Souad Abderrahim: Bürgermeisterin von Tunis
Die "Scheicha", die Stadt und die Probleme

Souad Abderrahim ist die erste frei gewählte Bürgermeisterin einer arabischen Hauptstadt. Ihre Gegner sehen sie als Kandidatin der gemäßigten Islamisten. Sie selbst will sich aus der Politik lieber raushalten. Von Nader Alsarras

Wer die Bürgermeisterin von Tunis treffen möchte, muss Zeit mitbringen - viel Zeit. Der große Medienrummel ist zwar vorbei, dafür ist ihr Wartezimmer jetzt aber ganz schön voll mit Menschen, die einen Termin bei ihr wollen; Bürger, lokale Verantwortliche, Mitarbeiter der Stadt, Polizeibeamte, Aktivistinnen der Zivilgesellschaft - ja sogar der chinesische Botschafter in Tunis stattet Souad Abderrahim, der "Scheicha", einen Besuch in ihrem Büro ab. "Scheicha" ist die weibliche Form von "Scheich", einem arabischen Ehrentitel für Respektpersonen.

Die nicht mehr so neue Bürgermeisterin der tunesischen Hauptstadt ist nun im Alltag angekommen. Wer ihr Büro betritt, findet direkt links neben der Tür einen großen Konferenztisch voller Aktenordner, die auf ihre Bearbeitung warten. Die Mühen der Ebene, sozusagen. Abderrahims Wahl galt als eine kleine Sensation, die weltweit für Aufsehen sorgte. Doch jetzt, etwa ein halbes Jahr nach ihrer Amtsübernahme, muss sie Lösungen für die vielen Herausforderungen der Stadt bieten: Die marode Infrastruktur, der ständige Verkehrsstau, das Chaos der fliegenden Händler.

Müll ist ein großes Problem in Tunis

Doch vor allem will Souad Abderrahim das Müllproblem von Tunis lösen. Besonders abends türmen sich die Abfallhaufen in den Gassen der Altstadt. Wenn die Bürgermeisterin durch die Stadt geht, sprechen sie die Einwohner immer wieder auf die mangelnde Sauberkeit an. "Der Personalmangel und die logistischen Möglichkeiten erlauben uns nicht, ständig in jeder Straße und jeder Gasse von Tunis zu sein", erklärt Abderrahim. Die Stadt habe zu wenig Geld, um eine bessere Müllabfuhr zu gewährleisten. Die Scheicha will das Problem durch mehr Recycling und Partnerschaften mit privaten Investoren lösen. "Aber dazu brauchen wir neue gesetzliche Rahmen." Mit anderen Worten: Das kann dauern.

Müllsammler in Tunesien, Foto: DW
Gravierende Müllentsorgungsprobleme: "Der Personalmangel und die logistischen Möglichkeiten erlauben uns nicht, ständig in jeder Straße und jeder Gasse von Tunis zu sein", erklärt Abderrahim. Die Stadt habe zu wenig Geld, um eine bessere Müllabfuhr zu gewährleisten. Die Scheicha will das Problem durch mehr Recycling und Partnerschaften mit privaten Investoren lösen.

Dass eine Frau diese vielen Probleme anpacken kann, daran zweifelten viele Tunesier nach Abderrahims Wahl im Sommer 2018. Denn sie ist nicht nur die erste Frau, die dieses Amt bekleidet, sondern sie ist in Sfax geboren und nicht in Tunis, gehört also nicht zu den Elite-Familien der Hauptstadt, die traditionell den Bürgermeister stellten.

Ihr fehle der Stallgeruch für ein solches Amt. "In Tunesien herrscht immer noch eine patriarchale Mentalität vor, besonders in manchen Positionen, die mit Macht verbunden sind. Als hätten Männer Macht gepachtet, als hätten sie öffentliche Verwaltungsämter gepachtet", sagt Abderrahim. Dabei genießen tunesische Frauen verglichen mit anderen arabischen Ländern mehr Rechte. Trotzdem, so die Bürgermeisterin, gebe es in Tunesien keine Chancengleichheit für Männer und Frauen. Ihre Wahl zur Bürgermeisterin nennt sie deshalb einen "Sieg der tunesischen Frauen", denn man habe dadurch mit "Tabus" und "Traditionen gebrochen, die zum Gesetz gemacht worden waren."

Kritik kommt von Frauenrechtlerinnen

Doch tunesische Feministinnen stehen Abderrahim skeptisch gegenüber. Die Frauenrechtlerin Leila Chebbi sagt, alle die sich für mehr Gleichberechtigung einsetzen, fänden es prinzipiell gut, dass eine Frau nun dieses hohe Amt bekleide. Doch Abderrahim ist nicht durch ihr eigenes Verdienst Bürgermeisterin geworden. Sie sei keine Kämpferin für Frauenrechte, denn "Tunesien ist klein, alle Kämpferinnen für Frauenrechte kennen sich untereinander", so Chebbi, "die Ennahda-Partei hat sie ins Amt gehievt. Das politische Gewicht der Ennahda hat ihr dazu verholfen."

Chebbi, wie viele andere Frauenrechtlerinnen, werfen Souad Abderrahim vor, sich von der islamisch-konservativen Ennahda-Partei instrumentalisieren zu lassen. Denn die Bürgermeisterin kandidierte auf der Ennahda-Liste und setzte sich gegen ihren Gegner von der als säkular geltenden Partei "Nidaa Tounes" durch. Ennahda wolle ihr Image aufpolieren, so Chebbi, indem sie eine Frau zur Wahl stellte: "Die Partei ist aber gegen den Fortschritt. Sie will die Rechte, die sich Frauen erkämpft haben, sogar wieder rückgängig machen".

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