Protokoll eines Beziehungsbankrotts

Der Institution der Ehe wird stark zugesetzt in dieser bittersüßen Romanze, meisterlich erzählt von Tahar Ben Jelloun. Sherif Dhaimish hat das Buch gelesen.

Von Sherif Dhaimish

Der Sänger Marvin Gaye sagte einmal, die Ehe sei genau wie die Liebe, "etwas Armseliges– es sei denn, man findet genau diesen einen Menschen, den Seelenverwandten; und das bedeutet unglaublich viel Sucherei." Tahar Ben Jellouns jüngster Roman zeichnet die Ehe als genau das – armselig. Frauenrechte und Emanzipation, Eifersucht, Misstrauen und Hass im Verbund lassen die Partnerschaft zweier Marokkaner zerbrechen, die von zwei Seiten des sozialen Spektrums stammen.

In Jellouns neuen Roman erleidet im Jahr 2000 ein Ehemann, der ein etablierter marokkanischer Maler ist, einen Hirnschlag, der ihn fortan an sein Studio in Casablanca fesselt; er ist auf Pflege angewiesen. Am anderen Ende des Hauses lebt seine Frau mit den Kindern. Nach 20 Jahren Ehe schildern Ehefrau und Ehemann präzise, wie es mit ihrer Ehe ein solch trauriges Ende nehmen konnte.

Das Thema des häuslichen Zwistes wird mit der Zeugenaussage des Mannes angeschnitten. Diese ist verwoben mit immer neuen Blenden in die nahe Vergangenheit, die in der dritten Person erzählte Geschichte kehrt immer wieder zu mehreren Aufenthalten in Marokko und Paris zurück, und macht so nach und nach deutlich, wie sehr der marokkanische Maler darum kämpfte, seinen Hirnschlag zu überwinden. Verfolgt von Erinnerungen an die Vergangenheit und Gewissensbissen ist der Künstler überzeugt, dass sein gegenwärtiges Elend nur die körperliche Manifestation seiner viel größeren Krankheit, der verkrachten Ehe, ist.

Liebe ist stärker als Stolz

Zu Beginn der Geschichte waren die beiden Protagonisten noch Frischverliebte, die sich an der Gesellschaft des jeweils anderen ergötzten – trotz der so unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergründe, denen sie entstammten. Der Maler kommt aus einer bürgerlichen Familie aus Fes, während seine Geliebte dem Volk der Berber angehört und aus dem Süden des Landes stammt. Vorausschauend symbolisiert bereits die Ehezeremonie die Ungleichheit des Paares, als das Treffen der beiden Familien zu einem Zusammenstoß zweier vollkommen unterschiedlicher Welten wird, die sich nicht miteinander vereinen lassen.

Buchcover Tahar Ben Jelloun: "Eheglück" im Berlin-Verlag
In Tahar Ben Jellouns Protokoll eines ehelichen Bankrotts verbindet sich das Persönliche, der schrittweise erfolgende Selbstverlust, auf komplexe Weise mit dem Politischen.

Trotz seiner anfänglichen Überzeugung, dass Liebe starker sein könnte als der Stolz, entwickelt sich seine Ehe immer mehr zu einem ständigen Alptraum – zu einer Krankheit von Körper und Seele, die sowohl den Ehemann als auch Ehefrau am Ende beschädigt zurücklässt.

Während seines durch den Hirnschlag erzwungenen Genesungsprozesses lässt der Maler aus lauter Nostalgie seine vielen Geliebten an seinem geistigen Auge vorbeiparadieren. Wie seine hyperrealistischen Gemälde ist auch "Der Mann, der zu viel liebte" – seine Sicht der Geschichte – eine verzerrte Version der Realität; eine Version, die in erster Linie dazu dienen soll, Sympathie zu wecken für sein allmähliches Dahinsiechen und die Unterdrückung seiner künstlerischen Freiheit. Zum Schiedsrichter dieses zweischneidigen Falles macht Ben Jelloun den Leser.

Das zügellose Tagebuch des Künstlers wird einer unerwarteten und bösen Antwort seiner Frau gegenübergestellt. Die Probleme des Paares scheinen insbesondere daher zu rühren, dass sich der Ehemann mit seiner Familie nur sehr distanziert beschäftigt – ein Fehler, den er letztlich wie nebenbei eingesteht und zugleich etwas, was ihm die Ehefrau immer deutlicher vorhält. Sie gerät schließlich in einen Zustand seltsam verzerrter Eifersucht, verstreut in seinem Zimmer zum Beispiel kleine Talismane, mit denen sie eine göttliche Vergeltung seiner Taten erreichen will und nötigt allen Dingen, die er berührt hat, ihre Gegenwart auf. Gleichzeitig verzichtet sie sogar darauf, ihre eigenen übergriffigen Handlungen und unschönen Wandlungen zu kaschieren und regt sich stattdessen über sein Verhalten auf, stets "die schlimmsten Seiten an ihr zum Vorschein zu bringen". Das Beste hebt sie sich dabei bis zum Schluss auf – und plant ihre Rache mit psychotischer Präzision.

Verbindung aus Persönlichem und Politischem

Die Charaktere sind so komplex und giftig wie die Ehe selbst: in beiden Versionen der Geschichte ist die Ehefrau rachsüchtig, genauso wie er ein unausstehlicher Möchtegern-Casanova ist, der seine Kunst in den Mittelpunkt seines Wertekanons stellt. Und trotzdem gibt es keine plumpe Erklärung dafür, wer oder was verantwortlich ist für den langsamen Niedergang dieser Ehe. Ironischerweise sorgen die beiden Protagonisten gerade mit ihren penetranten Versuchen, Sympathien zu heischen, dafür, dass sich der Leser immer weniger mit ihren Erzählfragmenten identifizieren kann und sich von ihnen abwendet.

Gleichzeitig aber verbindet sich in diesem Protokoll eines ehelichen Bankrotts und des schrittweisen Selbst-Verlusts auf komplexe Weise das Persönliche mit dem Politischen. So wird offenbar, wie die Veränderungen der sozio-ökonomischen Landschaft Marokkos und der Geschlechterpolitik des Landes die spirituelle und emotionale Krankheit der beiden Eheleute fast zwangsläufig nach sich zogen.

Auch wenn "Eheglück" immer am Abgrund der Tragödie wandelt, sind die verhandelten Themen doch auf gelungene Weise in eine bittersüße Romanze eingeflochten. Ben Jelloun gelingt es meisterhaft, uns nicht die Entscheidung für eine der beiden Versionen aufzuzwingen. Stattdessen zeigt er ganz einfach und ziemlich überzeugend auf, dass im Grunde alle Ehen zum Scheitern verurteilt sind.

Sherif Dhaimish

© Qantara.de 2016

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Tahar Ben Jelloun: "Eheglück". Aus dem Französischen von Christiane Kayser. Berlin-Verlag 2014, 316 Seiten, ISBN: 9783827011671