Neue Aufregung um Itamar Ben-Gvir

In Israel wird über die Gründung einer Nationalgarde heftig diskutiert. Das Projekt, das Sorgen vor einer "Privatmiliz“ von Minister Ben-Gvir aufkommen lässt, sei aber weder neu noch in der angestrebten Form realisierbar, analysiert Joseph Croitoru.  
In Israel wird über die Gründung einer Nationalgarde heftig diskutiert. Das Projekt, das Sorgen vor einer "Privatmiliz“ von Minister Ben-Gvir aufkommen lässt, sei aber weder neu noch in der angestrebten Form realisierbar, analysiert Joseph Croitoru.  

In Israel wird über die Gründung einer Nationalgarde heftig diskutiert. Das Projekt, das Sorgen vor einer "Privatmiliz“ von Minister Ben-Gvir aufkommen lässt, sei aber weder neu noch in der angestrebten Form realisierbar, analysiert Joseph Croitoru.  

Von Joseph Croitoru

Eine "Nationalgarde“, wie sie sich der rechtsextreme Politiker und Minister Itamar Ben-Gvir für Israel wünscht, ist eigentlich auch schon vom Klang her für israelische Ohren fremd. Das israelische Militär heißt im Hebräischen "Armee zur Verteidigung Israels“, die Polizeikräfte nennen sich "Israels Polizei“. Mit einer Nationalgarde assoziiert man eher autoritäre Regime besonders in arabischen Staaten der Region. Der Hang zur expliziten Verwendung des Begriffs "national“ bei der Benennung staatlicher Organe kennzeichnet in Israel bekanntlich weit stärker die Rechte als die Linke.

Benjamin Netanjahus Parteifreund Ariel Sharon erhielt 1996 ein "Ministerium für nationale Infrastrukturen“ und Netanjahu rief drei Jahre später den "Rat für nationale Sicherheit“ ins Leben. Doch selbst in seiner langen Regierungszeit hielt sich die "Nationalisierung“ der Ministerien in Grenzen – es kam nur ein "Nationaler Minister für Digitales“ hinzu. 

Bei der rechtsextremen Partei "Die nationale Union“ hatte Itamar Ben-Gvirs politische Karriere begonnen. Als Netanjahu ihn Ende 2022 in die Regierung holte, ließ sich Ben-Gvir zum "Minister für nationale Sicherheit“ erklären – zuvor nannte sich das Ressort "Innere Sicherheit“.


Protest gegen die geplante Justizreform in Israel; Ammar Awad/Reuters
Seit Wochen protestieren in Israel Zehntausende gegen Pläne der rechtsreligösen Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu zur Reform der Justiz. Obwohl das Vorhaben Ende März zunächst aufgeschoben wurde, gehen die Proteste weiter. Die geplante Nationalgarde hat zu neuer Aufregung und neuen Befürchtungen geführt. "Trotz der allgemeinen Unklarheit über Charakter und Aufbau der neuen Garde halten Kritiker in Israel an der Vorstellung von einer 'Privatmiliz' Ben-Gvirs fest“, schreibt Joseph Croitoru. "Bei den jüngsten Protesten gegen die Regierung Netanjahu marschierten in Tel Aviv gar als 'Gardisten' verkleidete Demonstranten im Gleichschritt und sicherten dem 'Tyrannen' lauthals ihre Loyalität zu.“



Seine Parteifreunde von "Otzma Yehudit“ (Jüdische Stärke) zeichnen für ähnlich lautende ministerielle Ressorts verantwortlich: "Siedlung und nationale Aufgaben“, "Negev, Galiläa und nationale Stärke“. Die nationalistische rhetorische Färbung ist ein unverkennbarer Wesenszug dieser Partei, und Ben-Gvir macht kein Hehl daraus, dass er sich in der Rolle eines Oberbefehlshabers einer "Nationalgarde“ gefallen würde.  

Eine Nationalgarde gibt es schon

Allerdings verfügt der israelische Staat schon seit Juni 2022 über eine Nationalgarde, sie trägt aber die Bezeichnung "Die Israelische Garde“. Mit ihrer Gründung folgten Ben-Gvirs Amtsvorgänger Omer Bar-Lev und der damalige Ministerpräsident Naftali Bennett einer dringenden Empfehlung hochrangiger Militärexperten, die schon im Jahr zuvor ausgesprochen worden war.



Sie hatten mit Sorge beobachtet, dass die israelische Polizei bei der Bewältigung der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juden im Mai 2021 besonders in den gemischten israelischen Städten völlig überfordert war. Armeereservisten sollten, so die Empfehlung, in Notfällen die Polizei und den auch im israelischen Kernland operierenden Grenzschutz verstärken. 

Bennett und Bar-Lev entschieden sich in erster Linie für die Rekrutierung von Freiwilligen für die Grenzschutz-Einheiten, die unter dem Kommando der israelischen Polizei stehen. Die Rede war von mehreren Tausend Personen; allerdings konnten nur rund 600 dafür gewonnen werden.



