Heimliche Heldinnen

Syrische Frauen der Rettungsorganisation Weißhelme sind als Helferinnen oft an vorderster Front aktiv. Es ist daher an der Zeit, ihren mutigen Einsatz für den Zivilschutz in dem Bürgerkriegsland angemessen zu würdigen, meint Anna Fleischer.

Von Anna Fleischer

Kriege haben heimliche Helden. In Syrien trifft das sicherlich auf die örtlichen humanitären Helfer zu, die buchstäblich ihr Leben aufs Spiel setzen, um ihren Mitmenschen zu helfen.

Sofern es sich bei diesen Helfern um Frauen handelt, sind sie noch weniger sichtbar, denn sie unterliegen einer Mischung aus sozialen Stereotypen und Restriktionen, vor allem in konservativen Kreisen und wegen der Ablehnung derjenigen, die die Präsenz von Frauen an der "humanitären Front" nicht dulden wollen.

Am 8. März begingen wir den Internationalen Frauentag. Ein guter Anlass, diesen heimlichen Heldinnen eine Stimme zu verleihen und ihre Arbeit ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Diese Frauen dürfen nicht länger im Schatten stehen; ihre Arbeit und ihr Engagement verdienen Anerkennung.

In den Zivilschutzorganisationen der weltweiten Konfliktgebiete arbeiten viele Helden und Heldinnen. Zu den bekannteren zählt der private Syrische Zivilschutz, auch bekannt als die Weißhelme, die seit 2013 in Syrien arbeiten und nach eigenen Angaben bereits 114.000 Menschenleben gerettet haben. Weniger bekannt ist, dass diese Organisation auch gezielt Frauen in ihre Programme einbezieht.

Muzna Dreid, Verbindungsoffizierin der Weißhelme mit Sitz in Kanada, sprach Ende Februar über Skype mit mir und erläuterte ihre vielseitige Arbeit für den Zivilschutz in Syrien: "Neben den spektakulären Videos über die sogenannten Such- und Rettungsmissionen, in denen Weißhelme Leichen aus Trümmern bergen, gibt es noch viele weitere Programme. Dazu gehören die Suche nach Bodenminen, die Einrichtung von Frauenzentren sowie eine App zur Verfolgung von Kampfflugzeugen. Wir arbeiten auch an der Beweis- und Rechenschaftslegung, indem wir Boden- und Genproben von Angriffsorten sammeln und bereitstellen."

Frauen mit Helmen

Mitglied der Weißhelme leistet medizinische Hilfe für Zivilisten; Foto: Syria Civil Defence
Helfer in größter Not: Ohne die Arbeit der Weißhelme wären im Syrienkrieg noch mehr Menschen getötet worden: zerquetscht, verbrannt oder eingesperrt in den Trümmern ihrer aus der Luft beschossenen Häuser. Dieses Engagement brachte den Weißhelmen 2016 den Alternativen Nobelpreis ein - in Anerkennung einer Arbeit, bei der die Helfer und Helferinnen ihr Leben aufs Spiel setzen.

Die App zur Verfolgung von Flugbewegungen sammelt Daten von den Stützpunkten der syrischen und russischen Luftwaffen und warnt vor voraussichtlichen Bombardierungen. So können die Bewohner rechtzeitig ein bestimmtes Gebiet verlassen oder zumindest Deckung suchen.

In jüngster Zeit beteiligen sich immer mehr Frauen an der Arbeit der Weißhelme. Zusätzlich zur Arbeit in den 31 Zentren in Syrien, die in erster Linie Unterstützung für Frauen und Kinder mit den Schwerpunkten Mutterschaft und Gesundheit anbieten, klären die Helferinnen über nicht-explosive Kampfmittel und Minen auf. Mittlerweile arbeiten immer mehr Frauen mit: Neben den 2.800 männlichen Weißhelmen sind es aktuell 231 weibliche.

Darauf ist Muzna stolz: "Letztes Jahr ist es uns gelungen, unsere internen Regeln zu ändern und für den Vorstand eine Frauenquote einzuführen. Zudem werden unsere Frauenzentren jetzt ausschließlich von Frauen geleitet." Diese Entwicklung ist ermutigend, denn diese Frauen haben Zugang zu anderen Netzwerken als ihre männlichen Kollegen, können medizinische Versorgung leisten und für spezifische Themen sensibilisieren.

Die Arbeit bleibt allerdings alles andere als einfach. "Weibliche Weißhelme stehen vor besonderen Herausforderungen, da die Arbeit traditionell eine Domäne der Männer ist. Wegen der hohen Gefahren und Belastungen gilt sie für Frauen als ungeeignet", räumt Muzna ein.

Gleichwohl bleiben die Frauen hartnäckig und erledigen ihre Arbeit. In Notfällen nehmen sie an Such- und Rettungseinsätzen teil, führen aber auch allgemeinere Sensibilisierungsmaßnahmen durch.

Idlib unter Beschuss

Auf Idlib entfällt das Gros der Arbeit. Das letzte nicht vom Assad-Regime kontrollierte Gebiet wird seit Wochen von den syrischen und russischen Streitkräften aus der Luft bombardiert. Offensichtlich ist das Ziel die totale Unterwerfung. Jeder, der das Assad-Regime ablehnt, gilt als Feind und soll zur Kapitulation gezwungen werden.

"Die Krise in Syrien hat sich in den letzten Monaten erheblich verschärft. Nach Angaben der UNO stehen 4,5 Millionen Menschen in Idlib unter Beschuss. Dies ist die größte humanitäre Krise in der neueren Geschichte", erklärt Muzna. Nahezu alle medizinischen Einrichtungen in Idlib sind bereits zerstört; die übrigen sind völlig überfordert. Und ein Ende dieser massiven Angriffe ist nicht in Sicht.

Laut Muzna "sind wir für ganz Syrien da, aber Idlib steht derzeit im Fokus, weil die Region unter intensivem Bombardement steht und vier Millionen Zivilisten dort gefangen sind. Wir arbeiten aber auch in den ländlichen Gebieten von Hama, Latakia, Aleppo, Afrin und Manbidsch. Es geht also nicht nur um Idlib, aber die Bombardierungen verlangen hier verstärkt nach Such- und Rettungseinsätzen."

Kampf um die Wahrheit

Die Kämpfe dauern an, nicht nur vor Ort, sondern auch im Internet. Die starke Medienpräsenz der Weißhelme hat auch ihre Schattenseite: eine anhaltende und massive Verleumdungskampagne.

Der von der Menschenrechtsgruppe "The Syria Campaign" verfasste Bericht "Killing the Truth" beschreibt diese Desinformation auf eindrucksvolle Weise. Urheber sind staatlich unterstützte russische Stellen, eine Armee von Trollen und Assad-Apologeten, die gleichzeitig als Blogger tätig sind.

Sie bezichtigen die Weißhelme, mit Al-Qaida in Verbindung zu stehen und die Angriffe zu inszenieren, um das Assad-Regime und die russische Armee zu diffamieren. Obwohl diese Anschuldigungen absurd sind, hat die Kampagne bewirkt, dass viele Menschen außerhalb Syriens nicht mehr wissen, "was wahr ist".

Dies ist ein trauriges Ergebnis einer Propagandamaschine, die das Leiden der Zivilbevölkerung in Syrien ignoriert. Und sie kostet das Leben der Menschen vor Ort, indem sie wertvolle humanitäre Arbeit behindert, Gelder blockiert oder Organisationen wie die Weißhelme zwingt, sich ständig zu rechtfertigen, anstatt sich auf ihre eigentliche Arbeit zu konzentrieren.

Der Kampf um die Wahrheit geht weiter, wie der Bericht von "The Syria Campaign" weiter bezeugt: Diese negative Berichterstattung droht die Arbeit der Weißhelme in ihrem Bemühen, Leben zu retten und Kriegsverbrechen aufzudecken, erheblich zu beeinträchtigen. Falsche Anschuldigungen wirken über die Twitter-Posts hinaus, indem sie die Angriffe in Syrien legitimieren.

Mittlerweile haben bereits mehr als 200 Freiwillige in diesem gefährlichen Einsatz ihr Leben gelassen. Die Weißhelme wurden häufig Opfer der "double tap"-Angriffe der syrischen und russischen Streitkräfte. Hier folgt auf den ersten Luftangriff kurze Zeit später ein zweiter, der gezielt den Rettern gilt. Diese menschenverachtenden Taktiken sind gut dokumentiert und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Am 11. November 2019 erlitten die Weißhelme einen weiteren Verlust: James Le Mesurier stürzte unter ungeklärten Umständen vom Balkon seiner Wohnung in Istanbul. Nur wenige Tage zuvor hatte ihn das russische Außenministerium über seinen offiziellen Twitter-Account der Spionage bezichtigt. So ist auch dieser Vorfall ein weiterer Akt im Kampf um die Wahrheit in Syrien.

Niemals aufgeben

Der Brite James Le Mesurier gründete die Stiftung "Mayday Rescue" zur Ausbildung und Koordination syrischer Weißhelme für die Rettung von Bombenopfern. Als ehemaliger Angehöriger der britischen Armee verfügte er über wertvolle Kenntnisse für solche Rettungseinsätze.

James Le Mesurier, der aus Großbritannien stammende Gründer der syrischen Rettungsorganisation Weißhelme; Foto: picture-alliance/AP Photo
Tragischer Verlust für Syriens Weißhelme: Der frühere britische Armee-Offizier James Le Mesurier galt als treibende Kraft bei der Gründung der Organisation im Jahr 2013. Die Arbeit der rund 3.000 Freiwilligen wird mitunter durch Spenden aus dem Ausland möglich gemacht. Die Weißhelme wurden durch ihren Einsatz im syrischen Bürgerkrieg bekannt, vor allem im Osten der lange Zeit heftig umkämpften Stadt Aleppo. Sie waren nach Bombenangriffen oft unter den ersten Helfern vor Ort.

Muzna hat eine klare Botschaft, die über Idlib hinausgeht und für das ganze Land gilt: "Wir sind bereit, überall in Syrien zu arbeiten, auch in den vom Regime kontrollierten Gebieten. Zwar weigert sich das Regime aus politischen Gründen, doch sind wir immer bereit, den Syrern zu dienen, egal wo sie leben."

Dies ist eine bemerkenswerte Aussage, wenn man bedenkt, dass Assad die Weißhelme als Terroristen betrachtet, die gewaltsam ausgeschaltet werden sollen. Sie unterstreicht die Selbstverpflichtung der Weißhelme, der Zivilbevölkerung überall im Land zu helfen, zum Beispiel durch die Beseitigung der zahlreichen Bodenminen.

Die nackte Wahrheit in einem grausamen Krieg

Diese Arbeit wird immer dringlicher, da die russische Regierung Syrien zum Testgebiet für ihre neuesten militärischen Errungenschaften erklärt hat. So sagte der russische Verteidigungsminister, in Syrien seien über 200 Waffen getestet worden. Es werden Jahre vergehen, bis die Böden entmint und wieder sicher sind.

Vor diesem Hintergrund hinterlässt James Le Mesurier nicht nur bei den Menschen, die ihn kannten, sein Vermächtnis. Es lebt weiter in Menschen wie Muzna und den weiblichen Weißhelmen vor Ort in Syrien, die trotz aller Gefahren Leben retten und ihren Mitmenschen helfen.

Wenn in Syrien eine Bombe fällt, kommen weder Feuerwehr noch Krankenwagen. Die einzigen, die kommen und Zivilisten retten, sind freiwillige Männer und Frauen. Das ist die nackte Wahrheit in diesem grausamen Krieg.

"Unsere Einstellung und unsere Perspektive erklären sich aus unserer Arbeit – sie spricht für sich selbst", sagt Muzna. "Die Lage in Syrien ist verheerend. Wir haben nicht die Zeit, uns ständig zu erklären; wir arbeiten einfach weiter."

Anna Fleischer

© Qantara.de 2020

Anna Fleischer ist Programmkoordinatorin im Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Ihr besonderes Interesse gilt der Gender-Gerechtigkeit und den Basisbewegungen mit besonderem Fokus auf Syrien.

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers