Der Mann, der Riesen kitzelt

Wegen seines bissigen Humors wurde Bassem Youssef schon kurz nach der Arabellion am Nil als Comedy-Star der arabischen Welt gefeiert. Doch der Frühling der Freiheit währte nur kurz: Ende 2013 wurde seine populäre Sendung abrupt abgesetzt. Eine US-Dokumentation porträtiert den legendären Satiriker. Von René Wildangel

Von René Wildangel

Jahrelang hat die amerikanische Produzentin und Regisseurin Sara Taksler mit Jon Stewart an der legendären "Daily Show" gearbeitet. An dessen respektlosem und aufklärerischen Stil orientierte sich Bassem Youssefs Satiresendung "Al-Barnameg" ("Das Programm"), die im arabischen Frühling in Ägypten und der gesamten arabischen Welt zum Straßenfeger wurde.

Spätestens nachdem Youssef in Stewarts Show in New York auftrat wurde er auch international als der "ägyptische Jon Stewart" gefeiert. Und Taksler begann einen Dokumentarfilm zu drehen, mit dem ihr ein persönliches und berührendes Porträt über Youssef gelungen ist. "Tickling Giants" wurde bereits auf dem amerikanischen Indie-Festival Tribeca gefeiert, in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin gab es in Kooperation mit Cinema for Peace die Möglichkeit, den Film bereits in Deutschland zu sehen.

Initialzündung Tahrir-Platz

Der Film beginnt mit Aufnahmen Youssefs aus den ersten Tagen der Revolution auf dem Tahrir. "Ich hatte noch nie vorher solche Proteste gesehen, es war unglaublich", erzählt Youssef. Gemeinsam mit seinem Freund Tarek entscheidet er sich am heimischen Laptop eine kleine Show namens B+ aufzunehmen, die sich schnell zum Hit in der ganzen arabischen Welt entwickelt: Am ersten Tag schauen 35.000 Menschen zu, nach nur zwei Monaten sind es schon Millionen.

Mit seinem einnehmendem Charme und Witz zieht Youssef, der seinen Job als Herzchirurg an den Nagel hängt, los und interviewt die Protestierenden. Youssef ist fasziniert von den Massen auf dem Tahrir und ist selber einer von ihnen. Er hofft wie alle Ägypter auf eine neue Zeit, seine Sendung soll Teil einer neu erkämpften Presse- und Meinungsfreiheit sein. Er macht sich über die verkrustete Kleptokratie der Regierung und Armee lustig, stellt die Versuche der Regierungsmedien bloß, die Proteste zu diskreditieren.

Aber während er seine vermeintlich schärfste Waffe, die Satire, gegen Mubarak einsetzt, schießt die Armee scharf. Auf dem Tahrir wird er Zeuge von ermordeten Demonstranten. So wird sich Youssef von Anfang an dem Ernst seiner satirischen Mission bewusst.

Sara Taksler und Bassem Youssef; Quelle: Sara Taksler
Unbequeme Botschaften für arabische Despoten: Youssef sieht Satire als schärfste Waffe gegen die Mächtigen, als Gradmesser der Meinungsfreiheit, aber seine persönliche Situation wird immer gefährlicher.

Das gilt auch für sein Team, das nun eine Show im Fernsehen produziert, die von einer Mehrheit aller Ägypter gesehen wird. Junge, kreative Ägypterinnen und Ägypter aus ganz verschiedenen Milieus, von liberal bis konservativ, die alle von der Möglichkeit sich endlich frei auszudrücken zu können wie berauscht sind. Ein Grafiker aus seinem Team entwirft das Bild, wie Youssef einen Riesen mit einer Feder unter dem Fuß kitzelt und so daran hindert aufzustampfen: "Tickling Giants".

Furcht vor der Rückkehr der Riesen

Nicht alle Angehörigen sind von der respektlosen Kritik begeistert. Sie sind besorgt, dass die Riesen zurückschlagen, auch nach dem umjubelten Sturz von Mubarak. Denn die Herrschaft der Muslimbrüder ist nicht gerade das, was sich das Team von "Al-Barnameg" erhofft hatte. Immerhin bietet der ungelenke neue Präsident Mursi viel Stoff, um sich lustig zu machen. Aber die zunehmend autoritären Tendenzen der Muslimbrüder schränken auch den Bewegungsspielraum der Show ein, Youssef wird vor Gericht geladen.

Im Juni 2013 kommt es zu einem bemerkenswerten Besuch: der nicht nur von Youssef, sondern seinem gesamten Team verehrte Jon Stewart kommt kurz vor dem Militärputsch als Gast zu "Al-Barnameg". In der sehenswerten Episode wird Stewart als "Spion" mit Gesichtsmaske von zwei Bodyguards hereingeführt, in Anspielung auf die Verschwörungstheorien der Regierung.

Im Gespräch wird deutlich wie nah sich die beiden sind und Stewart macht keinen Hehl daraus, wie sehr er Youssef bewundert. Denn dessen Kritik an den Mächtigen ist mit ungleich mehr Risiko verbunden als seine eigene.

Aber bald werden die Probleme für Youssef und seine Show noch größer: Nach dem gefeierten Militärcoup unter General Al-Sisi und den folgenden Unruhen beginnt das Regime noch radikaler gegen jede Opposition und Kritik vorzugehen.Al-Sisi bietet zwar für Witze eine ähnliche Steilvorlage wie seine Vorgänger. Aber die Welle von Terroranschlägen in Ägypten ebenso wie die brutalen Massaker an den oppositionellen Muslimbrüdern, bei denen bis zu 1.000 Menschen an einem Tag ermordet werden, lassen sich nicht mehr in einer Comdey-Sendung thematisieren. Tausende Menschen werden verhaftet, auch der Vater eines Mitarbeiters der Show, die Arbeit der Zivilgesellschaft und der kritischen Medien wird praktisch unterbunden.

Lobeshymnen statt Spott auf den neuen Diktator?

Vor Youssefs Studio beginnen unter den Augen der Sicherheitskräfte offensichtlich von der Regierung orchestrierte, zunehmend aggressive Proteste. Nach der zweiten Sendung der neuen Staffel knickt sein Sender ein: Er könne nur weitermachen, wenn er auf Kritik an Al-Sisi verzichte.

Das ist völlig undenkbar. Alles worum es hier geht, sagt Youssef, ist ja die Regierung kritisch zu betrachten. Youssef sieht Satire als schärfste Waffe gegen die Mächtigen, als Gradmesser der Meinungsfreiheit, aber seine persönliche Situation wird immer gefährlicher.

Der Versuch, noch einmal den Sender zu wechseln scheitert, jegliche Form der Kritik ist in Al-Sisis Ägypten nicht mehr möglich. In einer Abschlusspressekonferenz teilt er 2014 mit, dass die Show eingestellt wird. Ein trauriger Moment; die Hoffnung auf ein demokratisches Ägypten ist vorerst gescheitert. Youssef flieht in die USA, um einer Verhaftung zu entgehen, selbst als sein Vater stirbt, kann er aus Sicherheitsgründen nicht zurückkehren.

"Amerika – die großartigste Demokratie der Welt. Oder?"

So endet die beeindruckende Geschichte im Film zwar deprimierend. Aber Youssefs Weg ist noch nicht zu Ende. Im Frühjahr 2016 begann er mit der Produktion seiner Comedy-Show Democracy Handbook, im Trailer sagt Youssef: "In Ägypten hatte ich eine Comedy-Show, um die Nation auf den richtigen Weg zu bringen. Dem Volk gefiel es, der Regierung nicht so sehr. So kam ich ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Jetzt kann ich von den Besten lernen. Schließlich ist Amerika die großartigste Demokratie der Welt. Oder?"

In den 20 Folgen bereist er dann ein gespaltenes Land im Wahlkampf, in dem der Kandidat Trump gerade gegen Muslime hetzt, die Islamophobie im Land wächst. Er sieht denselben Trend in den USA wie in Ägypten: "Die Menschen wählen nur aus Emotionen heraus, sie wählen aus ihrer Angst heraus, das ist alles." Ägypten hat Bassem Youssef verloren, die USA brauchen ihn vielleicht mehr denn je.

René Wildangel

© Qantara.de 2017