Entspannung zwischen Griechenland und der Türkei?

Seit der Entdeckung von Erdgas-Vorkommen im östlichen Mittelmeer gibt es heftigen Streit zwischen Griechenland und der Türkei um ihre Ausbeutung. Jetzt nehmen beide Seiten einen neuen diplomatischen Anlauf, um ihren Konflikt zu klären. Doch tiefsitzende Feindbilder und stereotype Wahrnehmungen der jeweils anderen Seite erschweren die politische Annäherung, berichtet Ronald Meinardus aus Istanbul.

Von Ronald Meinardus

Wenn es um die Türkei-Politik und die Lage im östlichen Mittelmeer geht, steht für Josep Borrell das neue Jahr unter denselben Vorzeichen wie das alte: Für den EU- Außenbeauftragten lag hier eine der größten Herausforderungen für die Europäische Union im vergangenen Jahr. Daran werde sich – so der Spanier -  2021 wahrscheinlich wenig ändern.

Die Beziehungen der Türkei zur EU haben im zurückliegenden Jahr einen neuen Tiefstand erreicht. Mehr als einmal sprach Borrell von einer historischen Wegscheide und der Gefahr eines Bruchs mit dem schwierigen Partner im Südosten.

Wie umgehen mit Erdogans Türkei? Diese Frage stand wiederholt ganz oben auf der Tagesordnung der Staats- und Regierungschefs. Auf dem letzten EU-Gipfel im Dezember 2020 verhinderte vor allem der Einspruch Berlins harte Wirtschaftssanktionen gegen Ankara. Die getroffenen Maßnahmen wurden in der Presse als „Sanktiönchen“ abgetan.

Unübersehbar lautete die Botschaft, die Europäer wollten der Türkei noch einmal eine Chance geben, ihr Verhalten zu überdenken.

Der Verzicht auf harte Zwangsmaßnahmen, für die vor allem Griechenland, Zypern und deren Verbündete plädiert hatten, ging im Dezember einher mit einer Warnung: Sollte die Türkei bis zum nächsten EU-Gipfel im März 2021 ihr Verhalten nicht an internationale Normen anpassen, werde die EU bei den Strafmaßnahmen gegen Ankara nachlegen.

Begleitet wurde die harte Ansage aber auch von einer Offerte für mehr Kooperation. Wenn Ankara bereit sei für eine „echte Partnerschaft“ und den Dialog mit Griechenland im Einklang mit dem Völkerrecht, bestehe das Angebot einer „positiven EU-Türkei-Agenda“.

Es ist der klassische Fall einer Strategie von Zuckerbrot- und Peitsche. Es verwundert nicht, dass der erste Teil, also das Zuckerbrot, in Ankara besonders gern gesehen wird.

Europa-freundliche Rhetorik aus Ankara

„Wir sehen unsere Zukunft in Europa und wollen diese in Zusammenarbeit mit der EU bauen“, sagt Präsident Recep Tayyip Erdogan. Und sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu stimmt in den europa-freundlichen Kanon ein: „Die Türkei liegt in Europa und Europa ist unsere Zukunft. Dasselbe gilt für Europa“, so der Vertraute des Präsidenten.

Die schönen Worte passen zu einer lebhaften türkisch-europäischen Reisediplomatie zu Beginn des Jahres. Den Auftakt machte der deutsche Außenminister Heiko Maas, der Mitte Januar nach Ankara reiste. Die deutsche Vorreiterrolle ist angesichts der Bedeutung Berlins im türkisch-europäischen Beziehungsgeflecht kein Zufall.

Türkei Heiko Maas und Mevlut Cavusoglu; Foto: picture-allaince/AP Photo/Turkish Foreign Ministry
Entspannung im Konflikt zwischen der Türkei und der EU. Bei seinem Besuch in Ankara im Januar 2021 lobte der deutsche Außenminister Heiko Maas den „konstruktiven Kurs“ der Türkei. „Wir begrüßen, dass die Türkei seit Jahresbeginn Signale der Entspannung gesetzt hat – nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.“ Die Ankündigung, dass Athen und Ankara ihre seit 2016 unterbrochenen Sondierungsgespräche wiederaufnehmen wollen, kommentierte der Minister besonders wohlwollend.

