Sicherheit über alles

Kaum ein Regionalakteur versucht die politischen Entwicklungen im Nahen Osten und Nordafrika derzeit an so vielen Fronten in seinem Sinne zu beeinflussen wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Von Matthias Sailer

Von Matthias Sailer

Ob in den Bürgerkriegen im Jemen, Syrien und Libyen, der Qatar-Krise, im Nahostkonflikt, in Ägypten, Libanon oder im Irak: Saudi-Arabien und die VAE haben ihre Hände im Spiel – meist mit der Folge, dass die Region sich weiter destabilisiert.

Neben der Unerfahrenheit und Aggressivität des jungen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und seines emiratischen Pendants und Mentors Mohammed bin Zayed, sind es vor allem zwei Motive, durch die sich ihr regionalpolitisches Agieren erklären lässt.

Zum einen speist sich die Außenpolitik beider Akteure bis heute wesentlich aus dem innenpolitischen Kerninteresse der dortigen Königsfamilien, nämlich der Absicherung ihrer autokratischen Herrschaft. Herrschaftssicherung bedeutet dabei besonders die Bekämpfung oder Kontrolle der heimischen Opposition.

Gefahr für die wahhabitische Staatsreligion

Im Zentrum standen und stehen dabei islamistische Gruppen, deren Ideologie der der ägyptischen Muslimbruderschaft nahe steht. Das liegt daran, dass seit den 1950er Jahren viele Mitglieder dieser Organisation aus Ägypten flohen und nach Saudi-Arabien und in die VAE immigrierten, wo sie ihre Ideologie verbreiten konnten.

Für das saudische Herrscherhaus, das seine Herrschaft wesentlich auf seine Staatsreligion gründet, stellt diese Ideologie eine Gefahr da. Denn der Staat propagiert eine obrigkeitshörige Islaminterpretation, in der nur sehr wenige Szenarien existieren, in denen es erlaubt wäre, sich gegen seinen Herrscher zu stellen.

Mohammed bin Zayed Al Nahyan (l.) bei Mohammed bin Salman in Riad; Foto: picture-alliance/AA
Die Achse Riad – Abu Dhabi: Neben der Unerfahrenheit und Aggressivität des jungen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und seines emiratischen Pendants und Mentors Mohammed bin Zayed, sind es vor allem zwei Motive, durch die sich ihr regionalpolitisches Agieren erklären lässt. Zum einen speist sich ihre Außenpolitik wesentlich aus dem innenpolitischen Kerninteresse der dortigen Königsfamilien, nämlich der Absicherung ihrer autokratischen Herrschaft. Zum anderen geht es ihnen um die Eindämmung des regionalen Einflusses des schiitischen Iran.

Die Ideologie der Muslimbruderschaft hingegen setzt die Hürden dafür erheblich niedriger. Daher fürchtete die saudische Führung 2011, dass die in Ägypten durch den Aufstand und die darauf folgenden Wahlen erstarkte Bruderschaft versuchen könnte, die Anhänger ihrer Ideologie in Saudi-Arabien gegen das Herrscherhaus zu mobilisieren.

Im Inland versuchte das Königshaus entsprechend dieser Bedrohungswahrnehmung potenziellen Systemgegnern einmal durch Repression zu begegnen. Um den Islamisten den Nährboden für Kritik in der breiten Bevölkerung zu entziehen, wurde diese Strategie weiterhin von einem umfangreichen Paket finanzieller Wohltaten begleitet.

Wirtschaftlicher Druck auf die junge Bevölkerung

Dadurch versuchten die Herrscher, die schwierige sozioökonomische Lage des Landes zu kompensieren. Insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit (laut Weltbank 2016 31 Prozent) setzt die Al-Sauds unter Druck, zumal ca. 60 Prozent aller Saudis unter 30 Jahre alt sind.

