Kampf gegen Unterdrückung und Zensur

Syrische Schriftsteller haben im Exil einen neuen Verband gegründet. Ihr Ziel ist es, die reiche literarische Tradition des Landes fortzuführen - und die Schrecken des Krieges in Literatur zu bannen. Von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

Die vor anderthalb Jahren im Exil gegründete "Vereinigung syrischer Schriftsteller", die sich als Opposition zum regimenahen syrischen Schriftstellerverband versteht, ist allen Anfeindungen zum Trotz zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Die Organisation mit Sitz in London wächst und wächst.

Allein in den letzten drei Monaten schlossen sich ihr nicht nur weitere vier Dutzend syrische Publizisten an – sie zählt mittlerweile rund 350 syrische Mitglieder –, sondern auch mehr als 200 Intellektuelle aus Ägypten, Tunesien, dem Irak, Libanon, Marokko, den Palästinensergebieten und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Als "Ehrenmitglieder" stärken diese arabischen Literaten, Künstler und Journalisten der Schriftstellervereinigung den Rücken und drücken damit auch ihre Unterstützung für das Anliegen der syrischen Kollegen aus, neben der politischen auch eine kulturelle Wende in ihrem Land herbeizuführen.

Freie Meinungsäußerung ohne Fesseln und Vorschriften

Dazu beitragen soll die Zeitschrift des Verbands "Awraq" (Blätter), die im Untertitel für "Freie Meinungsäußerung ohne Fesseln und Vorschriften" wirbt und jetzt zum zweiten Mal erschienen ist.

Sadiq J. al-Azm; Foto: Miguel Leyva
Der in Damaskus geborene syrische Philosoph Sadiq J. al-Azm plädiert dafür, in Syrien eine "konfessionell und ideologisch neutrale Staatsform" zu etablieren.

Herausgeber ist der 1934 in Damaskus geborene syrische Philosoph Sadiq J. al-Azm, der mehrere Jahre in Deutschland gelebt hat und sich zurzeit an der Universität von Harvard aufhält. In seinem Vorwort – wie überhaupt im ganzen neuen Heft – wird dem Phänomen des politischen Islams entschieden mehr Aufmerksamkeit geschenkt als in der ersten "Awraq"-Ausgabe.

Kaum zu übersehen aber ist, dass die Beiträge zu diesem Thema aus einer defensiven Haltung heraus geschrieben sind: Man ist bemüht, das Bild von den syrischen Aufständischen als fanatischen Gotteskriegern zu korrigieren. So ist es aus al-Azms Sicht keineswegs allein der islamistische Faktor, der das revolutionäre Projekt in Syrien in Bedrängnis bringt.

Stilisierter Glaubenskrieg

Hinzu kommen die militärische Pattsituation zwischen Assads Truppen und den Aufständischen sowie das Bestreben, in der öffentlichen Wahrnehmung den Eindruck zu erzeugen, dass die Rebellen nichts weiter als Schachfiguren im Machtspiel der Großmächte seien.

Vernebelt werde der Blick auf die eigentlichen Ziele der Revolution auch dadurch, dass die divergierenden politischen Ansichten von säkularen und islamistischen Rebellen zu einer Art Glaubenskrieg stilisiert würden, von dem angeblich die gesamte arabische Welt erfasst worden sei.

Das Erstarken der radikalislamischen Kräfte im Land, glaubt al-Azm, werde am Ende nur eine Episode gewesen sein: Extremismus, das habe die Geschichte immer wieder gezeigt, könne sich langfristig höchstens als Randphänomen behaupten.

Cover der ersten Ausgabe von Awraq
Für eine politische und kulturelle Wende in Syrien: die Zeitschrift „Awraq“ (Blätter) der "Vereinigung syrischer Schriftsteller" im Londoner Exil

Dieser Lesart folgt in "Awraq" auch der in Edinburgh lehrende Orientalist Thomas Pierret wenn er bemerkt, dass sich bislang der internationale Dschihadismus als Leitideologie der Islamisten in Syrien nicht habe durchsetzen können. Vielmehr etabliere sich hier eine Spielart des syrischen Patriotismus, die lediglich islamistisch gefärbt sei.

Nicht jeder, meint der syrische Publizist Odai al-Zubi, der zum Dschihad aufrufe und eine schwarze Fahne hisse, müsse gleich auch al-Qaida angehören. Er beobachtet, dass in letzter Zeit Angehörige der Freien Syrischen Armee (FSA) neben der Revolutionsflagge auch die von al-Qaida beanspruchte schwarze Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis verwenden, was al-Zubi aber als rein religiösen und nicht als politischen Akt verstanden wissen will.

Auch dürfe nicht jeder, der zum Dschihad gegen das Assad-Regime aufrufe, als islamischer Terrorist gelten – viele Rebellen, darunter auch FSA-Kämpfer, bezeichneten sich als Mudschahidin, ohne jedoch einer islamistischen Ideologie anzuhängen oder die Gründung eines islamischen Staates anzustreben.

Gefängniserfahrungen oppositioneller syrischer Schriftsteller

Einen weiteren Schwerpunkt bilden in "Awraq" die Gefängniserfahrungen oppositioneller syrischer Schriftsteller. Besonders bewegend ist die des syrischen Dramatikers Ghassan al-Dschibai. 1982 wurde er im Alter von 32 Jahren – sein Sohn war gerade geboren – verhaftet und saß dann zehn Jahre im Gefängnis, ohne dass ihm der Prozess gemacht wurde. Nach seiner Entlassung hatte er als Theaterregisseur mit Berufsverboten zu kämpfen.

Im Gespräch mit "Awraq" berichtet al-Dschibai, dass nun sein Sohn, ebenfalls Theaterautor und im gleichen Alter wie er seinerzeit auch im Gefängnis gelandet ist. Dennoch gibt sich der Vater optimistisch: "Als die ersten Demonstranten in Daraa auf die Straße gegangen sind, sagte ich zu meiner Frau: 'Der Sieg ist schon unser'."

Weitaus skeptischer gibt sich die aus Aleppo stammende Prosa-Autorin Ibtisam Teresa, die sich in einem ihrer frühen Werke mit dem Widerstand der Syrer gegen die französischen Besatzer befasst hatte. Sie muss seit der Verhaftung ihres Sohnes im Februar 2012 ständig an die von ihr beschriebenen Foltermethoden der Franzosen denken.

In neun imaginierten Briefen des Sohnes an die Mutter malt sich die Schriftstellerin in "Awraq" aus, wie der Gefangene heute der Folter im Gefängnis trotzt: Er habe gelernt, den gequälten Körper vom Geist zu trennen. Oft betrachte er sich von außen und bete, den Verstand nicht zu verlieren.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de