Ein Licht für Gaza

Eine junge palästinensische Powerfrau sorgt für einen Energieschub. Ihr Ziel: Sonnenkollektoren für arme Familien erschwinglich zu machen. Ihr Motto: unabhängig werden, auch im Kopf. Aus Gaza informiert Inge Günther.

Von Inge Günther

Die Hühner auf dem Flachdach sind in heller Aufregung. Mit flatternden Flügeln inspiziert das Federvieh die beiden silberblau glänzenden Solarpanels, die die Arbeiter gerade für eine Verschnaufpause abgestellt haben. Inmitten des Gackerns verfolgen die Zuschauer andächtig, wie die Männer die Sonnenkollektoren auf die höchste Stelle bugsieren und die Halterung fest bohren.

Auf diesen Tag hin haben sie gespart, die Bewohner des halbfertigen, zweistöckigen Gebäudes in Mograka, einem ärmlichen Dorf südlich von Gaza-City. Die Aussicht, von nun an selber Elektrizität produzieren zu können, statt Abende lang im Dunkeln zu sitzen, weckt Glücksgefühle. "Jetzt können wir unsere Schulaufgaben erledigen, wann immer wir wollen", freut sich die elfjährige Rinat. Ihr Großvater lacht. "Hauptsache, es wird nicht die ganze Zeit Fernsehen geschaut."

Solarenergie für einkommensschwache Familien

Nur noch die Batterien anschließen und mit dem Einspeisegerät verbinden. Den Rest erledigt die Sonne. Auch Majd Mashharawi tankt in diesem Moment auf, der sie für manchen Rückschlag entschädigt. Sie ist die Chefin des ambitionierten Projekts, Sonnenenergie für einkommensschwache Familien in Gaza erschwinglich zu machen.

"Sun Box" nennt sich das Unternehmen, das sie vor einem Jahr gegründet hat. Damals ahnte sie nicht, welcher Kraftakt das werden sollte. Ihre Idee war ja eigentlich unschlagbar. Gaza hat von allem zu wenig, die Stromversorgung ist das reinste Desaster, nur Sonne gibt es in dem palästinensischen Küstenstreifen mehr als genug, an mindestens 300 fast wolkenlosen Tagen im Jahr.

Sun Box-Chefin Mashharawi vor ihrem Büroladen in Gaza-City; Foto: Inge Günther
Der notorischen Stromkrise in Gaza wirksam begegnen: Die 25-jährige Unternehmerin Mashharawi macht mit ihrem Projekt "Sun Box" die Solarenergie auch für arme Familien erschwinglich. Schon jetzt versorgt "Sun Box" einige hundert Haushalte mit Strom in dem Elendsstreifen, wo die Elektrizitätsversorgung sonst nur stundenweise funktioniert.

Mashharawi ist erst 25 Jahre alt, eine Powerfrau mit Kopftuch. "Ich halte nichts von NGOs", sagt sie selbstbewusst. "Meine Projekte sind profitorientiert." Klingt gut, aber nach einem Vorsatz für die Zukunft. Vorerst springt für sie und ihr sechsköpfiges Team allenfalls ein karger Minimallohn raus. Das angebotene Solarsystem ist mit 350 US-Dollar so knapp wie möglich kalkuliert, weit unter dem üblichen Marktpreis.

Licht nach Gaza bringen

Bezahlbar ist es für ihre Klientel eh nur dank der Zuschüsse aus einer Crowdfunding-Kampagne, über die im Frühherbst rund 60.000 US-Dollar zusammenkamen. 521 Spender aus Asien, USA und Europa machten kleine und größere Summen locker, um "Licht nach Gaza zu bringen".

Seitdem sitzt Masharawi wieder relaxter in ihrem Ladenbüro. Es liegt in einer Seitenstraße in Rimal, einem besseren Viertel in Gaza-City. Unübersehbar prangt auf dem Eingangsschild in sonnengelben Lettern "Sun Box". Hier steuert Mashharawi mit Verve und Wagemut die innovative Firma.

In die Wiege wurde ihr, der ältesten Tochter einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie, die Rolle nicht gelegt. Ihre Kindheit war von der Zweiten Intifada überschattet, ihre Jugend von drei Gaza-Kriegen.

Aber damit hält sie sich nicht auf, wenn sie ihre Geschichte erzählt. Sie handelt von einer, die sich mit misslichen Lagen nicht abfindet, sondern kreative Auswege sucht, daraus Geschäftsmodelle entwickelt, die sozial, umweltbewusst und dazu erfolgreich sind. So sehr, dass man auch international auf diese couragierte Frau aus Gaza aufmerksam geworden ist.