In Ankara lobte der deutsche Politiker den „konstruktiven Kurs“ der Türkei. Dann kam er ohne lange Vorrede auf das Kernthema zu sprechen: die türkisch-griechischen Spannungen, die längst zu einem Spaltpilz im Verhältnis zwischen Ankara und der EU mutiert sind. „Wir begrüßen, dass die Türkei seit Jahresbeginn Signale der Entspannung gesetzt hat – nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.“ Die Ankündigung, dass Athen und Ankara ihre seit 2016 unterbrochenen Sondierungsgespräche wiederaufnehmen wollen, kommentierte der Minister besonders wohlwollend.

Der deutsche Minister weiß wovon er redet. Als EU-Ratspräsident musste er im letzten Halbjahr mehr als einmal zwischen den Streitparteien im Südosten vermitteln, die um Haaresbreite an einem militärischen Zwischenfall vorbeigeschrammt waren. „Das Spiel mit dem Feuer darf sich nicht wiederholen“, sagte der Minister jetzt.

Ob die neue, demonstrativ europa-freundliche Sprachregelung in Ankara einen außenpolitischen Sinneswandel signalisiert oder eher einer politischen PR-Kampagne entspringt, wird die Zukunft zeigen. Der deutsche Außenminister scheint beeindruckt, die vorzeitige Beendigung der seismischen Erkundungen vor Zypern durch den Abzug des Forschungsschiffes „Barbaros Hayrettin Pasa“ sei „ein positives Zeichen aus Ankara“. Wie die gut informierte Informationsplattform Al Monitor berichtet, hat die türkische Regierung zudem das Forschungsschiff „Oruc Reis“, das im Umfeld der griechischen Insel Kastellorizo Erkundungen durchgeführt hatte, bis Mitte Juni in Antalya fest vertaut.

Gleichwohl trauen Kritiker – und von denen gibt es viele - der türkischen Regierung nicht über den Weg. Das hat Präsident Erdogan in hohem Maße seinen rhetorischen Eskapaden zuzuschreiben. Denn zeitgleich mit den politischen Schalmeienklängen in Richtung Brüssel ertönen aus Ankara auch aggressive Wortsalven, die in eine andere Richtung weisen: So warf Erdogan der EU „strategische Blindheit“ vor, beklagte einen „imperialistischen Expansionismus“, der die Türkei bedrohe und sagte im Zusammenhang mit dem Streit über die maritimen Hoheitsrechte: „Wir wollen nicht die Rechte anderer ausnutzen, sondern nehmen nur eine harte Haltung gegenüber Piraten ein, die uns unsere Rechte wegnehmen wollen“.



Feindbilder und Stereotype

In der Türkei kommen die markigen Worte gegen den „Erz –und Erbfeind“ Griechenland in Teilen der Bevölkerung gut an. Die giftige Rhetorik hat eine innenpolitische Dimension. Aber: Die Wirkung feindseliger Politikerreden auf die Beziehungen ist in jedem Fall negativ. Sie nähren und verfestigen die hüben wie drüben tiefsitzenden Feindbilder und negativen Stereotype. Und diese stehen einer auf Kompromiss abzielenden Politik im Weg.

„Für den griechischen Staat bedeuten die Türken eine nicht-endende Bedrohung und jahrhundertelange Besatzung; für den türkischen Staat sind die Griechen stets die inneren Feinde, die Anstifter von Revolten gegen die Osmanen, die eine dauerhafte Expansion gegen die Türken versuchen und willfährige Kollaborateure in internationalen Verschwörungen gegen die Türkei sind.“ Diese Sätze stammen aus der Feder von Mustafa Aydin von der Kadir Has Universität in Istanbul. Der Professor für Internationale Beziehungen setzt sich seit Jahren für die Verständigung zwischen den Nachbarländern ein und ist führendes Mitglied des zu diesem Zweck geschaffenen Greek-Turkish Forum.

Die von dem türkischen Gelehrten trefflich auf den Punkt gebrachte historische Hypothek ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die diversen Anstrengungen zur Konfliktlösung immer wieder im Sande verlaufen. Wenn die türkischen und griechischen Unterhändler am 25. Januar 2021 in Istanbul zu ihrem ersten Sondierungsgespräch zusammenkommen, wird diese Wahrnehmung des jeweils anderen zumindest im Unterbewusstsein eine Rolle spielen.

