Sexuelle Aufklärung ist nötig

In vielen Entwicklungsländern werden junge Menschen nicht systematisch über Sexualität und reproduktive Gesundheit aufgeklärt. Die Tabuisierung schafft Probleme, wie zum Beispiel in Pakistan, wo viele Mädchen noch im Teenageralter verheiratet werden. Von Mahwish Gul

Von Mahwish Gul

Sexuelle Aufklärung gilt in Pakistan als unmoralisch und anstößig. Häufige Kommentare lauten:

               "Unsere Kinder haben keinen vorehelichen Sex, warum sollen wir sie aufklären?"

               "Unsere Generation ist ohne Aufklärung zurecht gekommen."

               "So soll unsere Gesellschaft verwestlicht werden."

               "Sex ist ganz natürlich."

               "Dass Eltern oder Lehrer mit Kindern darüber reden, ist unnatürlich."

Solchen Sprüchen liegt das Missverständnis zugrunde, Sexualkundeunterricht ermuntere zum Sex. Dabei geht es um Gesundheit, Hygiene, Familienplanung und menschliche Beziehungen.

Pakistan hat eine der jüngsten Bevölkerungen der Welt. Mehr als die Hälfte der Einwohner ist unter 30 Jahre alt. Der Arbeitsmarkt bietet ihnen wenig Chancen. Viele arbeiten im informellen Sektor. Nur wenige sind gut ausgebildet.

Fehlende biologische Kenntnisse

Mangelnde Sexualaufklärung verstärkt Probleme. Junge Menschen wissen wenig über ihre Körperfunktionen und haben irrige Vorstellungen über Beziehungen. Leicht zugängliche Internetpornografie prägt ihre Vorstellungen – und enthält oft Gewaltszenen. Folglich ist sexuelle Aufklärung heute nötiger denn je.

 

Doch auch frühere Generationen hätten von soliden Informationen profitiert. Junge Mädchen müssen wissen, dass Menstruation ein natürlicher Vorgang ist. Tabuisierung führt zu Scham, Angst und mangelnder Hygiene. Für viele Mädchen kommt die erste Regelblutung weiterhin als Schock und dann wird ein Leben lang über Menstruation geschwiegen.

In Pakistan heiraten Menschen früh. Das gilt für Frauen besonders: Eine von drei Bräuten ist im Teenageralter. Viele werden schnell schwanger, und das bedeutet ein Gesundheitsrisiko für sie und das Kind. Früh verheiratete Mädchen schließen seltener die Schule ab und finden seltener Arbeit.

Sie bleiben ökonomisch abhängig. Das Risiko häuslicher Gewalt ist für sie höher. Mangelnde sexuelle Aufklärung zurrt destruktive Geschlechterrollen fest und begrenzt die Chancen junger Frauen, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten. Nur wenn eine Frau weiß, wie sie schwanger wird, was deshalb geschieht und nötig ist, kann sie sich und ihr Baby gesund erhalten.

Dass Pakistan seine Geburtenrate senken muss, ist klar. Seit den 1960er Jahren propagiert die Regierung zu diesem Zweck Familienplanung. Es gibt Erfolg, aber nicht im ausreichenden Maß. Im Durchschnitt bekommt eine pakistanische Frau vier Kinder und viele junge Paare verhüten nicht.

Ungewollte Schwangerschaften

Schätzungen zufolge ist jede zweite Schwangerschaft in Pakistan ungewollt. Abtreibungen sind zwar illegal, aber dennoch weit verbreitet. Sie sind sehr riskant, denn die Eingriffe werden meist von medizinisch ungeschulten Personen, aber nicht in klinischen Einrichtungen durchgeführt. Die Lage wäre sicherlich anders, wenn mehr Frauen über Verhütung Bescheid wüssten.

Aber nicht einmal über Krankheiten wird aufgeklärt. Die wenigsten kennen die Übertragungswege von Hepatitis B und C oder von HIV/Aids. Eine Kultur von Scham und Ausgrenzung führt dazu, dass niemand die wahre Verbreitung dieser Krankheiten kennt.

 

 

Über sexuellen Missbrauch von Kindern wird in Pakistan zunehmend berichtet. Das heißt nicht notgedrungen, dass die Fallzahlen gestiegen sind. Unter Umständen wurde bisher nur darüber geschwiegen. Vertuschung sichert jedenfalls Peinigern Straffreiheit. Hingegen kann es Minderjährigen helfen, sich vor Übergriffen zu schützen, wenn sie über ihre Intimsphäre und ihre Rechte Bescheid wissen.

 

Die traurige Wahrheit ist, dass Minderjährige und ihre Belange im öffentlichen Leben Pakistans keine Rolle spielen. Es existiert nicht einmal eine staatliche Statistik über ihr soziales und psychisches Wohlbefinden. Ihre seelische Gesundheit wurde noch nie repräsentativ untersucht. Das entspricht dem Umstand, dass ihnen jedwede Information über reproduktive Gesundheit und Sexualität vorenthalten wird.

 

Vereinzelt arbeiten zivilgesellschaftliche Organisationen daran, die Dinge zu verändern. Sie bezeichnen solche Angebote aber nicht als Sexualaufklärung, sondern sprechen von "Life-skills education" oder "Family-life education". So hoffen sie, jungen Leuten wichtige Informationen zu vermitteln. Den Initiatoren ist klar, dass mangelndes Wissen Probleme schafft – weshalb auch ältere Generationen von fachkundigem Rat profitiert hätten.

 

Geschlechtsverkehr ist nicht das Lernziel. Sexualkunde ist dazu da, die junge Generation auf ein verantwortliches, sicheres und erfülltes Erwachsenenleben vorzubereiten. Dieses Wissen steht vor allem jungen Mädchen zu – denn Nicht- und Falschinformation bezahlen sie allzu oft mit ihrem Körper und manchmal ihrem Leben.

 

Mahwish Gul

 

© E+Z | Entwicklung & Cooperation 2020