Wo die Seelen verkümmern

Journalisten erhalten praktisch keinen Zugang mehr zum Jemen. Auch DW-Korrespondentin Fanny Facsar musste ein Jahr lang für ein Visum kämpfen. Zurück kam sie mit Eindrücken aus einem zerrissenen und vergessenen Land. Von Fanny Facsar

Von Fanny Facsar

Es war im Juli, als ich einen Anruf aus Aden erhielt: "Sie haben ein Einreisevisum für den Jemen." Nahezu ein Jahr war vergangen, seit ich zum ersten Mal versucht hatte, in den Jemen zu gelangen. Wird es dieses Mal tatsächlich klappen? Oder wird man mich am Flughafen in Amman zurückschicken, wie so viele Journalisten vor mir? Ich hatte Glück und konnte in Aden einreisen.

Ich habe die lange Reise vom DW-Studio in Lagos, Nigeria, über Kairo und Amman nach Aden allein gemacht - ohne Team, ohne TV-Ausrüstung. Vor Ort konnte ich dennoch direkt loslegen und filmen, denn seit zehn Monaten bereits stand ich in regelmäßigem Kontakt mit einem lokalen Team.

Die überall herrschende Unsicherheit und Anspannung war sofort spürbar. Wir passierten diverse Kontrollpunkte in und um die Interimshauptstadt Aden - ein Spiegel der komplexen politischen Situation im Land. Einige wurden von Regierungstruppen beziehungsweise dem, was davon noch übrig ist, kontrolliert. Andere von Kräften, die auf Seiten Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate stehen. Wieder andere Kontrollpunkte waren in der Hand von Separatisten der STC, die von einem eigenen Staat im Süden des Jemen träumen. Auch in Aden operieren militante Islamisten, von denen man nicht weiß, wann sie wieder zuschlagen werden. 

Eine Verborgene erhält Zugang

In diesem Chaos wechselnder Allianzen ist die Berichterstattung gefährlich, zumal für Ausländer. Nicht nur, weil ich eine Frau im konservativen Jemen war, war es daher notwendig, mich unter einem Schleier zu verbergen. Aber gerade in einer konservativen Gesellschaft wie der jemenitischen öffnen sich einer Frau die Türen eher, wenn es um bestimmte Geschichten geht. Das galt schon bei Recherchen für meine Reportagen aus Saudi-Arabien im vergangenen Jahr.

Auch das ist Jemen: Einkaufen in der offiziellen Hauptstadt Sanaa; Foto: Getty Images/AFP
Auch das ist Jemen: Einkaufen in der offiziellen Hauptstadt Sanaa

Fatima öffnet mir ihre Tür. Sie hat erst vor kurzem ihr Medizinstudium beendet und war mit ihrer Arbeit in einem öffentlichen Krankenhaus überfordert. Zu wenig Personal, zu wenig Betten, nicht genügend Medikamente. "Wir haben manchmal nicht einmal genug Sauerstoff verfügbar, wenn es schnell gehen muss", sagte sie. Ein Dampf-Inhalationsgerät muss aushelfen, während ein 18 Monate altes Kind um jeden Atemzug kämpft. Am Ende kommt die Sauerstoffflasche gerade noch rechtzeitig. Aber viele Kinder schaffen es nicht, sagt Fatima. Sie sagt, sie werde ihre Arbeit unbezahlt fortführen, denn "irgendjemand muss doch für diese Kinder aufstehen".

Zu Hause sucht Fatima Zuflucht von allem. Sie hat Träume wie jede junge Frau: mit Freunden etwas unternehmen, unter Leute gehen. War es bislang die konservative Gesellschaft, die vielen Frauen die Möglichkeit verwehrte, so ist es jetzt auch noch der Krieg, der Frauen, die von Unabhängigkeit träumen, das Leben erschwert. "Dabei habe ich es noch gut, meine Familie ist wesentlich offener, als andere jemenitische Familien. Mein Vater unterstützt meine Idee, alleine nach Deutschland zu reisen und neu anzufangen." Ob sie es schafft, sich als Ärztin im Ausland weiterzuqualifizieren? Völlig unklar.

Es gibt viele Jemen

Selbstmordanschlag auf eine Polizeistation in der jemenitischen De-facto-Hauptstadt Aden im August 2019; Foto: Getty Images/AFP
Selbstmordanschlag auf eine Polizeistation in der jemenitischen De-facto-Hauptstadt Aden im August 2019

Meine Reise führte mich in ganz unterschiedliche Regionen des Landes. In der Tat gibt es viele Jemen: das Jemen, in dem sich die Menschen noch immer leisten können, in einen Supermarkt zu gehen; das Jemen derer, die auf einem Markt der Wut freien Lauf lassen. "Ich habe nur zwei Fische bekommen für sieben Personen. Was sollen wir essen?" ruft eine ältere Dame. Und es gibt auch das Jemen der Neuankömmlinge, der afrikanischen Migranten, die zu Hunderten die Wüste durchqueren auf dem Weg nach Saudi-Arabien - Menschen, die nur sehr wenig wussten über den andauernden Krieg im Jemen.

Ich habe auch Jemeniten getroffen, die trotz allen Elends kulturelles Leben erhalten und fördern wollen, die von Kinos und Theatern träumen. Es treibt sie um, dass die Menschen nicht nur sterben, weil Lebensmittel fehlen, sondern zugleich ihre Seelen verkümmern ohne Kultur. 

Nur wenige Tage, nachdem ich Aden verlassen habe, gibt es ein Selbstmordattentat auf eine Polizeistation in der Nähe des Krankenhauses, in dem wir gefilmt haben. Ja, es ist ein schwer zugänglicher Ort, voller Risiken, sobald man ankommt. Und doch ist der Jemen es wert, erneut hierher zu kommen. Um über die Menschen zu berichten, die unter einer Politik leiden, die andere zu verantworten haben. Menschen, für die sich anscheinend niemand mehr interessiert, seit sich die Aufmerksamkeit verschoben hat hin etwa zum Konflikt am Golf, zwischen Iran und den USA. Während der "vergessene Krieg" im Jemen fortdauert.

Fanny Facsar

© Deutsche Welle 2019