Warten auf den Auferstehungstag

In der traditionsreichen Buchreihe "Penguin Classics" erschien 2019 der erste moderne arabische Roman: "Return of the Spirit" von Taufiq al-Hakim. Al-Hakim schrieb sein Frühwerk 1927 in Paris nieder, veröffentlichte ihn aber erst sechs Jahre später in Kairo. Von Marcia Lynx Qualey

Von Marcia Lynx Qualey

Die Buchreihe Penguin Classics hat bis heute fast 3.000 Werke in englischer Sprache veröffentlicht. Die meisten stammen von nordamerikanischen oder europäischen Autoren. Sie enthält spärliche drei Klassiker der mittelalterlichen arabischen Literatur aus der Feder von Ibn Fadlān, Usama ibn Munqidh und Shīhāb al-Dīn an-Nuwairi. Return of the Spirit ist das erste moderne arabische Werk in dieser Reihe – vermutlich eher wegen seiner historischen Bedeutung als wegen des ästhetischen Lesevergnügens.

Al-Hakim (1898-1987) ist ganz sicher ein Autor von "Klassikern". Er übte großen Einfluss auf das Theater, die Literatur und auf den politischen Diskurs im Ägypten des 20. Jahrhunderts aus. Dennoch war "Return of the Spirit" durchaus nicht sein wirkmächtigstes literarisches Werk – nicht einmal unter denen, die er 1933 veröffentlichte, als er auch The People of the Cave und das Diary of a Country Prosecutor herausbrachte.

Nassers Lieblingsbuch

Doch Return of the Spirit wurde zum Lieblingsbuch eines jungen Mannes, der im Ägypten des 20. Jahrhunderts sehr wichtig werden sollte: Gamal Abdel Nasser. Al-Hakim schrieb in seinem Buch The Return of Consciousness (1974), dass sein Roman "die Entstehung seines [Nassers] Nationalismus'" beeinflusst habe. Der erste Präsident Ägyptens habe sich anscheinend in seinen eigenen Werken an ihm orientiert und sogar einen Protagonisten auftreten lassen, der sich ebenfalls Muhsin nannte.

Return of the Spirit beginnt im Jahr 1918. Der erste Abschnitt liest sich wie eine Sittenkomödie. Die Hauptfiguren stammen aus dem Norden Ägyptens und sind nach Kairo zugewandert. Sie leben dort gemeinsam in einer Einzimmerwohnung. Drei davon sind Brüder, die mit ihrer unverheirateten Schwester, die bereits auf die Vierzig zugeht, der Mittelschicht angehören. Ihnen steht ein mittelloser Diener zur Seite. Der sechste ist unser junger Protagonist Muhsin: der wohlhabende Neffe der Familie.

Der Roman ist meist von leichter Heiterkeit getragen. Doch dabei folgt er weniger der schlüpfrigen ägyptischen Bauernsatire eines Yusuf al-Shirbini aus dem 17. Jahrhundert, sondern vielmehr dem komischen Theater der 1920er Jahre. Al-Hakim schrieb Return of the Spirit während seiner Zeit in Paris. Dorthin hatten ihn seine Eltern in der irrigen Hoffnung geschickt, dass die französische Metropole ihrem Sohn die literarischen Flausen austreiben könne. Das war bekanntermaßen nicht der Fall.

Buchcover Taufiq al-Hakim: "Return of the Spirit" im Verlag Penguin Classics
Al-Hakim (1898-1987) ist ganz sicher ein Autor von "Klassikern". Er übte großen Einfluss auf das Theater, die Literatur und auf den politischen Diskurs im Ägypten des 20. Jahrhunderts aus. Dennoch war "Return of the Spirit" durchaus nicht sein wirkmächtigstes literarisches Werk, schreibt Marcia Lynx Qualey.

Muhsins Leben unterscheidet sich in seinen Grundzügen nicht wesentlich von dem Al-Hakims. Auch Muhsins Vater war ein angesehener Bauer. Muhsins Mutter war – ebenso wie die von al-Hakim – eine Türkin, die auf die ägyptische Landbevölkerung von oben herabsah. Beide Elternpaare – das fiktive ebenso wie das reale – schickten ihre Söhne zur Verwandtschaft nach Kairo, damit sie dort studierten.

Von der Sittenkomödie zur ernsthaften Mythologie

Der erste Teil von Return of the Spirit handelt von den romantischen Sehnsüchten des 15-jährigen Muhsin, seiner eifersüchtigen Tante Zanuba und zwei seiner Onkel. Alle drei Männer sind verliebt in Saniya – die kluge und schöne Nachbarin – während Tante Zanuba ein Auge auf den hübschen Nachbarn Mustafa Bey geworfen hat.

Es ist kaum anzunehmen, dass Abdel Nasser sich von diesem Teil besonders inspirieren ließ, obwohl er die Komik der Konstellation möglicherweise genossen hat. Im zweiten Teil vollzieht der Roman eine scharfe Wende: Muhsin steigt in den Zug und besucht seine Eltern im Norden. Hier löst sich der Ton aus der Komödie und steigert sich zu einer ernsthaften, epischen Mythologisierung.

Noch während Muhsin im Zug sitzt, findet ein aufschlussreicher Wortwechsel zwischen den Fahrgästen statt. Ein Mann berichtet von seinen Reisen in Europa und erwähnt dabei, dass die Europäer nicht so freundlich seien wie die Ägypter. Ein anderer Fahrgast meint, das liege daran, dass Europa "ohne Islam" sei, was dem ersten Fahrgast ganz offensichtlich missfällt.

Jetzt bemerken die anderen Fahrgäste das tätowierte Kreuz, das dieser auf seinem Handgelenk trägt. Die einfühlsameren Fahrgäste versuchen sich an Erklärungen: Es sei nicht der Islam als solches gemeint, sondern eher eine Einstellung, die weder etwas mit Religion noch Konfession zu tun habe, sondern vielmehr mit dem "Gefühl der Barmherzigkeit, einer Güte des Herzens". Später greift der Roman dieses anti-konfessionelle Ideal des Miteinanders von ägyptischen Christen und Muslimen auf.

Doch zunächst gelangt Muhsin ans Ziel seiner Reise. Die schlaue, sparsame und fleißige ägyptische Landbevölkerung beeindruckt ihn. Er vergleicht sie mit den beduinischen und osmanischen Invasoren. Diese Bauern mögen nicht so schillernd sein wie die Türken, aber sie bearbeiten ihr Land seit Jahrtausenden solidarisch.

Die Erzählung erreicht ihren siedenden Höhepunkt während eines Monologs eines französischen Archäologen, der Muhsins Vater zum Abendessen besucht. Der Archäologe doziert darüber, wie groß das alte Ägypten einst war und wie Ägypten wieder zu seiner Größe zurückfinden werde. Alles, was dem Land fehle, meint er, sei ein geliebter Führer.

Der ägyptische Schriftseller Alaa al-Aswani verweist in seinem neu verfassten Vorwort zu Return of the Spirit darauf, dass der junge Abdel Nasser sicher von der Rede dieses Franzosen beeinflusst worden sei und sich die Behauptung des Archäologen zu Herzen genommen habe, Ägypten könne "in kurzer Zeit einen erstaunlichen Sprung machen und im Handumdrehen Wunder bewirken".

Das "Erwachen" von 1919

Der zweite Teil liest sich über weite Strecken wie ein ganz anderer Roman. Jetzt wandelt sich die europäische Sittenkomödie in einen Teil der ägyptischen Nahda-Bewegung oder des „Erwachens“ – eine Zeit, in der Intellektuelle an den Grundlagen einer post-osmanischen, genuin ägyptischen Identität arbeiteten.

Doch als Muhsin in die Stadt zurückkehrt, knüpft der Roman an seine tragisch-komische Liebesgeschichte an, als Saniya und Mustafa Bey endlich heiraten dürfen. Dies allerdings ist nicht unser "Happy End". Viel wichtiger ist, dass die letzten beiden Kapitel im März 1919 spielen – mitten in der ägyptischen Revolution –, und dass sich die Vorhersagen des französischen Archäologen erfüllen. Jetzt "ist der Tag des Erwachens gekommen".

Muhsin geht – analog zum jungen Al-Hakim – auf die Straße, um für den Führer der ägyptischen Nationalisten Saad Zaghlul Pascha zu demonstrieren. Wie sein Schöpfer wird auch Muhsin zusammen mit seinen Onkeln festgenommen und inhaftiert.

Der Roman endet mit einer Symbolik, die auf seinen Anfang rekurriert: Alle Männer schlafen zusammengepfercht auf engstem Raum. Doch was zuvor die komödienhafte Kulisse für eine zugreiste Bauernfamilie war, dient jetzt ihrer heroischen Erhebung.

Am Ende legen die Männer ihre romantische Schwärmerei für die schöne Saniya ab. Jetzt verschreiben sie sich – wie auch Al-Hakim, der bekanntermaßen kein Romantiker war – einer höheren Leidenschaft: ihrem Land. Al-Hakim erzählt seinen Roman durchaus mit einem Augenzwinkern. Dennoch wirkt das Werk aus heutiger Sicht auf fast traurige Weise unschuldig.

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2019

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers