"Freiheitsfalken Kurdistans" gegen Waffenstillstand

Kurz nachdem die PKK dem türkischen Staat ein Waffenstillstandsabkommen angeboten hatte, verübten die "Freiheitsfalken Kurdistans" erneut Terrorakte. Die Anschläge seien Ausdruck der Perspektivlosigkeit der kurdischen Bewegung, schreibt Ömer Erzeren.

Türkische Polizeibeamte untersuchen den Anschlagsort in Marmaris; Foto: AP
Türkische Polizeibeamte untersuchen den Anschlagsort im Urlaubsstädtchen Marmaris an der Mittelmeerküste

​​Mit Terroranschlägen in touristischen Zentren der Türkei wurde die Öffentlichkeit auf die "Freiheitsfalken Kurdistans" aufmerksam. Drei Menschen starben in der Mittelmeerstadt Antalya.

Fast zeitgleich explodierten in Marmaris und Istanbul Sprengsätze. "Wir haben versprochen, die Türkei in eine Hölle zu verwandeln", bekannten sich die Täter in einer im Internet verbreiteten Erklärung.

Bereits vergangenes Jahr hatten sich die "Freiheitsfalken Kurdistans" zu Anschlägen in den Urlaubsorten Cesme und Kusadasi bekannt. In Kusadasi kamen damals fünf Menschen ums Leben.

Als Grund für die Terroranschläge werden die Haftbedingungen Abdullah Öcalans genannt. Der Führer der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Öcalan, sitzt seit 1999, zu lebenslanger Haft verurteilt, auf der Gefängnisinsel Imrali ein.

Wenige Tage vor den Terroranschlägen hatte die Gefängnisleitung eine zwanzigtägige Ordnungsstrafe, inklusive Isolationshaft, über Öcalan verhängt.

Ein verlängerter Arm der PKK?

Die Informationen über die "Freiheitsfalken Kurdistans" sind spärlich. Mit den Attentaten im vergangenen Jahr begann die Gruppierung mit terroristischen Anschlägen. Türkische Zeitungen berichten, die Freiheitsfalken seien auf Geheiß der PKK-Führung gegründet worden.

Murat Karayilan, der zweite Mann nach Öcalan in der PKK, habe die Gründung selbst veranlasst und finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Die Freiheitsfalken seien einfach ein verlängerter Arm der PKK. Sie seien die Bombenleger in den touristischen Gebieten im Westen der Türkei.

Andere Medien spekulieren demgegenüber, dass die Freiheitsfalken gegen die in ihren Augen zu gemäßigte Haltung der PKK zu Felde ziehen. Sie seien eine Abspaltung, die nicht mehr von der PKK-Führung kontrolliert werde.

Dafür spricht, dass die PKK-Führung in einer Erklärung die Anschläge verurteilte und von "marginalen Gruppen" sprach. "Wir lehnen solche Angriffe ab und sprechen den Angehörigen der Toten unser Beileid aus", heißt es in einer Erklärung der Kongra-Gel (Nachfolgeorganisation der PKK).

Nur wenige Tage vor den Anschlägen hatte die PKK dem türkischen Staat ein Waffenstillstandsabkommen angeboten. Auch das spricht für ein unabhängiges Handeln der Falken.

Die Sympathie für die Bombenleger in der PKK-Zeitung "Ülkede Özgür Gündem" ist indessen unübersehbar. "Die Bomben haben Europa Angst eingejagt", ist ein Artikel betitelt, in dem sich der Autor darüber erfreut zeigt, dass europäische Staaten Reisewarnungen aussprechen oder gar von Reisen in die Türkei abraten.

In einem Online-Kommentar der Zeitung bekundet ein Leser Sympathie für die Freiheitsfalken: "Ich verteidige die Freiheitsfalken. Wenn sie [die türkische Regierung, Anm. d. Hrsg.] uns töten, müssen wir sie töten. Wenn sie unsere Wälder in Brand stecken, müssen wir ihre Wälder in Brand stecken."

Perspektivlosigkeit der kurdischen Bewegung

Doch unabhängig von der Frage, ob die Freiheitsfalken Teil der PKK sind oder eine Abspaltung, die keine Weisungen entgegennimmt, sind die Terroranschläge Ausdruck der Perspektivlosigkeit der kurdischen Bewegung in der Türkei.

Abdullah Öcalan; Foto: AP
Abdullah Öcalan ist seit dem 15. Februar 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer inhaftiert

​​Seit der Inhaftierung des abgöttisch verehrten Führers Öcalan, ist eine politische Linie kaum erkennbar. Es sind meist Versatzstücke, die die Anwälte Öcalans bei Gefängnisbesuchen aufpicken und die dann zur Generallinie der Organisation erklärt werden.

Warum ein bewaffneter Kampf gegen den türkischen Staat notwendig ist, mag die Organisation nicht beantworten. Ob Bomben Kurdisch-Unterricht in Schulen herbeiführen, scheint sehr fraglich.

Risikoherd Irak

In den vergangenen Monaten erhöhte die Türkei den politischen Druck auf die USA, die irakische Zentralregierung und die kurdische Föderalregierung im Irak, gegen PKK-Lager im Norden des Irak vorzugehen. In den kurdischen Teilen des Irak kann die PKK bislang weitgehend frei operieren. Sie unterhält Lager, bewaffnete Kämpfer passieren die faktisch unkontrollierbare Grenze zur Türkei.

Seit geraumer Zeit droht die Türkei mit militärischen Schlägen auf irakischem Territorium, falls die USA und irakische Kurden die PKK-Lager nicht auflösten. Türkische Politiker verweisen darauf, dass Israel die Bomben auf den Libanon damit legitimierte, dass die Hisbollah von libanesischem Territorium aus Israel attackiere.

Nouri al-Maliki und George W. Bush; Foto: dpa
Der schiitische Premierminister des Irak, Nouri al-Maliki, und der US-amerikanische Präsident George W. Bush

​​Offenbar haben die türkischen Drohungen Wirkung erzielt. Die USA haben vor wenigen Tagen zur Bekämpfung der PKK einen ranghohen General als Koordinator benannt.

Der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Joseph Ralston, soll zwischen Bagdad und Ankara eine gemeinsame Linie im Kampf gegen die PKK entwickeln. Der irakische Ministerpräsident Maliki betonte ebenfalls, dass der Irak der PKK keinen Unterschlupf bieten dürfe. Die Entwicklungen zeigen, dass es der PKK zunehmend schwer fallen wird, in den kurdischen Regionen des Iraks militärisch zu überleben.

Die Stärkung des Nationalismus

Nach der Inhaftierung des PKK-Führers Öcalan im Jahr 1999 hat die Türkei die Chancen, radikal-kurdische Strömungen in friedliche politische Bahnen zu lenken, verpasst.

Im Zuge der Annäherung an die EU wurden zwar zahlreiche politische Reformen durchgeführt, welche auch Liberalisierungen in der kurdischen Frage zur Folge hatten (kurdische Medien, kurdische Sprache), eine Generalamnestie für PKK-Kämpfer, die viele der Bewaffneten in normale Lebensverhältnisse hätten führen können, blieb allerdings aus.

Mit den jüngsten Anschlägen werden die Falken in einer Politik, die die kurdische Frage als reines Sicherheitsproblem ansehen, gestärkt werden. Doch die Stärkung des Nationalismus entspringt nicht nur der Stimmung im Militär und im Regierungsapparat, sondern hat auch eine Basis in weiten Teilen der türkischen Bevölkerung.

Ömer Erzeren

© Qantara.de 2006

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