Salim Bachi: Der Hund des Odysseus

Der Algerier Salim Bachi wurde für seinen Erstlingsroman unter anderem mit dem Prix Goncourt du permier roman 2001 ausgezeichnet. Im Frühjahr erschien er beim Lenos Verlag auf Deutsch. Mona Naggar hat ihn für Qantara.de gelesen.

Ein Tag im Jahr 1996

Diese Stadt Kirtha, wie sie der Autor Salim Bachi beschreibt, existiert nicht. Aber sie trägt die Züge drei algerischer Städte: Algier, Constantine und Annaba. Kirtha, der alte Name der numidischen Hauptstadt, steht für die jahrtausendealte wechselvolle Geschichte Algeriens. Berberstämme, Römer, Araber, Spanier, Türken und schließlich Franzosen kamen und gingen. Geblieben sind Festungen, alte Gassen und vorallem eine blutige Geschichte, die auch in der Gegenwart kein Ende finden will. Kirtha erlaubt ihren Bewohnern kein Entrinnen. Sie verstrickt sie in einen Strudel der Gewalt.

Hussain, Student der Literaturwissenschaft, durchwandert seine Heimatstadt und wird immer mehr in diesen Strudel hineingezogen. Wir begleiten ihn einen einzigen Tag am 29. Juni 1996. Er hält seine Spaziergänge, Tagträume und Ereignisse, die ihm an diesem Tag widerfahren, im Tagebuch fest.

Hintergrund der Handlung ist der brutale Bürgerkrieg, den das Land seit der Annulierung der Parlamentswahlen 1991 erlebt. Mehr als 100 000 Menschen sind seit Beginn der neunziger Jahre von den radikalen Islamisten und vom Militär getötet worden. Jeder muss um sein Leben fürchten. Journalisten werden erschossen. Harmlose Passanten verhaftet und gefoltert. Dorfbewohner abgeschlachtet. Algerien versinkt in einem beispiellosen Chaos. Hass und Rache regieren.

Konflikt der Generationen

Hussain, sein Freund Murad und ihre Altersgenossen sind eine Generation ohne Hoffnung. Sex und Drogen sind die einzigen Möglichkeiten für die jungen Leute, Abwechslung in ihr Leben zu bringen. In den 70er und 80er Jahren aufgewachsen, bietet ihr Land ihnen keine Zukunft. Die Generation ihrer Väter, die gegen die Kolonialmacht Frankreich in den Krieg zogen, später das System der Einheitspartei aufbauten, führte Algerien in den Ruin. Die Machtelite ist nur daran interessiert, ihre Privilegien zu verteidigen. Ein Beispiel dafür ist Major Smard. Im Gespräch mit Hussain bekennt der Terroristenjäger ganz offen, dass er sich nicht um die Rettung des algerischen Staates schert, sondern vor allem darum, dass sich nichts ändert. Er bekämpft nicht das Böse, sondern bedient sich seiner.

Gewalt erzeugt Gewalt

Salim Bachi spiegelt die Stimmung wieder, die unter den jungen Menschen in den 90er Jahren herrscht. Hussain meint, dass seine Generation im Zeichen des Verlustes lebt. Die Hoffnungen schwinden dahin und ihre Jugend rinnt ihnen durch die Finger. Einige lassen sich von der Force Miliaire rekrutieren. Wie zum Beispiel der ehemalige Student Saif. Das gewaltsame Vorgehen der Islamisten gegen die Studenten an der Universität hat ihn zu diesem Schritt getrieben. Nach einer sechsmonatigen Ausbildung gehört er zur Kampfelite des algerischen Militärs. Nun geht er seiner Arbeit in den Folterkammern von Kirtha nach. Oder er geht gegen bewaffnete Islamisten in den Elendsvierteln der Stadt vor. Saif entwickelt sich zu einer perfekten Tötungsmaschine, die sich selber nicht mehr stoppen kann.

Salim Bachis Erstling „Der Hund des Odysseus“ ist kein einfaches Buch. Hussains Tagebuch wird von vielen Einschüben unterbrochen, die sich auch in Sprache und Stil unterscheiden. Aber dem jungen Schriftsteller, der 1971 in Annaba geboren ist, gelingt es, ein Stimmungsbild seiner Heimat zu zeichnen. Er beschreibt die Gefühle der Menschen, die in der Atmosphäre der Gewalt leben. Und er zeigt, was sie dazu bringt, Gewalt auszuüben. Bachi lebt seit 1997 in Paris. Sein Roman, der mehrere Preise erhielt, darf in Algerien nicht verkauft werden.

Mona Naggar, © 2003, Qantara.de