Ringen um Afghanistans Bodenschätze

Bislang haben die Taliban hauptsächlich im Opium- und Heroinhandel Geld verdient. Nun regieren die militanten Glaubenskrieger ein Land, das über viele Bodenschätze verfügt - Schätze, auf die China ein Auge geworfen hat. Hintergründe von Nik Martin

Von Nik Martin

Den Taliban ist ein riesiger und geopolitisch enorm wichtiger Schatz in den Schoß gefallen, als sie zum jetzt zweiten Mal die Kontrolle in Afghanistan übernommen haben.

In einem Bericht von 2010 schätzten US-Militärexperten und Geologen, dass Afghanistan - eines der ärmsten Länder der Welt - über Bodenschätze verfügen könnte, deren Wert sich auf beinahe  1.000.000.000.000 US-Dollar (das sind eine Billion Dollar oder rund 850 Milliarden Euro) summieren würden: Eisen, Kupfer, Kobalt, Lithium und Seltene Erden.

Kupfer, Lithium, Seltene Erden

In den darauffolgenden zehn Jahren blieben diese Ressourcen wegen der nicht enden wollenden Gewalt im Land unberührt. In der Zwischenzeit ist der Wert vieler dieser Mineralien durch die Decke gegangen, befeuert vor allem durch den globalen Trend zur Nutzung grüner Energie. Ein Bericht der afghanischem Regierung aus dem Jahr 2017 schätzt den Reichtum an Mineralien auf drei Billionen Dollar - allerdings einschließlich fossiler Brennstoffe.

Lithium, das für Batterien in E-Autos, Smartphones und Laptops gebraucht wird, ist begehrt wie nie zuvor. Die Nachfrage steigt derzeit jährlich um 20 Prozent, vor einigen Jahren lag diese Quote noch bei fünf bis sechs Prozent. Ein Papier des US-Verteidigungsministeriums nennt Afghanistan bereits das "Saudi-Arabien des Lithiums" und schätzt, dass die Vorräte Afghanistans so ergiebig seien wie die Boliviens - derzeit die größten der Welt.

Kupfer profitiert ebenfalls von der globalen wirtschaftlichen Erholung am Ende der Corona-Pandemie: Die Nachfrage stieg im vergangenen Jahr um 43 Prozent. Mehr als ein Viertel des künftigen Reichtums Afghanistans an Mineralien könnte durch den Ausbau der Kupfer-Förderung realisiert werden.

Bodenschätze in Afghanistan. (Grafik: DW)
Kampf um die Bodenschätze Afghanistans: Afghanistan ist sehr reich an Bodenschätzen. Es geht um Rohstoffe im Wert von mehreren Billionen Dollar, auf deren Ausbeutung vor allem China spekuliert.

China und Pakistan schauen genau hin

Während westliche Länder angekündigt haben, nicht mit den Taliban zusammenzuarbeiten, nachdem sie am vergangenen Wochenende auch die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul übernommen haben, stehen Russland, China und Pakistan bereits Schlange, mit der militanten Gruppe Geschäfte zu machen und so die Niederlage der USA und Europas am Hindukusch noch demütigender zu gestalten.

Als Hersteller von fast der Hälfte aller Industriegüter auf der Welt braucht China den Löwenanteil aller Rohstoffe. Peking, das der größte ausländische Investor in Afghanistan ist, führt bereits das Rennen an, wenn es darum geht, ein effizientes Bergbausystem in dem Land am Hindukusch aufzubauen. 

"Die Kontrolle durch die Taliban kommt gerade zu einer  Zeit, wenn der Nachschub an Mineralien in der nahen Zukunft stockt und China sie braucht", sagt Michael Tanchum vom österreichischen Institut für Sicherheitspolitik der DW. "China ist schon bereit, diese Mineralien in Afghanistan zu schürfen."

Die Metallurgical Corporation of China (MCC), eines der größten chinesischen Bergbauunternehmen, hat bereits die Schürfrechte in der afghanischen Provinz Logar gepachtet - für 30 Jahre. 

Vielleicht fehlt es am Willen

Einige Beobachter bezweifeln allerdings, dass die Taliban die Fähigkeit und den Willen haben, die natürlichen Ressourcen des Landes auszubeuten, angesichts der Einnahmen, die sie durch den Drogenhandel erzielen.

"Diese Ressourcen", bemerkt Hans-Jakob Schindler, Direktor beim CEP (Counter Extremism Project), DW gegenüber, "waren ja auch in den 1990er-Jahren schon im Boden und sie (die Taliban) waren nicht in der Lage, sie zu fördern. Man muss weiterhin skeptisch bleiben, wenn es um ihre Fähigkeit geht, die afghanische Wirtschaft zu entwickeln - oder auch um ihren Willen, das zu tun."

Einige hochrangige Taliban-Vertreter haben im vergangenen Monat in Tianjin den chinesischen Außenminister Wang Yi getroffen. Dabei sagte Mullah Abdul Ghani Baradar - der angebliche Mitbegründer der Taliban gilt heute als inoffizieller erster Diplomat der militanten Gruppe - er hoffe, dass China "eine größere Rolle bei Afghanistans Wiederaufbau und wirtschaftlicher Entwicklung" spielen werde.