Abkommen zur Aufteilung der Wirtschaftszonen im Mittelmeer; Grafik: dw/anonyme griechische Quelle
Überschneidungen bei der Aufteilung der Wirtschaftszonen im Mittelmeer. Ginge es nach dem Willen der Griechen, wären die Abgrenzung des Festlandsockels und der Ausschließlichen Wirtschaftszonen (EEZ) im Meer alleinige Gesprächsthemen. Ankara besteht auf einer wesentlich längeren Agenda. Dazu zählen die Seegrenzen, die Hoheitsrechte im Luftraum über der Ägäis, die griechische Militärpräsenz auf einigen dem anatolischen Festland vorgelagerten Inseln und schließlich der Status einer Reihe von unbewohnten Felsen.

Schon die Tagesordnung ist umstritten

Vordergründig geht es um handfeste Interessengegensätze. Eine Annäherung, von einer Lösung ganz zu schweigen, wird dadurch erschwert, dass Athen und Ankara nicht nur in substantiellen Fragen über Kreuz liegen. Auch in Verfahrensfragen trennen Welten die beiden verfeindeten Parteien. Das beginnt schon bei der Tagesordnung: Ginge es nach dem Willen der Griechen, wären die Abgrenzung des Festlandsockels und der Ausschließlichen Wirtschaftszonen (EEZ) im Meer alleinige Gesprächsthemen. Ankara besteht auf einer wesentlich längeren Agenda. Dazu zählen die Seegrenzen, die Hoheitsrechte im Luftraum über der Ägäis, die griechische Militärpräsenz auf einigen dem anatolischen Festland vorgelagerten Inseln und schließlich der Status einer Reihe von unbewohnten Felsen.

Und damit nicht genug: Der türkisch-griechische Konflikt reicht weit über die Streitpunkte in der Ägäis hinaus. Ein umfassender Ausgleich zwischen den Nationen ist ohne eine Beilegung des Zypern-Konfliktes und der Meinungsunterschiede in Bezug auf die jeweiligen Minderheiten in den Nachbarländern kaum denkbar. Von einer derartigen „Paketlösung“, die immer wieder ins Gespräch gebracht wird, sind Athen und Ankara aber Lichtjahre entfernt. Es käme schon einer politischen Sensation gleich, wenn die Unterhändler bei der Beilegung der Streitigkeiten um die maritimen Hoheitsrechte vorankommen.

Athen drängt darauf, zur Lösung der Differenzen den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen. Diese Variante setzt die Zustimmung der Türkei voraus, die aber angesichts ihrer vergleichsweise schwachen völkerrechtlichen Position einen neutralen Richterspruch scheut.

Wenn die Diplomaten jetzt am Bosporus zusammenkommen, werden sie nicht bei null anfangen. Der türkische Außenminister erinnerte im Vorfeld an die Vorarbeiten früherer diplomatischer Anläufe. In den 60 bisherigen Runden hätten die Unterhändler 5000 Seiten Papier produziert.

Was in all diesen Gesprächsrunden im Einzelnen hinter verschlossenen Türen verhandelt oder gar vereinbart wurde, ist der Öffentlichkeit so gut wie nicht bekannt. Es gibt keine verbindlichen Anhaltspunkte, bei welchen der vielen Streitpunkte sich Athen und Ankara nähergekommen sind und wo Stillstand besteht.

Gleichwohl hört man hinter vorgehaltener Hand, dass es über die Jahre durchaus zu bedeutsamen Annäherungen gekommen sei. So schreibt der gut unterrichtete Mustafa Aydin von der Kadir Has Universität in Istanbul: „Wir wissen, dass es auf beiden Seiten Bewegung gegeben hat, und dass der Abstand zwischen den Positionen erheblich kleiner geworden ist.“

Es sei bekannt, dass die Unterhändler in allen wesentlichen Fragen Übereinstimmung  gefunden hätten. Was fehle – so der türkische Politologe – sei der politische Wille der Entscheidungsträger, einer Kompromisslösung den Segen zu geben, die von den maximalistischen Ausgangspositionen abweicht.

Es gibt keine Anzeichen, dass sich an diesem Grundproblem etwas geändert hat.

Ronald Meinardus

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