Angst vor dem Bürgerkrieg

Ägyptens Volk ist gespaltener Meinung über den Putsch vom 3. Juli. Doch was halten die in Deutschland lebenden Ägypter von den jüngsten Entwicklungen in ihrem Heimatland? Im Gespräch mit Muhammad Atallah geben vier junge Ägypter ihre ganz persönlichen Eindrücke wieder.

Von Muhammad Atallah

Die aktuellen Ereignisse in Ägypten bewegen viele Menschen auf der ganzen Welt. Allen voran verfolgen Millionen ägyptischer Emigranten aus der Diaspora, was in ihrem Land vor sich geht. Es versteht sich von selbst, dass sie sich eine Meinung zu den dortigen Vorfällen gebildet haben – ganz besonders nach den neuesten Gewaltausbrüchen während der Auflösung zweier Sitzstreiks auf dem Raba'a-al-Adawiyya-Platz und dem al-Nahda-Platz, wo hunderte Menschen getötet oder verletzt wurden. Wir trafen mehrere Ägypter, die in Deutschland leben, um herauszufinden, was sie von den Entwicklungen in Ägypten halten.

Wael Ibrahim – ein ägyptischer Student, der an der Universität Leipzig studiert – ist zutiefst bekümmert angesichts der Gewalt in seinem Land: "Als ich die Nachrichten sah, ergriff mich eine tiefe Trauer über Ägypten. Bis zu diesem Tag konnte ich nicht glauben, dass die Gewalt gegen die eigenen Landsleute solche Dimensionen annehmen würde. Jetzt müssen alle an das Wohl Ägyptens denken und die ideologischen Gegensätze beiseite schieben."

Der Student Wael Ibrahim ist bestürzt über die Gewalteskalation in Ägypten. Er schlägt vor, dass ein Regierungskomitee eingerichtet wird, in dem alle Gesellschaftsgruppen vertreten sind. Dieses solle dann einen Plan für die Zukunft Ägyptens erarbeiten.

Er fährt fort: "Ich war schon immer gegen Mursi und die Politik der Muslimbrüder, aber gleichzeitig bin ich gegen ihren völligen Ausschluss vom politischen Leben in Ägypten".

Seiner Meinung nach liegt die Lösung des Problems in der Bildung eines Regierungskomitees, welches das gesamte Spektrum der ägyptischen Bevölkerung repräsentiert, ohne irgendeine politische Strömung auszuschließen. Die Aufgabe dieses Komitees müsse darin bestehen, eine Roadmap anzufertigen und eine Kompromisslösung zu finden, die von allen mitgetragen wird.

"Kultur der Uneinigkeit"

Ahmad studiert ebenfalls, hat allerdings keinen Hang zur Politik. Er meint, die Krise in Ägypten läge daran, dass in Ägypten abweichende Meinungen nicht akzeptiert werden. Das Grundproblem sei eine "Kultur der Uneinigkeit im ägyptischen Volk, welche bei Meinungsverschiedenheiten der Gewalt letztendlich Vorschub leistet."

Natürlich ist auch Ahmad bekümmert über die Ereignisse im Land am Nil. Das wirkt sich auch auf sein Studium aus: Er kann sich nicht mehr gut konzentrieren, weil er oft an die Gewaltausbrüche in Ägypten denken muss. Er sieht die Lösung darin, dass sich alle als ein Volk zusammensetzen und in einen Dialog miteinander treten, ohne sich gegenseitig auf den Straßen und Plätzen zu bekämpfen.

Obwohl sie seit 2006 in Deutschland lebt, fährt Meret Muhammad Bakir oft zurück in ihr Heimatland – ungefähr einmal in drei Monaten. Meret, die ihre Doktorarbeit in Kunst und Design an der Bauhausuniversität in Weimar schreibt, durchlebt momentan eine schwere Zeit, denn sie fühlt sich betrogen: "Wir wurden getäuscht. Sie sagten, dass sie planten, die Sitzblockaden friedlich aufzulösen. Aber mir wurde klar, dass das Militär einen solchen Plan nicht hatte. Stattdessen wandten sie Gewalt gegen die Muslimbrüder an."

Angst vor der Konterrevolution

Meret ist die Schwester von Ziad Bakir, der am 28. Januar 2011, dem "Tag des Zorns", in der Revolution seinen Tod fand, die den Präsidenten Hosni Mubarak hinwegfegte. Vom ersten Tag der Januarrevolution 2011 bis heute hat Meret an allen Protestaktionen teilgenommen. "Was geschieht, ist schrecklich und unbeschreiblich", sagt sie. "Es gibt eine enorme Polarisierung. Mittlerweile fürchte ich, enge Freunde wegen dieser extremen Ansichten zu verlieren, darum habe ich mein Facebookkonto vorläufig deaktiviert."

Muslimbrüder demonstrieren in Kairo: Schätzungen zufolge kamen über 1000 Menschen bei der Räumung der beiden Protestlager in der ägyptischen Hauptstadt ums Leben gekommen, viele mehr wurden verletzt. Die einen sehen das als notwendigen Schritt zur Wahrung der Sicherheit des Landes, die anderen nennen es Mord. Auch Meret kritisiert das gewaltsame Vorgehen gegen die Muslimbruderschaft, obwohl sie diese als ''terroristische Vereinigung'' ansieht.

Andererseits empfindet Meret keine Sympathie für die Muslimbruderschaft, der sie die Hauptverantwortung für die Vorfälle zuweist, weil sie eine "terroristische Vereinigung" sei. "Der größte Fehler war, ihnen mit Gewalt zu begegnen. Wir haben in ein Wespennest gestochen und beschweren uns jetzt über die Stiche." Sie kritisiert die Vorgänge in Ägypten, insbesondere den sträflichen Umgang mit den eigenen Kulturschätzen, den blutigen Umsturz, die "Verbrennung von Kirchen und die Plünderung eines Museums durch Anhänger dieser Gruppe". Doch das ist nicht alles, was sie beschäftigt. Am Ende unseres Interviews erzählte sie uns, dass sie sich vor der "Rückkehr des Mubarak-Regimes" fürchte.

Ibrahim, der als Tierarzt in Deutschland arbeitet, vertritt eine ähnliche Ansicht: "Die gewaltsame Auflösung des Sitzstreiks war ein großer Fehler, denn das wird der Muslimbruderschaft internationale Sympathien einbringen. Vor allem nach dem Rücktritt des Vizepräsidenten Mohammed ElBaradei, der die ägyptische Regierung nach dem 30. Juni schwer belastete." Ibrahim hält die Lage für gefährlich und warnt vor drastischen Konsequenzen, indem er seine Angst vor dem Ausbruch eines Bürgerkriegs in Ägypten zum Ausdruck bringt: "Wenn es zu einem Bürgerkrieg kommt, wird es für Reue zu spät sein."

Muhammad Atallah

© Qantara.de 2013

Übersetzung aus dem Arabischen: Jonas Berninger

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de