Alles eine Frage des Timings

Sahar Khalifehs "Passage to the Plaza" ist dreißig Jahre nach der arabischen Erstausgabe nun endlich auch auf Englisch erschienen. Reichlich spät, fehlt es dem theatralischen und witzigen Roman doch nicht an politischer Brisanz und Aktualität, meint Marcia Lynx Qualey.

Von Marcia Lynx Qualey

Der Roman "Bab as-Saha", dessen Titel in Sawad Hussains lebhafter Übersetzung zu "Passage to the Plaza" wurde, spielt zu Anfang der ersten palästinensischen Intifada (1987-1993). Wie in vielen von Sahar Khalifehs Romanen steht auch hier ein bedeutender historischer Moment im Mittelpunkt, von dem wir erwarten, dass er uns aus der Vogelperspektive oder durch die Augen "berichtenswerter" Männer erklärt wird. Aber statt uns UN-Resolutionen, Reden oder Verhaftungen vorzuführen, begleitet uns dieser Roman hinab in das reiche, widersprüchliche und schwierige Leben normaler Frauen.

Ein großer Teil der palästinensischen Prosa der 1960er, 70er und 80er Jahre konzentriert sich – nach den Worten des Schriftstellers Atef Abu Saif aus Gaza – auf "nationale Themen und Werte", wodurch die "Besonderheiten von Individuen zugunsten humanitärer Ziele übertüncht wurden".

In Khalifehs Roman hingegen dreht sich alles um Einzelpersonen, die keineswegs heldenhaft sind und mit Mitgefühl und Humor über die nationalen Themen erhoben werden. So wird zu Beginn des Romans auf komische Weise erzählt, wie eine junge Frau namens Samar die viel ältere Sitt Zakia mit einem Fragebogen verfolgt und von ihr wissen möchte, welche Veränderungen sie seit dem Beginn der Intifada im Leben der Frauen bemerkt hat.

Die Frauen und die Intifada

Die optimistische Samar hat gerade ihren Universitätsabschluss gemacht und könnte einer jungen Sahar Khalifeh nachempfunden sein. Sie sucht etwas Positives, das sie in ihre Untersuchungen einfließen lassen kann. Aber Sitt Zakia hat an Samars rosaroter Brille und ihrem Glauben an die Forschung kaum Interesse.

Buchcover Sahar Khalifeh: "Passage to the Plaza" im Verlag Seagull Books
"Diesen schnellen, theatralischen und witzigen Roman in seiner englischen Übersetzung zu lesen, während das Original seinen dreißigsten Geburtstag feiert, ist eine große Freude. 'Passage to the Plaza' fühlt sich keinesfalls veraltet an. Dieser Roman spiegelt nicht nur die Vergangenheit wider, sondern spricht direkt unsere Gegenwart an", so Sahar Khalifeh.

Hier wie auch im restlichen Roman wird die Handlung durch schnelle Dialoge voran getrieben. Oft liest sich dies wie ein Theaterstück mit wenigen zentralen Hauptdarstellern: Samar, die idealistische Wissenschaftlerin; Sitt Zakia, die örtliche Hebamme; Nuzha, die Sexarbeiterin; Hussam, der begehrte Junggeselle und verletzte Held; und Ahmed, Nuzhas jüngerer Bruder.

Während ihres Gesprächs kommen Samar und Sitt Zakia zum heiklen Thema der Sexarbeiterin Nuzha. Sitt Zakia sagt, niemand könne ihr helfen, aber Samar widerspricht:

"Ich? Ich werde sie treffen und dazu bringen, meinen Fragebogen auszufüllen."

"Nein! Wage es nicht! Sei nicht verrückt!"

Aber Samar geht trotzdem zu ihr, und dort, in diesem Haus von "schlechtem Ruf", spielt der größte Teil von Passage to the Plaza. Nuzha ist die Tochter einer Sexarbeiterin namens Sakina, die vor Jahren erstochen wurde. Aber trotzdem wird das Haus immer noch "Sakinas Haus" genannt. Für Nuzha ist es unmöglich, dem Schatten ihrer Mutter zu entkommen.

