Droht eine Gaskrise mit Algerien?

König Mohammed VI. von Marokko, der spanische Premierminister Pedro Sanchez und der tunesische Präsident Abdelmadjid Tebboune.
König Mohammed VI. von Marokko, der spanische Premierminister Pedro Sanchez und der tunesische Präsident Abdelmadjid Tebboune.

Spaniens Kehrtwende in der Westsahara-Politik hat in Algerien eine heftige Reaktion hervorgerufen. Die Handelsbeziehungen sind eingefroren. Fließt auch bald kein Gas mehr? Aus Madrid informiert Ralph Schulze.

Von Ralph Schulze

Möglicherweise war es kein Zufall: Am selben Tag, an dem Algerien den Freundschaftsvertrag mit Spanien aussetzte, kamen von der gegenüberliegenden algerischen Küste sechs Flüchtlingsboote mit 113 Menschen auf Mallorca an. Es war die größte Zahl algerischer Bootsflüchtlinge, die dieses Jahr auf der spanischen Mittelmeerinsel an einem Tag gezählt wurde.

Benutzt nun auch Algerien die Migration als politisches Druckmittel? So wie es schon bisher der Nachbar Marokko tat, wenn er sich von Spanien schlecht behandelt fühlte? Die Bilder aus Spaniens Grenzstadt Ceuta sind noch in guter Erinnerung: Vor einem Jahr hatte Marokko plötzlich seine Tore zu dieser spanischen Exklave an der nordafrikanischen Küste geöffnet. Binnen weniger Stunden kamen Tausende Migranten über die Grenze.

Was auf dem Spiel steht

Doch mit dem Freundschaftsbruch zwischen Spanien und Algerien steht nicht nur die Migrationspolitik auf dem Spiel. Vielmehr wächst die Sorge, dass dieses Zerwürfnis eine neue Gaskrise an der Südflanke Europas provozieren könnte. Ausgerechnet jetzt, wo die Europäer sich von russischem Gas unabhängig machen wollen.

Die Flüchtlinge erreichten Ceuta 2021 schwimmend oder bei Ebbe zu Fuß, einige benutzten aufblasbare Schwimmringe; Foto: AFP/Getty Images
Ein zynisches Spiel: Migration als politisches Druckmittel? Am selben Tag, an dem Algerien den Freundschaftsvertrag mit Spanien aussetzte, kamen von der gegenüberliegenden algerischen Küste sechs Flüchtlingsboote mit 113 Menschen auf Mallorca an. Es war die größte Zahl algerischer Bootsflüchtlinge, die dieses Jahr auf der spanischen Mittelmeerinsel an einem Tag gezählt wurde. Die Bilder aus Spaniens Grenzstadt Ceuta sind noch in guter Erinnerung: Vor einem Jahr hatte Marokko plötzlich seine Tore zu dieser spanischen Exklave an der nordafrikanischen Küste geöffnet. Binnen weniger Stunden kamen Tausende Migranten über die Grenze.

Algerien ist Spaniens zweitwichtigster Gaslieferant. Das Wüstenland liefert rund ein Viertel des spanischen Bedarfs. Aber nicht nur Spanien, sondern auch die EU ist von Algerien abhängig. Die EU bezieht momentan rund elf Prozent ihres Gases von dort. Obwohl westliche Geheimdienste schon länger warnen, das autoritäre Regime in Algerien könnte, ähnlich wie Russland, das Gas als politische Waffe benutzen und somit ebenfalls ein Sicherheitsrisiko darstellen.

Diese Befürchtung ist nicht grundlos, wie sich in den vergangenen Monaten zeigte: Im November 2021 sperrte Algier eine seiner beiden Fernleitungen, die Spanien mit den Gasfeldern verbinden. Und zwar die Maghreb-Europe-Pipeline, durch die jährlich 12 Milliarden Kubikmeter Gas gepumpt wurden. Sie führt über marokkanisches Gebiet durch die Meerenge von Gibraltar nach Spanien. Gewissermaßen als Wegzoll durfte auch Marokko aus der Pipeline Gas entnehmen.

Dauerstreit über die Westsahara

Der Grund für die Sperrung: Der Dauerstreit zwischen Algerien und Marokko über die Zukunft der Westsahara, der im Herbst zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Algier und Rabat führte. Das bis 1975 zu Spanien gehörende Wüstenterritorium im Süden Marokkos war nach Spaniens Rückzug von marokkanischen Truppen besetzt worden. Algerien unterstützt seitdem die dortige Befreiungsbewegung Polisario, die für ein Unabhängigkeitsreferendum kämpft. Ein Referendum, für das bislang auch die UN eintraten.

