
Sufismus in ÄgyptenSufis, Scheichs und Scharlatane
Wenn er auf der Bühne stand und den Dhikr vollzog, erzählt Essam Abdou, dann sei es gewesen, als ob er fliege. Dann spürte er die Energie seiner Bandkollegen auf ihn übergreifen, die sich zusammen mit ihm dem Sufi-Ritual hingaben, den Namen Gottes rhythmisch auszusprechen, immer schneller, immer lauter, bis zur Ekstase. Alles Negative wich dann von ihm. Es war wie eine Meditation, sagt Abdou und verbessert sich sogleich: Nein, es war besser als das. Du gehst an die Extreme mit deiner Stimme - und mit deiner Seele.
Dabei war Essam Abdou selbst nicht einmal ein Sufi, ein Anhänger der mystischen Strömung des Islams. Und er ist es auch heute nicht. Vor einem Jahr hat der inzwischen 34 Jahre alte Ägypter die Sufi-Band "Al Hadra", die er mitgegründet und in der er gesungen hatte, sogar verlassen. Nicht im Guten.
Um die Gründe dafür zu verstehen, muss man etwas mehr wissen über den Sufismus - und über Ägypten heute, fünf Jahre nach dem Ende der Herrschaft der islamistischen Muslimbrüder und der Machtübernahme durch Abdel Fattah al-Sisi, den Präsidenten, der im Frühjahr für eine zweite Amtszeit gewählt wurde.
Von der "Sisi-Mania" bis zur offenen Ablehnung
Als Sisi den damaligen Präsidenten Mohamed Mursi am 3. Juli 2013 abgesetzt hatte, schien der Personenkult um den neuen starken Mann ins Unermessliche zu wachsen. So groß waren die Wunden der Revolution und des anschließenden verworrenen Kampfes zwischen den Islamisten, den säkularen Revolutionären und den Anhängern des alten Regimes, so groß die Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung, dass viele Ägypter glücklich darüber waren, wieder einen Militär am Ruder zu sehen. Das Schlagwort der "Sisi-Mania" machte die Runde, es gab Devotionalien bis hin zu Schokolade und Unterwäsche, und Politiker und einfache Bürger überboten sich in Ehrbezeugungen.

Und heute? "Unter Mubarak war alles besser", sagen manche Ägypter, wenn sie auf den erbarmungswürdigen Zustand der Wirtschaft angesprochen werden. Oder: "Sisi, geh weg!" - ein Hashtag, der so lautete, machte kürzlich wieder die Runde im Internet. Sisi war so getroffen, dass er bei einer Rede sogar dazu Stellung nahm und sich darüber beklagte, dass sein Einsatz für das Land nicht gewürdigt werde. Vor allem in westlich orientierten Kreisen macht man sich offen über den Präsidenten lustig.
Aber natürlich waren die 97 Prozent Zustimmung, die Sisi im März bei der - stark gelenkten - Wiederwahl erhielt, kein komplett erfundenes Ergebnis. Und zum anderen: In den Spott mischt sich Furcht. Kurz nach der Machtübernahme hat das Regime begonnen, systematisch den Raum für die Opposition und für die Zivilgesellschaft zu beschränken, der sich während der Arabellion 2011 geradezu explosionsartig vergrößert hatte.
Alles unter Kontrolle
Die jüngste Maßnahme ist ein neues Mediengesetz. Wenn der Präsident es unterzeichnet hat, steht die Verbreitung von "Fake News" unter Strafe, wobei alle Internetseiten, Blogs und Konten in den sozialen Netzwerken, die mehr als 5.000 Abonnenten haben, als Medien gelten. Ohnehin ist Ägypten nach Aussage der Organisation "Reporter ohne Grenzen" derzeit "eines der größten Gefängnisse für Journalisten auf der Welt".
Leserkommentare zum Artikel: Sufis, Scheichs und Scharlatane
Der Aufsatz ist eine Mishung von allem, was der Sufismus hat zu tun mit Sisi und Mursi? Und wie kaemen Sie auf diese Idee? dass die Gesellschaft in Aegypten tief von Islamismus gepraegt ist? Kein Hinweis von irgendwelcher Quelle ausser BBC! Ich dachte, es geht um Sufismus in Aegypten.d.h kurze Beschreibung ueber die Sufi in Aegypten, Volkssitten und so weiter!
Lamis 10.09.2018 | 10:12 UhrÄgypten als Mutterland des Islamismus zu bezeichnen ist schon gewagt. Bislang galt der Islamismus als Import durch rückkehrende Gastarbeiter aus dem Irak und von der Arabischen Halbinsel. Der Sufismus hingegen war bis dahin die vorherrschende gelebte religiöse Praxis, die ab den 60'ern zunehmend diskreditiert wurde.
Wolfram Obermanns11.09.2018 | 23:30 UhrNachzulesen u.a. bei Amitav Gosh: "In einem alten Land"
Der bekannte Romancier erlaubt sich in diesem Buch einen Ausflug in die Sozialantrophologie, in der er zum Thema in Oxford promovierte.
Lieber Herr Obermanns,
natürlich gibt es - historisch gesehen - viele islamistische Strömungen. Denken Sie nur an Abu Ela al-Maududi. Aber der Autor betont vollkommen zurecht, dass die islamistische Ideologie der Muslimbruderschaft auf den Ägypter Hassan al-Banna im Jahr 1920 zurückgeht. Von daher ist Ägypten, wo die Bruderschaft populär und groß wurde (erst später in anderen arabischen Ländern) schon als Wiege des Islamismus zu bezeichnen - das ist durchaus nicht bewertend gemeint!
Georg Wolff12.09.2018 | 10:37 UhrLiebe Leser und Kommentatoren, ich möchte an dieser Stelle nur kurz darauf hinweisen, daß Qantara.de meinen Artikel aus der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gekürzt übernommen hat bzw. nur ungefähr die ersten zwei Drittel. Der vollständige Artikel findet sich auf der Seite der F.A.Z., leider kann ich hier nicht direkt verlinken.
Christian Meier16.09.2018 | 13:53 Uhr