Enge häusliche Gewalt

In Passage to the Plaza sind die Romanfiguren nicht nur durch israelische Ausgangssperren, Soldaten und Mauern eingeschlossen, sondern auch durch missbräuchliche Beziehungen und soziale Erwartungen. Nachdem Samar mit ihrem Fragebogen bei Nuzha angekommen ist, sind die beiden Frauen neun Tage zusammen eingesperrt. Nach ihrer Befreiung muss sich Samar dann ihren Angehörigen stellen, die wütend sind, dass sie sich mit Nuzha und Hussam getroffen hat.

Ihre Mutter erleidet einen Panikanfall. Ihre Brüder zerren sie aus dem Bett und schlagen sie. Schlimmer noch, Samar spürt, dass sie nicht zurückschlagen kann: "Als sie von den Soldaten geschlagen wurde, wehrte sie sich und ließ die hölzerne Bohle in ihrer Hand und alles andere, was sie zum Zuschlagen finden konnte, auf sie niedergehen. Aber jetzt war sie nur eine Jolle, von den Wellen und Böen umhergeworfen."

Jede Menge Patriotismus, aber nur wenig Solidarität

Überall im Roman zeigen die Charaktere jede Menge Patriotismus, aber nur wenig Solidarität. Nicht nur die Männer setzen den Frauen zu. Auch zwischen ihnen selbst ist die Solidarität brüchig. In einer Szene kommt Umm Azzam in Nuzhas Haus, um ihre Schwägerin Sitt Zakia zu suchen.

Sitt Zakia muss sich darüber, in Nuzhas Haus zu sein, keine Sorgen machen. Sie ist schon seit langem geschieden und hat sich seitdem als verschwiegene, konservative Hebamme in der Gemeinschaft etabliert. Als Umm Azzam in "Sakinas Haus" eintrifft, weiß sie nicht, dass ihr Sohn Hussam mit Fieber im Raum nebenan liegt. Sie vertraut sich Sitt Zakia an und sagt ihr, sie könne es nicht mehr ertragen. "In extrem demütigem Tonfall“ fleht sie sie an: "Bitte nimm mich auf! Ich werde deine Dienerin sein, dein Essen für dich kochen und deine Tasche von Haus zu Haus tragen."

Aber statt Mitleid mit ihrer Schwägerin zu haben, denkt Sitt Zakia an ihren Bruder und den Klatsch der Straße. Sie fordert Umm Azzam auf, nach Hause zu gehen und die Demütigungen zu ertragen.

Kein Herz aus Gold

Nuzha hilft dem verletzten Hussam und versteckt ihn bei sich zu Hause. Aber sie ist nicht gerade eine Prostituierte mit einem Herz aus Gold, die gegen ihren Willen in dieses Leben gezwungen wurde. Stattdessen ist sie eine scharfzüngige, schwierige Frau, die keine Scheinheiligkeit ertragen kann. Es gibt nur eine Person, die Nuzha immer noch bewundert: ihren jüngeren Bruder Ahmed. Er hingegen ist nicht sehr stolz darauf, eine Schwester zu haben, die Sexarbeiterin ist.

Der Roman hat Elemente einer griechischen Tragödie: Kurz vor Schluss verflucht Nuzha in ihrer Trauer ihre Heimat Palästina, und ein Chorus anderer Frauen ist entsetzt: "Verblüfft schlugen sie sich auf ihre Wangen. 'Die da tickt nicht mehr richtig! Gott helfe dir, Palästina!'" Aber dieser Moment hat auch eine komischen Note, weil die Frauen so tun, als werde Palästina durch Nuzhas mangelnden Patriotismus bedroht und nicht durch die Besatzung.

Diesen schnellen, theatralischen und witzigen Roman in seiner englischen Übersetzung zu lesen, während das Original seinen dreißigsten Geburtstag feiert, ist eine große Freude. "Passage to the Plaza" fühlt sich keinesfalls veraltet an. Dieser Roman spiegelt nicht nur die Vergangenheit wider, sondern spricht direkt unsere Gegenwart an.

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2020

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff