Sprechblasen für Schläfer

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz will Schüler vom Islamismus abhalten - mit einem platten Comic und anbiedernden Ratschlägen à la "Spiel nicht im Team der Mudschaheddin", meint Wolf Schmidt.

Titelfiguren des Andi Comics; Foto: NRW
Andis Freund Murat wird depressiv und verfällt den fundamentalistischen Einflüssen eines neuen Mitschülers

​​Es wird eng auf deutschen Schulhöfen: Die NPD verteilt CDs für rechts, die Sozialistische Jugend verteilt CDs gegen rechts, und der Mitteldeutsche Rundfunk verteilt wiederum CDs für Respekt und Toleranz.

Nun wollen auch noch die nordrhein-westfälischen Verfassungsschützer die Schülerinnen und Schüler mit einem neuen Comic beglücken. Der Titel: "Andis Freund Murat hat Stress". Und was aus Muslimen, die Stress haben, schnell werden kann, erzählt der Comic auch.

Denn beinahe driftet Andis Kumpel Murat in die Islamistenszene ab, und das nur, weil er schlechte Noten hat, keine Ausbildungsstelle bekommt und überhaupt alles ein bisschen schwierig ist für einen jungen Muslim in Deutschland.

Dschihadkunde mal anders

Der Comic lässt keine Plattheit aus: Just, als Murat in sein Deprivationsloch fällt und überall nur noch Ausländerfeindlichkeit und Ausgrenzung wittert, taucht ein neuer Mitschüler auf, der einen Fundi-Islam vertritt - und Murat auch gleich zu einem Hassprediger schleppt.

Der gibt Murat ein kleines Einmaleins des heiligen Krieges: Scharia ist super, die Ungläubigen ("Kuffar") müssen bekämpft werden, Imperialisten und Zionisten sowieso. Die Terror-DVD gibts gratis dazu. Und plötzlich spielt Klein Murat im Team der Mudschaheddin - bis zum Happyend.

Der Comic ist bereits der zweite Teil der "Andi"-Reihe. Im ersten vor zwei Jahren erschienenen Heft, hatten sich die NRW-Verfassungsschützer dem Rechtsextremismus entgegengestellt, mit Nazi "Eisenheinrich" und Skingirl Magda in den Nebenrollen und Andi in der Hauptrolle. 170.000 Hefte wurden seitdem verteilt, das nordrhein-westfälische Innenministerium feiert das als großen Erfolg.

Comics Coolness kommt nicht an

Doch wie so oft bei Gewaltpräventionsprogrammen ist das Heft zwar sowohl gut gemeint als auch gut gemacht - deshalb aber noch lange nicht gut.

Murat, der Freund von Andi; Foto: www.im.nrw.de
Durch die überzeugenden Reden des Hasspredigers schwimmt Murat bald im Fundi-Strom mit

​​Denn wie der erste Teil ist "Andi 2" ein peinlicher Versuch, sich bei den Jugendlichen anzubiedern, und das nicht nur beim Sprachcode. Das eine oder andere "echt krass", "korrekt" oder "Alter" mag man noch verzeihen. Murats supercooles Outfit aus Baggypants, Beanie-Wollmütze und Basketballshirt: geschenkt.

Aber dass Nordrhein-Westfalens Innenminister Dr. Ingo Wolf (FDP) als Comicfigur auftritt und die Teenager per Sprechblase warnt: "Extremisten versuchen Jugendliche wie auch mit ihrer Propaganda zu ködern" - das wird die Nachwuchsschläfer in den Schulen bestimmt von ihrem Weg zum Attentäter abbringen.

Hätten doch nur die Bombenbastler Fritz G. und Daniel S. "Andi" gelesen, das Problem des "home grown terrorism" wäre Deutschland garantiert erspart geblieben.

Effekt wird niedrig gehalten

Experten haben denn auch Zweifel, dass die Steuergelder von 33.000 Euro für den "Andi 2"-Comic, der zunächst in einer Startauflage von 100.000 erscheint, sinnvoll ausgegeben sind.

Deckblatt des Andi Comics; Foto:NRW
Die Zielgruppe der Andi-Comics sind Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren

​​"Ich glaube kaum, dass die Jugendlichen den Comic überhaupt ernst nehmen", sagt Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, der sich den Comic für die taz durchgelesen hat. "Das Heft ist sehr schwarz-weiß-malerisch."

Den erwartbaren Nutzen der Aktion hält er deshalb auch für eher niedrig, das Risiko dagegen für nicht unerheblich. "Das kann voll nach hinten losgehen", sagt Pfeiffer. "Ich sehe die Gefahr, dass sich einige Muslime gekränkt fühlen."

Keine Absprache mit muslimischer Gemeinde

Und tatsächlich: Bei den muslimischen Verbänden brodelt es nach Erscheinen des Hefts bereits.

Der Zentralrat der Muslime beschwert sich auf seinen Internetseiten darüber, dass die muslimischen Gemeinschaften nicht um Rat gefragt wurden, als der "Andi"-Comic entwickelt wurde. "Die präventive Wirkung wäre um ein Vielfaches größer gewesen", heißt es dort beleidigt.

Wolf Schmidt

© die tageszeitung 2007

Qantara.de

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