschee'."

"Urban Prayers" zu Gast in der Merkez-Moschee Duisburg
"Urban Prayers" - interreligiös und vielfältig: In der Merkez-Moschee in Duisburg rezitierte der Imam Koran-Verse und es drehte sich ein Derwisch, in Dortmund trat die serbische Volkstanzgruppe "Srbija" auf und in der Synagoge Kantor Tsah mit seinen Musikern und das Nodelman-Duo.

Schon allein, dass im Gebetsraum einer Moschee gesungen wird, sei eigentlich nicht üblich, erzählt Nigar Yardim, Mitarbeiterin der Merkez-Begegnungsstätte, die das Projekt sehr befürwortet hat. "Seit zwei Jahren haben wir immer wieder Gespräche geführt und haben uns alles angeguckt, was da vorgetragen wird".

Einander mit Respekt begegnen

Am Eingang zum Gebetssaal, der reich bemalt ist mit Ornamenten, müssen alle ihre Schuhe ausziehen. Erst dann darf man auf dem roten Teppich unter dem goldenen Kronenleuchter Platz nehmen. Als erstes rezitiert der Imam Suren aus dem Koran, dann beginnen fünf Schauspieler in monotonem Stakkato mit ihren Fragen: "Was glaubt ihr, wer wir sind, was wir glauben, wo wir wohnen?"

Bei dem interreligiösen Projekt "Urban Prayers Ruhr" geht um Themen wie Beten, Helfen und Mitgefühl, um den Umgang mit Verbrechern, Geld oder um die Art und Weise zu heiraten. Zwischen den Themenblöcken singt "ChorWerkRuhr", ein professionelles Vokalensemble aus dem Ruhrgebiet Lieder verschiedener Glaubensrichtungen.

Für Chorleiter Florian Helgath war es am schwierigsten, ein christliches Stück zu finden. Entschieden hat er sich für das Kyrie aus Palestrinas "Missa Papae Marcelli", das "Herr erbarme dich unser". "Ich habe mir Gedanken gemacht, was für die christliche Glaubensrichtung charakteristisch, aber für andere nicht anstößig ist, wie etwa das Abendmahl oder die Kreuzigung Jesu", sagt Helgath.

Widersprüche als Teil der Gesellschaft

Einen gemeinsamen religiösen Nenner zu finden ist auch für die Schauspieler in ihren Rollen schwierig. Spricht da jeder für sich oder doch jeder für alle? "Was glaubt ihr denn, warum wir Bärte tragen, Locken, Hüte, Tücher? Warum wir euch bitten, die Schuhe auszuziehen? Warum wir euch sagen, dass ihr die Schuhe ruhig anlassen könnt?"

Es ist der "Chor der gläubigen Bürger", der da spricht. Nachempfunden dem Chor in einer antiken griechischen Tragödie, der auch mit einer Stimme spricht und die Handlung des Stückes kommentiert. Doch der "Chor der gläubigen Bürger" spricht hier mit verschiedenen Stimmen.

Theaterautor Björn Bicker
"Künstlerisch geht es mir um eine Art von Zuspitzung": Theaterautor Björn Bicker hat sich auch in anderen Projekten mit Migration und Einwanderung beschäftigt. Für das Projekt "Urban Prayers Ruhr" besuchte er muslimische, hinduistische, jüdische und viele andere Religionsgemeinschaften.

Theaterautor Björn Bicker hat sich auch in anderen Projekten mit Migration und Einwanderung beschäftigt. Für das Projekt "Urban Prayers Ruhr" besuchte er muslimische, hinduistische, jüdische und viele andere Religionsgemeinschaften. "Künstlerisch geht es mir um eine Art von Zuspitzung", erklärt der Autor seinen Ansatz. Der Chor der gläubigen Bürger fände deshalb nie eine gemeinsame Stimme. "Er widerspricht sich permanent. Das finde ich interessant, denn es ist ein Bild für unsere Gesellschaft."

Die Widersprüche zeigten auch Irrwege auf, meint Björn Bicker. Bei seiner Recherche habe er durchaus Dinge erfahren, die sich mit seiner Vorstellung von Freiheit und Demokratie nicht vereinen lassen. "Es nutzt nur nichts, das zu verteufeln und das Gute vor sich her zu tragen", meint er. Vielmehr mache es Sinn, mit den Leuten über diese Dinge zu reden. "Sobald man die Menschen kennenlernt, wird die Welt komplexer." Aus diesen Gesprächen ist auch sein Buch "Was glaubt ihr denn" entstanden, dem das Theaterstück zugrunde liegt.

Der Zweifel ist ein hohes Gut

Bei der aktuellen Aufführung von "Urban Prayers Ruhr" weiß man nie, welcher der fünf Schauspieler für wen spricht. Ist er oder sie in der Rolle eines Christen, einer Muslima oder eines Serbisch-Orthodoxen? Irritierend kommt hinzu, dass die Schauspieler vom Aussehen her verschiedene Migrationshintergründe haben. Sie entsprechend den Religionsgemeinschaften zuzuordnen, funktioniert nicht. Oft wechseln sie die Rolle, sogar während sie sprechen.

Johan Simons, Intendant der Ruhrtriennale
"Viele der deutschen Besucher waren noch nie in einer Moschee", sagt Intendant Johan Simons. Allein das sei schon ein großer Schritt hin zum Dialog.

"Es hat mich fasziniert, dass es mehr Fragen als Antworten gab. Dadurch sieht man die Welt mit den Augen der anderen", meint Nigar Yardim von der Merkez-Gemeinde. Das rege zum Nachdenken an. Nur schade, dass so wenig Türken da gewesen seien, meint sie: "Der Text ist sehr anspruchsvoll, da haben viele Türken Schwierigkeiten." Von den über 600 Besuchern waren die meisten Deutsche. "Viele von denen waren noch nie in einer Moschee", sagt Johan Simons. Allein das sei schon ein großer Schritt hin zum Dialog.

In Zeiten von Flüchtlingsströmen, islamistischem Terror und zunehmendem Rechtspopulismus sei solch ein Dialog wichtig, betont er. Dabei könne man lernen, andere zu verstehen, und auch seine eigene Meinung und seine kulturellen Werte zu vertreten: Werte wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Johann Simons will diese Werte bei der diesjährigen Ruhrtriennale immer wieder hinterfragen. Seine Zweifel an den eigenen Werten und denen der anderen hat der Holländer auch nach vielen Dialogen noch. "Ich komme aus einer europäischen Kultur, wo der Zweifel ein hohes Gut ist. Gerade jetzt muss ich meine Zweifel zeigen und über sie sprechen. Und das tue ich."

Gaby Reucher

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