Auch deshalb kündigten Ben-Gvir und der ihm unterstehende Polizeichef Kobi Shabtai auf einer Pressekonferenz im Januar nicht nur einen massiven Ausbau und eine weit bessere Bezahlung der Polizeikräfte an, die seit Jahren an einem immer dramatischeren Personalschwund leiden.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor der Flagge des Landes; Foto: GPO
Ein neues Reizthema: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat am 27. März angekündigt, die von seiner Regierung geplante Justizreform zunächst auszusetzen. Sie soll erst in der nächsten Sitzungsphase des Parlaments, der Knesset, wieder auf den Tisch kommen. Der politische Preis, den sein Koalitionspartner Ben-Gvir nach dieser Entscheidung für den Verbleib in der Regierung verlangt hat, sorgt für neuen Zündstoff in dem aufgewühlten Land: Die Umsetzung der von Ben-Gvir geforderten Nationalgarde, wie sie bereits im Koalitionsvertrag angedeutet ist, hat zu neuen Befürchtungen geführt.



Auch die Gründung einer "Nationalgarde“ wurde bekanntgegeben, die schon im Koalitionsvertrag zwischen Netanjahus Likud und Ben-Gvirs Partei vereinbart worden war. Damit sollte offensichtlich die bereits im Aufbau befindliche "Israelische Garde“ – sie wurde auf der Pressekonferenz nicht einmal erwähnt – ad acta gelegt werden.

Der auf der Pressekonferenz vorgestellte Plan der Beiden sah eine Verdoppelung der Grenzschutz-Einheiten sowie die Rekrutierung von zehntausend Freiwilligen mit Kampferfahrung vor.

Wer bekommt das Kommando?

Ben-Gvir und Shabtai unterstrichen bei diesem Anlass, dass die Nationalgarde unter dem direkten Kommando von Shabtai in seiner Funktion als Polizeichef stehen würde – eine Antwort auf die öffentliche Kritik, dass der wegen Volksverhetzung und Unterstützung einer Terrororganisation verurteilte Ben-Gvir sich eine "private Miliz“ zulegen wolle.   

Seit Januar war jedoch kaum etwas in der Sache geschehen. Nachdem Ben-Gvir als Gegenleistung für seine Zustimmung zur Verschiebung der umstrittenen Justizreform Netanjahu eine schriftliche Bestätigung für die Gründung der Nationalgarde abgerungen hatte, legte er am 29. März seinen Plan für die Garde vor.



In dem dreiseitigen Papier wird das Organ nun als "Nationale Garde für Israel“ bezeichnet – darin findet die "Israelische Garde“ jetzt doch Erwähnung, wenngleich als unvollendetes Projekt.

Ben-Gvirs Entwurf enthält kaum Konkretes zum Aufbau der Garde. Sie werde über "reguläre Kräfte und taktische Einheiten“ verfügen, die landesweit in Routine- wie in Notzeiten Terrorismus bekämpfen und die Kontrolle über die öffentliche Ordnung stärken sollen. Es soll auch die Möglichkeit geprüft werden, ob bestimmte Grenzschutzkräfte dem direkten Kommando der Garde unterstellt werden können.

 



 

Übertriebene Szenarien

Diese und weitere Fragen vor allem der Zuständigkeiten der Nationalgarde und des für sie verantwortlichen Ministers soll eine Kommission erörtern, deren Einberufung durch den Direktor des Ministeriums für nationale Sicherheit die israelische Regierung Anfang der Woche bereits beschlossen hat. Auch der für das Projekt benötigte Etat, der aus den Budgets anderer Ministerien zusammengetragen werden soll, wurde genehmigt, wenngleich seine Höhe bislang unklar ist.  

Die die israelische Öffentlichkeit am meisten bewegende Frage, ob die "Nationale Garde für Israel“ Ben-Gvirs direktem Kommando unterstehen wird, wurde von ihm in dem Entwurf wohl absichtlich offengelassen. Eine solche Befehlsstruktur kritisiert Polizeichef Shabtai als "gefährlich“ und lehnt sie ebenso strikt ab wie der Leiter des Inlandsgeheimdienstes Schabak, Ronen Bar.



Zudem haben sowohl Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara als auch der Justizberater des Ministeriums für nationale Sicherheit, Ariel Sizel, gravierende rechtliche Bedenken angemeldet, die dem Regierungsbeschluss beigefügt sind.

Trotz der allgemeinen Unklarheit über Charakter und Aufbau der neuen Garde halten Kritiker in Israel an der Vorstellung fest, es handele sich um eine "Privatmiliz“ von Ben-Gvir. Bei den jüngsten Protesten gegen die Regierung Netanjahu marschierten in Tel Aviv gar als "Gardisten“ verkleidete Demonstranten im Gleichschritt und sicherten dem "Tyrannen“ lauthals ihre Loyalität zu.



Für übertriebene Szenarien sorgen auch arabische Medien. "Die Nationalgarde in Israel – Ben-Gvir bereitet eine neue Nakba vor“, schlug etwa der qatarische Sender Al-Jazeera Alarm. 

Joseph Croitoru 

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