Wer gewinnt den Kalten Krieg im Mittleren Osten?

Im Pulverfass Naher Osten findet momentan ein Kalter Krieg statt. Beim religiösen Wettstreit zwischen schiitischem und sunnitischem Islam geht es vor allem um geopolitische Interessen. Der Iran kämpft gegen Saudi-Arabien und die mit ihm verbündeten Golfstaaten um regionale Dominanz. Von Robert Harvey

Von Robert Harvey

Wie im Kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gibt es – zumindest bis jetzt – keine direkte militärische Konfrontation zwischen den beiden nahöstlichen Hauptrivalen Iran und Saudi-Arabien. Der Krieg wird auf diplomatischer, ideologischer und wirtschaftlicher Ebene geführt, insbesondere auf den Ölmärkten und durch Stellvertreterkriege wie in Syrien und im Jemen. Nur wenige Probleme im Nahen und Mittleren Osten lassen sich nicht auf die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran zurückführen.

Im Moment scheinen sich die Iraner im Aufwind zu befinden. Nach der Entscheidung des Obersten Religionsführers Ayatollah Ali Khamenei, einem internationalen Abkommen zur Beschränkung des iranischen Atomprogramms auf die zivile Nutzung der Kernenergie zuzustimmen, wurden die westlichen Sanktionen weitgehend aufgehoben. Jetzt, wo mit dem Iran wieder Geschäfte gemacht werden dürfen, steht dessen schwächelnde Wirtschaft vor einem Aufschwung. Unterdessen geht die schleichende iranische De-facto-Annektierung von Teilen des Irak – erstaunlicherweise mit amerikanischer Billigung – weiter, da sich mit Ausnahme des sogenannten Islamischen Staats niemand traut, etwas dagegen zu unternehmen.

Mit einer geschätzten Bevölkerungszahl von 77 Millionen hat der Iran gegenüber den saudischen 28 Millionen einen überwältigenden Vorteil. Die iranische Armee ist zwar viel schlechter ausgerüstet als die ihres Gegners, aber sie ist deutlich größer. Darüber hinaus wurde Irans arabischem Hauptverbündeten, dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, eine Atempause gewährt, während der Konflikt in seinem Land ohne Lösung weitergeht.

Angesichts dieser Entwicklungen fühlen sich die Saudis von ihrer Schutzmacht verlassen und angreifbar. Sie glauben, ihr großer traditioneller Verbündeter, die USA, hätte sie durch das Atomabkommen mit Iran verraten. Unterdessen fürchten sie auch dauerhafte strategische Risiken durch das Chaos im benachbarten Irak.

Außerdem müssen die Saudis massive Kritik an ihrem wahhabitischen Islam einstecken, der allgemein beschuldigt wird, ein Nährboden für Extremismus und Terrorismus zu sein. Auch die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien wird ständig kritisiert, vor allem die fehlenden Grundrechte für Frauen.

Mit der Macht des Öls

Erdölraffinerie; Foto: DW
"Ob 30 oder 70 Dollar, das ist uns völlig egal." Prinz Mohammed von Saudi-Arabien erklärte neulich, dass das Königreich sich, ganz im Gegensatz zu Russland und Iran, nicht um Ölpreise schere. Die Saudis fluten momentan den Ölmarkt und versuchen so die Konkurenz einzuschränken.

Vor diesem Hintergrund bekämpft das saudische Königreich seine Gegner im Ausland. König Salman bin Abdulaziz Al Saud ist zwar der Herrscher des Landes, aber sein Sohn Prinz Mohammed bin Salman Al Saud verfügt über einen Großteil der Macht.

Als Verteidigungsminister hat Prinz Mohammed gemeinsam mit der Türkei die saudische Politik der Unterstützung assadfeindlicher Rebellen in Syrien fortgesetzt und im Jemen einen Krieg gegen iranfreundliche Stämme begonnen (zu einem enormen humanitären Preis). Ebenso steht er hinter der zunehmenden Unterdrückung im Inland, wenn er sie nicht sogar angeregt hat, und er hat eine wirtschaftliche Offensive gegen den Iran gestartet. Jüngster Effekt dieses Wirtschaftskampfes sind die fallenden Ölpreise.

Anfang Mai wurde der langjährige saudische Ölminister Ali al-Naimi durch Khalid al-Falih ersetzt, einen Vertrauten Mohammeds. Dieser Wechsel ist ein Zeichen für die Entschlossenheit Saudi-Arabiens, den Ölpreis als Waffe gegen den Iran und seinen Verbündeten Russland einzusetzen. Als ein Ölproduzent, der jederzeit seine Förderung drosseln oder ausweiten kann, ist Saudi-Arabien in der Lage, mit seinen endlosen Reserven billig förderbaren Öls den Markt nach Belieben zu fluten oder auszutrocknen.

Im Moment fluten die Saudis den Markt. Sie versuchen, den Iran und Russland in die Schranken zu weisen, die beide höhere Ölpreise benötigen, um ihr Wirtschaftswachstum aufrecht zu halten. Und die Saudis hoffen, die US-Schieferölproduzenten, die Amerikas Abhängigkeit von Öl aus dem Nahen Osten verringert haben, in den Bankrott zu treiben. Wie Prinz Mohammed kürzlich erklärte, schert sich das Königreich nicht um Ölpreise: „Ob 30 oder 70 Dollar, das ist uns völlig egal.“ Iran und Russland hingegen benötigen für ein Barrel Öl mindestens 70 Dollar.

Die US-Ölindustrie hat sich als anpassungs- und widerstandsfähiger als erwartet herausgestellt: Zwar mussten einige Schieferfelder schließen, aber neue und billigere wurden eröffnet. Aber die Öl-Offensive der Saudis hat dazu beigetragen, dass Iran und Russland Assad gegen seinen Willen an den Verhandlungstisch bringen konnten.

Langfristige Vorteile für Saudi-Arabien

Mohammeds neuer Wirtschaftsplan Vision 2030, der im Mai vorgestellt wurde, eröffnet eine weitere Front im Wirtschaftskrieg. Mit dem Wirtschaftsplan will er zeigen, dass Saudi-Arabien im Gegensatz zu Iran und Russland gegen wirtschaftliche Probleme im Inneren immun ist. Der Plan umfasst die Diversifizierung der Wirtschaft und sieht die Einführung eines riesigen Staatsfonds vor. Er soll den Rückgang der Öl-Einnahmen abfedern, mit denen sich die Regierungselite traditionell den sozialen Frieden erkauft hat.

Diese Strategie der Saudis ist nicht umsonst zu haben. Die Überweisungen an Ägypten (das nach den jüngsten Terroranschlägen und dem Ausbleiben der Touristen selbst unter Druck steht) wurden von ehemals zehn Milliarden Dollar jährlich auf etwa drei Milliarden gekürzt. Und die Finanzhilfen für den Libanon wurden fast völlig eingestellt.

Trotzdem ist das langfristige Ergebnis dieses Kalten Krieges nicht schwer vorhersehbar. Iran und Russland können in der arabischen Welt nie mehr als einen Fuß in der Tür haben. Eine schiitische Macht mag zwar im Irak, in Syrien und im Libanon (über die Hisbollah) weiter Einfluss nehmen, aber darüber hinaus kann sie im Wettstreit mit Saudi-Arabien kaum punkten. Etwa 90 Prozent der Araber sind sunnitische Muslime und damit potenzielle saudische Verbündete.

Die Saudis könnten es sich leisten, reifer und weniger misstrauisch zu reagieren, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Die USA wiederum sollten mehr tun, um sie zu beruhigen – aber dabei nie mit dem Druck zur Verbesserung der Menschenrechte und zur Einführung politischer und wirtschaftlicher Reformen nachlassen.

Robert Harvey

© Project Syndicate 2016

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff