Gegen alle Widerstände

Ein Spielfilm, der das Leben um ein Künstlercafé in Kabul zeigt und an Originalschauplätzen unter Todesdrohungen der Taliban gedreht wurde – das scheint unmöglich. Doch die afghanisch-amerikanische Regisseurin und Aktivistin Sonia Nassery Cole setzte dies mit ihrem Film "The Black Tulip" in die Realität um. Von Homeira Heidary

Regisseurin Nassery Cole mit afghanischem Jungen; Foto: Breadwinner Productions
Unter Todesdrohungen von den Taliban und größten Sicherheitsvorkehrungen drehte Regisseurin Sonia Nassery Cole ihren Spielfilm in Kabul.

​​ Mit neun Jahren begann sie schon Filme mit kritischen Augen zu betrachten. So verwunderte sie ihren Vater nach einem Kinobesuch in Kabul, in dem sie Clint Eastwood in "Für eine handvoll Dollar" kritisierte. Sie sagte sich, eines Tages würde sie den Filmleuten sagen, wie es richtig geht. Die Rede ist von Sonia Nassery Cole.

Damals wusste sie noch nicht, dass sie in den USA an der Universität von Kalifornien Los Angeles (UCLA) und der New York University (NYU) ein Filmstudium absolvieren würde, in den beiden Städten, wo sie gegenwärtig lebt. Heute hat sie große Vorbilder, zu denen Hitchcock und Fellini gehören.

Ihre Passion trieb sie schließlich dazu, ihren ersten Spielfilm zu produzieren. Dabei schaffte es Nassery Cole, erstmals nach über dreißig Jahren einen Spielfilm vor Ort in Afghanistan zu drehen – das hatte es nicht einmal bei dem Blockbuster "Drachenläufer" gegeben, bei dem aus Sicherheitsgründen die Dreharbeiten in die Nachbarländer verlegt worden waren.

Die instabile Lage holte die Regisseurin allerdings bald ein. Schon kurz nach ihrer Ankunft wurde ein Bombenanschlag verübt, bei dem die Fenster ihres Hotels zerbarsten. Der Kameramann Keith Smith, der auch schon für Hollywood-Regisseur Oliver Stone gearbeitet hatte, verließ das Team daraufhin. Jeden Tag galt es, neue Hürden zu überwinden und die emotionale Belastung zu ertragen. Cole bekam Todesdrohungen von den Taliban, behielt es aber für sich, um das Team nicht zu beunruhigen. Um die Widersacher in die Irre zu führen, wurden falsche Drehorte und -zeiten veröffentlicht.

Wein in Teekannen

Der Film mit dem Titel "The Black Tulip" handelt von einer Familie, die nach dem Fall der Taliban 2001 ein künstlerisch angehauchtes Literaturcafé eröffnet und Künstlern die Gelegenheit bietet, ihre Werke vorzutragen. In Teekannen wird Wein serviert.

Ariana Kino in Kabul; Foto: Christopher Arian Cole
Wiedereröffngung des Ariana Kinos in Kabul: Es gab Kritik von afghanischen Zuschauern nach der Premiere - der Film sei unrealistisch und zeige, dass die Filmemacher die afghanische Kultur nicht kennen.

​​ Der Film zeigt einige Szenen, die auf afghanischen Leinwänden wohl lange nicht – oder noch nie – gesehen wurden: Öffentliche Kussszenen, die Berührung von Mann und Frau und fluchende Frauen.

Dieses ambitionierte Vorhaben wird jedoch schnell von den Taliban wahrgenommen und sabotiert. Das Sujet des Films ist die vergessene und nicht mehr gelebte Kultur Afghanistans wie sie noch vor den Kriegswirren und den -traumata existierte: Poesie, Lebensfreude und ein friedliches Miteinander.

Der Handlungsstrang ist nicht unrealistisch, denn Musikgeschäfte in Dschalalabad haben jüngst Drohungen von den Taliban erhalten: Schließt oder wir sprengen euch in die Luft!

Wiedereröffnung des Ariana Kinos

Die Premiere des Films war spektakulär, denn dafür wurde eigens das von den Taliban geschlossene Ariana Kino in Kabul wiedereröffnet. Allen Warnungen zum Trotz erschien Sonia Nassery Cole bei der Premiere. Entgegen allen Erwartungen verlief jedoch alles friedlich und zivil. Und mehr noch: Der Film ist für den Oscar nominiert, sowohl für den besten fremdsprachigen Film als auch für die beste Filmmusik.

Filmszene; Foto: Breadwinner Productions
Wein in Teekannen: Regisseurin Nassery Cole, ein bekanntes Mitglied der amerikanischen Society, engagiert sich für Kinder in Afghanistan und arbeitet dafür mit prominenten amerikanischen Stars.

​​ Die Regisseurin begeisterte sogar den Minister für Information und Kultur, Sayed Makhdum Rahin, der sich bei einer weiteren Hürde für sie einsetzte: Das afghanische Komitee für die Oscar-Verleihung weigerte sich den Film zu akzeptieren, da es ein Affront für das islamische Afghanistan darstelle. Es geht dabei um eine Szene, in der einer der Darsteller einer Frau, die eine Burka trägt, auf die Stirn küsst. Der Minister unterschrieb zum Schluss selbst die Bestätigung, dass die afghanische Regierung mit der Einreichung einverstanden sei.

Doch gab es auch Kritik von afghanischen Zuschauern: Beispielsweise rief das Werfen von Erde in das Grab bei einer Beerdingungs-Szene Verstörung hervor – eine Praxis, die in Afghanistan unbekannt ist; dies zeige, dass die Filmemacher die afghanische Kultur kaum kennen, meinten einige Zuschauer nach der Vorstellung im Ariana Kino.

Auch sei die Darstellung von Alkohol trinkenden Taliban und afghanischen Soldaten in einem Kabuler Café unrealistisch, hieß es von Zuschauern.

Die Löwin von Panjshir

1979 im Alter von sechzehn Jahren floh Sonia Nassery Cole alleine von Afghanistan in die USA, nabelte sich aber nie von ihrem Geburtsort ab. Kurz nach ihrer Ankunft schickte sie Präsident Ronald Reagan endlose Schreiben, in denen sie ihre Kritik am Westen, der beim Völkermord in Afghanistan untätig zuschaue, formulierte und Reagan aufforderte, etwas dagegen zu unternehmen.

Unerwarterweise wurde sie ins Weiße Haus eingeladen und führte ein Gespräch mit dem Präsidenten. Danach gründete sie das Hilfswerk "Afghanistan World Foundation" und konnte zahlreiche Hollywood-Stars wie Benicio del Toro, Tom Cruise, Charlize Theron und andere als Botschafter gewinnen. Benefizveranstaltungen für Flüchtlinge und Frauenrechte gehören seitdem zu ihrem Leben.

Ihr Vorbild Ahmad Schah Massoud, der bekannte Mujahidin-Kämpfer gegen die sowjetischen Truppen und afghanische Nationalheld, bestätigte sie in ihrem Engagement bei einem Treffen in Paris und nannte sie die "Löwin von Panjshir" – eine Anspielung auf seinen legendären Beinamen "Der Löwe von Panjshir".

Für die Zukunft Afghanistans wünscht die Regisseurin sich einen Präsidenten, der keine Angst vor den USA hat und in der Lage ist, das afghanische Volk zu vereinen. Das ist in den letzten dreißig Jahren verpasst worden, sagt Nassery Cole.

Homeira Heidary

© Qantara.de 2011

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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