Obwohl das Land zu den reichsten der Welt gehört, haben die Herrscher des Landes es in den letzten Jahrzehnten versäumt, die Ölabhängigkeit der Wirtschaft zu reduzieren und die Ölmilliarden in den Ausbau von ölunabhängigen Wirtschaftssektoren zu investieren. Doch aufgrund des seit 2014 eingebrochenen Ölpreises sind die Staatseinnahmen massiv zurückgegangen. Da etwa 40 Prozent aller Saudis im Staatssektor beschäftigt sind und auch die Privatwirtschaft stark von staatlichen Investitionen abhängig ist, ist die bisherige Strategie nicht mehr aufrecht zu halten.

Zur Lösung dieser Probleme setzen König Salman und sein Kronprinz, Mohamed bin Salman, auf die "Vision 2030", ein Plan, durch den der Staat und die Wirtschaft weniger abhängig vom Öl werden sollen.

Dies bedeutet jedoch zusätzlichen wirtschaftlichen Druck auf die junge Bevölkerung, den die saudische Führung den Menschen durch das Gewähren von mehr gesellschaftlichen Freiheiten erträglich zu machen versucht. Auch um diese Reformen durchzusetzen, hat der saudische Kronprinz den restlichen Teil der Königsfamilie weitestgehend entmachtet.

Die Herrscher der VAE stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Auch sie gehen gegen jegliche Opposition vor, insbesondere wenn sie der Ideologie der Muslimbrüder nahe steht. Doch sie befinden sich wirtschaftlich in einer komfortableren Situation. Denn die Führung muss die enormen Öleinnahmen nur mit einer deutlich kleineren Bevölkerung auf einem kleineren Staatsgebiet teilen.

Gitex 2017 Ruyaa ("Vision 2030") im Pavillion Saudi-Arabien; Foto: AFP/Getty Images
Wirtschaftlicher Wandel durch Modernisierung und Diversifizierung: Zur Lösung der ökonomischen Probleme setzen König Salman und sein Kronprinz, Mohamed bin Salman, auf die „Vision 2030“, ein Plan, durch den der Staat und die Wirtschaft weniger abhängig vom Öl werden sollen.

Zudem haben die Herrscher der VAE die Wirtschaft bereits deutlich mehr diversifiziert, was ihnen einerseits hohes Ansehen in der Bevölkerung eingebracht hat. Auf der anderen Seite verfügt das Herrscherhaus über keine Allianz mit einem einflussreichen Klerus, der ihre Machtposition vor Angriffen einer islamistischen Opposition schützen könnte. Der Kronprinz von Abu Dhabi ist einer der kompromisslosesten Gegner der Muslimbruderschaft. Das gleiche trifft für einige seiner wichtigsten Berater zu.

Gemeinsame Frontstellung gegen die Muslimbrüder

Diese Faktoren bestimmen ganz wesentlich die Außenpolitiken der beiden Golfstaaten. Letztere haben sich seit 2011 gegen den politischen Aufstieg der Muslimbrüder in deren Mutterland Ägypten positioniert. Allein zwischen dem Sturz des ägyptischen Präsidenten und Muslimbruder Mohamed Mursi im Juli 2013 und 2015 haben die VAE und Saudi-Arabien dabei Zuwendungen und Kredite im Wert von schätzungsweise 27 Mrd. US-Dollar an Kairo geleistet.

Das im Juni 2017 verhängte Embargo gegen Qatar ist ebenso vor diesem Hintergrund zu sehen. Qatars Unterstützung der Muslimbruderschaft in Ägypten und in der gesamten arabischen Welt, einschließlich seiner Beherbergung von Dissidenten und sonstigen Anhängern der Organisation und ihrer regionalen Affiliationen sind ein entscheidender Grund für die aggressive Vorgehensweise gegen das Emirat.

Dass König Salman mit der Muslimbruderschaft zumindest außerhalb Saudi-Arabiens bisher pragmatischer umging als sein Vorgänger König Abdallah, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Saudi-Arabien die Organisation grundsätzlich als Bedrohung sieht –wenngleich weniger als die VAE.

Doch es sind nicht nur auf Herrschaftssicherung ausgerichtete und damit verbundene sozioökonomische Interessen, die das außenpolitische Verhalten beider Akteure entscheidend bestimmen. Geostrategie ist ein zweiter wesentlicher Faktor.