"Es ist hart in Gaza zu leben"

Neulich war sie sogar als Rednerin zur US-Konferenz – TED Women 2018 in Palm Springs –  eingeladen, wo Aktivistinnen, Unternehmerinnen und Wissenschaftlerinnen aus aller Welt zusammenkamen. Quasi in letzter Minute stellten ihr die Israelis die Ausreisegenehmigung aus. Leicht wird ihr die Rückkehr nicht fallen. "Es ist hart in Gaza zu leben, wenn man das Leben außerhalb kennt", sagt sie. Mehr als einmal ist sie mit Hamas-Vertretern, die Eigeninitiative wenig schätzen, aneinandergeraten. Aber die Menschen in Gaza, die sich nicht unterkriegen ließen, die, sagt Masharawi, "sind meine Motivation".

Schon während ihres Ingenieurstudiums an der Islamischen Universität hatte sie gemeinsam mit Kommilitonen Methoden untersucht, um aus dem Schutt und der Asche kriegszerstörter Häuser Blocksteine zu pressen. Vielerorts in Gaza wird aus der Not heraus so verfahren, ohne auf den toxischen Gehalt zu achten. Die Studenten wollten es genauer wissen und schickten Proben zu Tests nach Japan, woraufhin Mashharawi zu einer sechsmonatigen Recherche ins Reich der Mitte eingeladen wurde.

Ihr Ergebnis hat sich in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Die optimale Mischung wurde entdeckt, nach deren Rezeptur eine Fabrik in Gaza inzwischen umweltverträgliche Bausteine produziert. Über dreißig Angestellte fanden dort einen Job. Seitdem, berichtet Mashharawi augenzwinkernd, lägen ihr auch die Eltern nicht mehr in den Ohren, lieber zu heiraten, statt nächtelang Technikbücher zu wälzen. Auf einmal war sie der Stolz der Familie.

Solarpanel für die Bewohner von Mograka; Foto: Inge Günther
Ambitioniertes Projekt mit großer Resonanz bei der Bevölkerung von Gaza: Vor allem unter den Frauen fand Mashharawi Verbündete. So wie in Mograka, einem ärmlichen Dorf südlich von Gaza-City, wo ihre Leute an diesem Tag gleich fünf Solarsysteme auf diversen Hausdächern installiert haben.

Nicht mehr in die leere Röhre gucken

Derart ermutigt machte sie sich an eine neue Sache. Solarenergie. Die nachhaltigste Lösung, um der notorischen Stromkrise in Gaza zu begegnen. In Japan hatte Mashharawi Kontakt zu chinesischen Billigherstellern von Solarpanels geknüpft und ein paar Prototypen für Gaza geordert. Es ließ sich auch gut an, als im Dezember 2017 das erste Modul auf dem Haus eines Dorfvorstehers installiert wurde.

Am nächsten Tag standen dessen Nachbarn vor der Tür. Wie es denn komme, wollten sie wissen, dass er die Übertragung eines Fußball-Cups empfange, während sie wegen Stromausfalls in die leere Röhre guckten. Schnell verbreitete sich die Kunde, dass "Sun Box" bedürftigen Familien eine Solareinheit, ausreichend für Licht, Computer, TV oder Kühlschrank, unter Preis anbiete.

"Die Leute bestellten, noch ehe wir die Ware in Gaza hatten", berichtet Mashharawi. Doch plötzlich schien sich alles gegen ihr Projekt zu verkehren. Israel machte den Übergang Kerem Schalom dicht, um den Druck auf die Hamas zu erhöhen. Wochenlang steckt die Lieferung aus China mit 185 Sonnenkollektoren für Gaza im Hafen von Ashdod fest. Und bis sie endlich freigegeben wurden – Panels, Batterien und Stromkasten jeweils an gesonderten Tagen, "es war zum Verrücktwerden", so Mashharawi –  sprangen die Kunden ab. "Wir haben einfach das Geld nicht mehr", erklärten sie ihr.

Enorme Lebensenergie

Mit der Kampagne "Licht nach Gaza zu bringen", sah es noch im Sommer ziemlich schwarz aus. "Lass dir was einfallen oder mach' den Laden dicht", rieten die Leute von Launch Goods, der Crowdfunding-Plattform. Also rechnete Mashharawi neu durch, wie sich die Kosten senken lassen, wenn sich zwei Familien eine Solareinheit teilen, aber beide eine Finanzierungshilfe von 100 Dollar bekommen.

Das Konzept scheint aufzugehen. Vor allem unter den Frauen fand Mashharawi Verbündete. So wie in Mograka, wo ihre Leute an diesem Tag gleich fünf Solarsysteme auf diversen Hausdächern installiert haben. Sie habe ihrem Mann so lange in den Ohren gelegen, bis er dem Kauf zustimmte, erzählt Mona Musaweh verschmitzt, 30 Jahre alt und Mutter von sechs Kindern. "Damit wird alles leichter." Keine schlaflosen Nächte mehr, in denen sie die Waschmaschine anschmiss, weil es tagsüber keinen Strom gab. Keine verdorbenen Lebensmittel mehr, die weggeworfen werden mussten, weil der Kühlschrank ausfiel.

Inzwischen nutzen an die 600 Palästinenser in Gaza die "Sun Box". Deren Leistung ist begrenzt auf durchschnittlich 500 Watt täglich, aber setzt enorme Lebensenergie frei.

Inge Günther

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