Infografik: Pipelinenetz Afrika-Europa; Quelle: DW
Algerien ist Spaniens zweitwichtigster Gaslieferant: Das Wüstenland liefert rund ein Viertel des spanischen Bedarfs. Aber nicht nur Spanien, sondern auch die EU ist von Algerien abhängig. Westliche Geheimdienste warnen schon länger, dass das autoritäre Regime in Algerien ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte. Im November 2021 sperrte Algier eine seiner beiden Fernleitungen, die Spanien mit den Gasfeldern verbinden.

Spanien hatte sich in diesem Konflikt bis vor kurzem neutral verhalten. Doch vor drei Monaten, im März 2022, vollzog Madrid einen überraschenden Kurswechsel und ergriff klar Partei für Marokko: Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez verkündete per Brief an Marokkos König Mohammed VI., dass er künftig dessen Plan für eine begrenzte Autonomie der Westsahara unter marokkanischem Dach als "ernsthafte und realistische" Lösung unterstützen wolle.

Rabat applaudierte, doch Algier schäumte: Die Reaktion des algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune folgte prompt: Erst zog er den Botschafter aus Spanien ab. Dann stoppte er die Rückführung illegaler algerischer Einwanderer, die jedes Jahr zu Tausenden übers Meer nach Spanien kommen. Und Algeriens Staatsgaskonzern Sonatrach kündigte an, dass Spanien künftig mehr fürs Gas bezahlen müsse.

Versöhnung möglich?

Vor wenigen Tagen setzte Tebboune den seit 20 Jahren geltenden Freundschaftsvertrag mit Spanien aus, und drohte, den bilateralen Handel, mit Ausnahme der Gaslieferungen, auf Eis zu legen. Begründung: "Das Vorgehen Spaniens ist eine Verletzung des internationalen Rechts." Dass Madrid nun die illegale Besetzung der Westsahara durch Marokko anerkenne, sei nicht hinnehmbar.

Eine Versöhnung mit Madrid gebe es nur unter einer Bedingung: Spanien müsse zum internationalen Recht, also zur Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Westsahara-Bewohner, zurückkehren. Klar scheint inzwischen, dass sich Spanien mit seiner Westsahara-Wende in eine Zwickmühle manövrierte, die zudem Europa einen neuen Konflikt beschert. Ein Konflikt, der Europas Gaskrise weiter verschärfen könnte. Spaniens einflussreiche Zeitung El País sprach bereits von einer "neuen Front im Süden".

Spanische Demonstranten fordern Gerechtigkeit im Fall der Westsahara - hier im November 2021; Foto: picture-alliance
Der Konflikt zwischen Algerien und Marokko über die Zukunft der Westsahara hat sich zu einem Handelsstreit zwischen Algerien und Spanien entwickelt: Das bis 1975 zu Spanien gehörende Wüstenterritorium im Süden Marokkos war nach Spaniens Rückzug von marokkanischen Truppen besetzt worden. Spanien hatte sich in diesem Konflikt bis vor kurzem neutral verhalten. Doch vor drei Monaten, im März 2022, Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez verkündete per Brief an Marokkos König Mohammed VI., dass er künftig dessen Plan für eine begrenzte Autonomie der Westsahara unter marokkanischem Dach als "ernsthafte und realistische" Lösung unterstützen wolle.

Wohl auch deswegen hat sich inzwischen die EU-Kommission eingeschaltet und mit Sanktionen gedroht, sollte Algier tatsächlich seine Handelsblockade umsetzen. Mit der Folge, dass Algeriens Präsident inzwischen zurückruderte und versicherte, die Gasverträge mit Spanien und Europa würden eingehalten. Und auch der Handel mit Spanien solle weitergehen.

Die Sorge, Algerien könnte den Gashahn zudrehen, ist damit nicht verschwunden. Zumal Algier sehr enge Beziehungen zu Russland unterhält und dessen Angriff auf die Ukraine nicht verurteilt. Moskau ist heute nicht nur Algeriens wichtigster politischer Verbündeter, sondern hat auch auf den Gasfeldern in der Wüste, dank wachsender Beteiligungen des russischen Staatskonzerns Gazprom, ein Wörtchen mitzureden.

Ralph Schulze

© Deutsche Welle 2022

 

 

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