Eine Welt voller Khashoggis

Nach dem Tod des saudischen Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi steht zu befürchten, dass die Drahtzieher des Mordes straffrei ausgehen könnten. Eine Entwicklung mit fataler Signalwirkung für den Journalismus weltweit, schreibt Daoud Kuttab.

Von Daoud Kuttab

Seit inzwischen zwei Monate dominieren der brutale Mord an dem in den USA wohnhaften saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul und seine geopolitischen Folgen die Schlagzeilen weltweit. Doch ist dieser Fall alles andere als eine Anomalie. Tatsächlich sind laut dem International Press Institute die Gewalt gegen Journalisten und die Straflosigkeit, mit der die Täter davonkommen, "zwei der größten Bedrohungen für die Medienfreiheit in unserer heutigen Welt".

Regierungen verwenden häufig Zuckerbrot und Peitsche, um Journalisten auf Linie zu halten. Manchmal belohnen sie Journalisten dafür, dass sie die offizielle Linie einhalten, und bestechen sie finanziell oder auf andere Weise. Diejenigen jedoch, die sich nicht kaufen lassen, können den Verlust von Grundrechten (wie Passverlängerungen) erleiden, oder ihr Ruf wird ruiniert.

Trumps Feinde und Fake News

Zu diesem Zweck eifern einige autokratische Regime US-Präsident Donald Trump nach und bezeichnen Journalisten als "Feinde", die "Falschmeldungen" verbreiten. Dies ist ein absoluter Rückschritt für die USA – ein Land, dessen formelle und informelle Mechanismen zum Schutz der Presse und dessen robuste Kultur des investigativen Journalismus in der Vergangenheit ein eindrucksvolles und mächtiges Vorbild abgaben.

US-Präsident Trump zu Besuch beim saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in Riad am 20. Mai 2017; Foto: picture-alliance/AP
Waffendeals statt Menschenrechte und "America First": westliche Länder haben es versäumt, klar Stellung zu beziehen. Trump etwa hat erklärt, er "stehe zu" Saudi-Arabien, einem engen Verbündeten der USA – weitgehend, um die großen Waffengeschäfte mit dem Königreich nicht zu gefährden.

Verhaftungen sind eine andere beliebte Methode, mit der autokratische Regime Journalisten, die den Mächtigen den Spiegel vorhalten, zum Schweigen bringen. In Ägypten etwa ist Mahmoud Hussein (Al Jazeera) inzwischen seit zwei Jahren ohne Prozess inhaftiert. In den Vereinigten Arabischen Emiraten sitzt der jordanische Journalist Tayseer al-Najjar derzeit eine dreijährige Gefängnisstrafe ab, die noch verlängert werden wird, wenn seine Familie es nicht schafft, die ihm auferlegte enorme Geldstrafe von 136.000 Dollar für ein in den sozialen Medien abgesetztes Posting zu bezahlen. Und in der Türkei wurden seit dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 mehr als 150 Journalisten inhaftiert, was das Land zum größten Gefängnis für Journalisten weltweit macht.

Und dann natürlich sind da die Journalisten, die gezwungen werden, im Dienste der Wahrheit das ultimative Opfer zu bringen. Laut einer Zählung wurden in diesem Jahr bisher 73 Journalisten getötet, und in zwölf Ländern wurden in 2017 jeweils fünf oder mehr Morde an Journalisten nicht aufgeklärt. Hierzu gehören nicht allein gewaltgeplagte Länder wie der Irak, Somalia und Syrien, sondern auch Demokratien (und Quasi-Demokratien) wie Brasilien, Indien, Mexiko, Nigeria und Russland.

Maulkorb für Journalisten

Diese Länder – von denen viele Verbündete der USA und anderer westlicher Länder sind – haben häufig keinen politischen oder diplomatischen Preis für ihr Tun zahlen müssen. In diesem Sinne sendet der Mord an Khashoggi eine machtvolle Botschaft aus.

Es wird weithin angenommen, dass der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) die Tötung angeordnet hat. Doch in Entwicklungsländern, die finanzielle Unterstützung durch Saudi-Arabien erhalten oder darauf angewiesen sind, werden Journalisten und Menschenrechtsaktivisten höflich (oder weniger höflich) aufgefordert, den Mund zu halten, während MBS die Region besucht, um sein Image aufzupolieren.

Proteste gegen den Besuch des saudischen Kronprinzen MbS in Tunis; Foto: Reuters
Proteste gegen "Abul Irhab" alias Mohammed bin Salman: In vielen arabischen Ländern etwa ist es ein Verbrechen, etwas zu tun oder zu veröffentlichen, was dem Ruf "eines Bruder- oder befreundeten Landes" schaden könnte. Während also viele tunesische Menschenrechtsaktivisten gegen MBS' jüngsten Besuch protestierten, mussten viele arabische Aktivisten trotz ihrer deutlichen Ablehnung der Handlungen des saudischen Kronprinzen hiervon absehen, um nicht ins Gefängnis zu wandern.

In vielen arabischen Ländern etwa ist es ein Verbrechen, etwas zu tun oder zu veröffentlichen, was dem Ruf "eines Bruder- oder befreundeten Landes" schaden könnte. Während also viele tunesische Menschenrechtsaktivisten gegen MBS' jüngsten Besuch protestierten, mussten viele arabische Aktivisten trotz ihrer deutlichen Ablehnung der Handlungen des saudischen Kronprinzen hiervon absehen, um nicht ins Gefängnis zu wandern.

Waffen-Deals haben Priorität

Selbst einige westliche Länder haben es versäumt, klar Stellung zu beziehen. Trump etwa hat erklärt, er "stehe zu" Saudi-Arabien, einem engen Verbündeten der USA – weitgehend, um die großen Waffengeschäfte mit dem Königreich nicht zu gefährden.

Zu den wenigen, die den Mut zeigten, sich zu äußern, gehören die unter israelischer Besatzung lebenden palästinensischen Journalisten. Mehr als 150 unabhängige palästinensische Journalisten haben die sogenannte "Avaaz-Petition" unterzeichnet, in der es heißt, dass der Mord an Khashoggi "einen gefährlichen Präzedenzfall [schafft], der das Leben von Journalisten, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, die Freiheit journalistischer Arbeit und das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen bedroht".

Die Petition blickt zudem über den Fall Khashoggi hinaus und fordert die Umsetzung "verbindlicher Gesetze, die Journalisten schützen, ihr Recht auf freie Arbeit garantieren und diejenigen bestrafen, die gegen dieses Recht verstoßen".

Angesichts der weiten Verbreitung von Verbrechen gegen Journalisten – und der enormen Bedeutung ihrer Arbeit für unsere Gesellschaften – verdienen die Forderungen der Petition die Unterstützung aller Bürger dort, wo die Pressefreiheit eingeschränkt oder bedroht ist.

Daoud Kuttab

© Project Syndicate 2018

Aus dem Englischen von Jan Doolan