Programmierter Konflikt auf vermintem Gelände

Al-Quds, das arabische Ost-Jerusalem, ist offiziell seit März "Arabische Kulturhauptstadt 2009". Der Konflikt mit den Israelis, die die Souveränität über die Stadt für sich beanspruchen, war somit programmiert. Einzelheiten von Joseph Croitoru

Israelische Flagge in Jerusalem; Foto: AP
"Al-Quds" als arabische Kulturhauptstadt: Der Ostteil von Jerusalem ist seit 1967 von Israel besetzte Zone.

​​Ursprünglich sollte die irakische Hauptstadt Bagdad den Titel "Arabische Kulturhauptstadt 2009" erhalten, der seit 1996 alljährlich von den Kulturministern der in der Unesco vertretenen arabischen Länder an eine arabische Hauptstadt verliehen wird.

Die Iraker zeigten jedoch kein Interesse. Der daraufhin angesprochene palästinensische Präsident Mahmud Abbas sagte hingegen zu, weil er darin die Chance sah, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die palästinensische Kultur und die prekäre Situation der Palästinenser in Ost-Jerusalem zu lenken. Der Konflikt mit den israelischen Behörden, die die Souveränität über die Stadt für sich beanspruchen, war somit programmiert.

Es geht nicht nur um Kultur

Dass es dem Veranstaltungskomitee der palästinensischen Autonomiebehörde bei dem Projekt um mehr als nur Kultur geht, lässt bereits das Logo der Initiative ahnen. Es besteht aus einem ornamentalen achteckigen Stern mit der Silhouette Ost-Jerusalems, die ein Stacheldraht durchzieht.

Was die Palästinenser allerdings als einen Akt kultureller Selbstbehauptung in der von Israel besetzten Stadt ansehen, wollte Israels Minister für innere Sicherheit, Avi Dichter, als rein politischen Widerstandsakt verstanden wissen. Dichter, der mittlerweile den Posten verlassen hat, versuchte deshalb, sämtliche einschlägigen Kulturaktivitäten der Palästinenser mit aller Härte zu verhindern.

​​Minister Dichter rechtfertigte diese Repressionen zwar damit, dass laut Friedensvertrag die palästinensische Autonomiebehörde nicht berechtigt sei, in Ost-Jerusalem Veranstaltungen abzuhalten.

Dass hier aber weit mehr im Spiel ist als nur Vertragsformalitäten, zeigt schon die Tatsache, dass die Eröffnungsfeier, die wegen des jüngsten Gaza-Krieges von Januar auf Ende März verschoben werden musste und in Ost-Jerusalem stattfinden sollte, von der israelischen Polizeibehörde schon im Vorfeld verboten wurde.

Palästinenser, die am 21. März, dem Stichtag für die Auftaktveranstaltungen, in kleinen Gruppen für ihr Recht auf kulturelle Freiheit demonstrierten, trafen auf Hunderte israelische Polizisten, die in Ostjerusalem flächendeckend gegen sie vorgingen.

Im Zuge der Auseinandersetzungen kam es zu zwanzig Verhaftungen, jede aus israelischer Sicht suspekte Zusammenkunft und sogar eine Schulfeier wurden von Sicherheitskräften gesprengt. Auch in arabischen Ortschaften im israelischen Kernland werden einschlägige Solidaritätsveranstaltungen israelischer Araber offenbar nicht geduldet – eine solche wurde am selben Tag in Nazareth unterbunden.

Ostjerusalemer Kulturinstitutionen in Gefahr

Die Eröffnungsfeierlichkeiten für die diesjährige arabische Kulturhauptstadt mussten schließlich nach Bethlehem verlegt werden. Palästinenserpräsident Abbas, der dort die Eröffnungsrede vor einer Bühnenkulisse der Jerusalemer Altstadt hielt, verurteilte nicht nur Israels Vorgehen in dieser Angelegenheit, sondern auch die Besetzung und den Bau der Sperranlage.

Mahmud Abbas; Foto AP
Der angeschlagene Präsident Abbas wollte sich die Chance nicht entgehen lassen, mit der Kulturveranstaltung auf die Situation der Araber in Ost-Jerusalem aufmerksam zu machen.

​​Welches Schicksal die zahlreichen, auch in Ostjerusalem geplanten Veranstaltungen – darunter Folklore-, Kunst- und Geschichtsausstellungen sowie Konzerte, Tanz- und Theaterfestivals – erwartet, bleibt indessen unklar.

Arabischen Medien nach haben die israelischen Behörden sogar all jenen palästinensischen Kulturorganisationen in der Stadt, die sich weiterhin an dem Projekt beteiligen wollen, mit dem Aus gedroht.

Das Verhalten Israels sorgt in den palästinensischen und arabischen Medien für heftige Proteste. Ein Leitartikler der Ostjerusalemer Zeitung "Al-Quds" sieht in der Unterdrückung der palästinensischen Kulturaktivitäten lediglich eine Fortsetzung des israelischen Versuchs, den arabischen Teil der Stadt schrittweise zu "judaisieren". Mittlerweile finden in der arabischen Welt fast täglich Protest- und Solidaritätsveranstaltungen statt.

Dass auch Daniel Barenboim das Vorgehen der Israelis gegen das palästinensische Kulturprojekt in Ostjerusalem verurteilte und die damit zusammenhängenden Festnahmen als Zeichen der israelischen Angst vor der palästinensischen Kultur bezeichnete, konnte man allerdings in den israelischen Medien nicht lesen.

Nun will auch die arabische Exilgemeinde in Europa die Palästinenser aktiv unterstützen: Das Pariser Institut du Monde Arabe hat angekündigt, in diesem Jahr mit einem breiten Veranstaltungsprogramm auf das Ostjerusalemer Projekt und die palästinensische Kultur in all ihren Facetten hinzuweisen.

Joseph Croitoru

© Qantara 2009

Joseph Croitoru, geb. 1960 in Haifa, ist promovierter Historiker, Journalist und Nahostexperte. Seit 1988 arbeitet er als freier Journalist, zunächst für die israelische, seit 1992 für die deutschsprachige Presse. Er ist Autor der FAZ und der NZZ. Jüngste Buchveröffentlichung: "Hamas. Der islamische Kampf um Palästina" (C. H. Beck 2007).

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