Chinas Außenminister Wang Yi (rechts) und Mullah Abdul Ghani Baradar, ranghoher Führer der Taliban. (Foto: Li Ran/XinHua/dpa/picture alliance)
Chinas Außenminister Wang Yi bereitete einer ranghohen Taliban-Delegation am 28. Juli in Tianjin einen großen Empfang und wertete die vermeintlichen Gotteskrieger international diplomatisch auf. China werde sich nicht in Afghanistan einmischen, versprach Wang Yi. Aber die Taliban müssten "klar" mit allen terroristischen Gruppen und auch Separatisten brechen, die in Xinjiang für eine Unabhängigkeit des früheren Ostturkestans kämpften. Die Taliban-Führung hofft, dass China beim Wiederaufbau in Afghanistan eine wichtige Rolle spielen könne. Als finanzstarke Regionalmacht, ständiges Mitglied mit Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat und Rivale der USA könnte China für die Taliban ein wichtiger Kooperationspartner werden - der ihnen auch kein anderes politisches System aufzwingen will.

Neue Haltestelle auf der "Neuen Seidenstraße"

Chinesische Staatsmedien beschreiben bereits, wie Afghanistan von Pekings Belt and Road Initiative (BRI), der "Neuen Seidenstraße", dem umstrittenen Infrastrukturprojekt Xi Jinpings, profitieren könne.

Doch zuvor müssen Sicherheitsaspekte bedacht werden: Ein Übergreifen der Gewalt von Afghanistan auf andere wichtige zentralasiatische Länder und deren Netzwerk an Pipelines könnte die Versorgung Chinas mit Öl und Gas gefährden.

Peking fürchtet zudem, dass das vom Krieg zerrissene Land zu einem Rückzugsgebiet der (muslimischen) chinesischen Minderheit der Uiguren werden könnte und dass seine wirtschaftlichen Interessen durch anhaltende Gewalt in Afghanistan gefährdet werden könnten. "Die Bergbauvorhaben der MCC (Metallurgical Corporation of China) sind durch die Instabilität aufgrund des Konfliktes zwischen den Taliban und der früheren afghanischen Regierung stark beeinträchtigt worden", so Michael Tanchum, der auch für das Middle East Institute (MEI) arbeitet.

Safety first

"Wenn die Taliban für Peking stabile Arbeitsbedingungen schaffen können, dann hat allein die Kupfer-Ausbeute das Potential, Dutzende Milliarden Dollar an Einnahmen zu produzieren und damit die Förderung anderer Mineralien in dem Land zu ermöglichen", so Tanchum.

Bis heute aber hat die afghanische Regierung keinen Profit aus ihren bereits existierenden Förderprogrammen schlagen können. Im Gegenteil: Einem Report des Kabel-TV-Senders Al Jazeera zufolge verliert die Regierung rund 300 Millionen Dollar jährlich.

Das Nachbarland Pakistan sollte ebenfalls von Afghanistans Bodenschätzen profitieren können. Die Regierung in Islamabad, die 1996 die erste Machtübernahme der Taliban in Afghanistan unterstützt hatte, pflegt immer noch Verbindungen zur Gruppe. Pakistan gehört darüber hinaus zu den Hauptnutznießern des "Neue-Seidenstraße"-Projektes.

"Pakistan hat ein berechtigtes Interesse, weil die Materialien über die 'Seidenstraße' von Pakistan nach China transportiert würden", sagt Michael Tanchum der DW und fügt hinzu, dass ein Deal mit den Taliban Islamabad dazu berechtigen könnte, in der Region für ein stabiles Sicherheitssystem zu sorgen.

Man sieht es nicht auf den ersten Blick, aber hier, im Mes Aynak Tal, lagert sehr viel Lithium.  (Mes Aynak Tal/AP Photo/picture alliance)
Man sieht es nicht auf den ersten Blick, aber hier, im Mes Aynak Tal, lagert sehr viel Lithium.

Immer noch nur Zukunftsmusik

Afghanistans neue Führer haben noch einen weiten und steilen Weg vor sich, wenn sie die Bodenschätze des Landes ausbeuten wollen. Ein effizientes Bergbausystem in einem Failed State, einem gescheiterten Staatswesen, aufzubauen, dürfte viele Jahre dauern.

Sicherheit wird es nicht über Nacht geben. Und Korruption, die weiterhin blüht und wohl ihren Teil zum schnellen Erfolg der Taliban beigetragen hat, könnte fremde Investments verhindern.

"Eines der Hauptprobleme war, dass man keine Ressourcen aus dem Land herausbekam ohne eine private Armee, die sie vor den Taliban beschützte", sagt Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project. "Diese Bedrohung ist nun verschwunden, aber es gibt noch immer keine Infrastruktur, sodass es noch riesiger Investitionen bedarf."

Die USA und Europa, die abhängig sind von der Einfuhr Seltener Erden aus China, sehen sich nun einem neuen Dilemma im Umgang mit den Taliban gegenüber. Viele westliche Investoren waren sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, Rohstoffe auszubeuten, sie beklagten mangelnde Rechtssicherheit und die allgemeine Sicherheitslage.

Versuchen sie nun, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, setzen sie sich dem Vorwurf aus, den Sturz der aufkeimenden Demokratie durch die Taliban und ihre Verstöße gegen die Menschenrechte zu ignorieren. Tun sie es aber nicht, geraten sie China gegenüber ins Hintertreffen.

Nik Martin

© Deutsche Welle 2021

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

 

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