Für Saudi-Arabien und die VAE geht es dabei vor allem um die Eindämmung des regionalen Einflusses des schiitischen Iran. Zwar spielt bei diesem Konflikt zum Teil auch Herrschaftssicherung eine Rolle, da man mögliche iranische Aufwiegelungsversuche schiitischer Minderheiten in Saudi-Arabien verhindern möchte. Im Kern handelt es sich jedoch um einen Hegemonialkonflikt. Denn der Anteil der schiitischen Bevölkerung im Königreich liegt bei lediglich zehn Prozent und die Gefahr einer herrschaftsgefährdenden Mobilisierung ist gering.

Saudische Rial-Scheine; Foto: picture-alliance/dpa
Saudi-Arabiens Wirtschaft in freiem Fall? Die politische Führung in Riad hatte zum Jahresanfang im Zuge von Wirtschaftsreformen unter anderem eine Mehrwertsteuer eingeführt. Auch die Benzinpreise erhöhte die Regierung massiv um mehr als 80 Prozent. Dem islamisch-konservativen Königreich, das viel Geld in die Rüstung steckt, machte in den vergangenen Jahren der Ölpreisverfall schwer zu schaffen. Das Haushaltsdefizit lag 2017 bei 8,9 Prozent, das ist ein Minus von 230 Milliarden Rial (etwa 52 Milliarden Euro).

Regionale Eindämmungsstrategien gegen den Iran

Anders sieht es mit dem seit Langem wachsenden regionalen Einfluss Irans aus. Dessen direkte militärische Präsenz in Syrien, der starke Einfluss auf zahlreiche schiitische Milizen im Irak und auf die Hisbollah im Libanon und auch die –wenngleich dort weitaus geringere- Involvierung im Jemen, also in unmittelbarer Nachbarschaft Saudi Arabiens und der VAE, haben diese Staaten in Alarmstimmung versetzt. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Export der iranischen Revolutionsideologie in andere Staaten Teil der iranischen Staatsdoktrin ist.

Saudi-Arabien und die VAE üben daher großen Druck auf Akteure aus, die dem Iran nahe stehen oder mit ihm enge Beziehungen unterhalten. So ist das Embargo gegen Qatar auch durch dessen Beziehungen zu Iran zu erklären, mit dem das Emirat sich ein gemeinsames Gasfeld teilt.

Im Jemen befürchteten die beiden Golfstaaten, Iran könnte eine Art zweite Hisbollah auf der arabischen Halbinsel aufbauen, die sich - ähnlich wie im Libanon - zu einem mächtigen militärischen und politischen Akteur entwickeln könnte. 2015 erfolgte deshalb eine umfangreiche Militärintervention gegen die teilweise von Iran unterstützten Huthi-Rebellen.

In Syrien ist man daran interessiert, die Machtposition Irans in einem Nachkriegs-Syrien zu minimieren. Dazu gehört auch die Verhinderung einer Landbrücke von Iran über den Irak zur Hisbollah im Libanon.

Selbst mit Israel, einem Erzfeind Irans, pflegt man daher im Sicherheitsbereich gute Beziehungen. Im Irak versuchen Saudi-Arabien und die VAE, ihre Beziehungen mit der Zentralregierung zu verbessern und über mögliche Wiederaufbauhilfen den dortigen iranischen Einfluss zurückzudrängen. Und im Libanon hat man versucht, den Ministerpräsidenten unter Druck zu setzen, damit dieser sich offensiver gegen die vom Iran kontrollierte Hisbollah positioniert.

In Zukunft werden einzelne außenpolitische Vorgehensweisen insbesondere Saudi-Arabiens aufgrund der Impulsivität des dortigen Kronprinzen zwar weiterhin nur schwer vorherzusehen sein. Die beiden Grundinteressen Saudi-Arabiens und der VAE werden sich in naher Zukunft jedoch nicht stark verändern und weiterhin die Leitlinien ihrer Außenpolitik bilden.

Matthias Sailer

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Matthias Sailer ist Promotionsstipendiat der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.