Trumps "erbärmliche" Anhänger

Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton hatte kürzlich die Anhänger ihres Gegners Donald Trump als "Korb der Erbärmlichen" bezeichnet. Das war weder taktvoll noch elegant formuliert, und Clinton hat sich später dafür entschuldigt. Aber sie hatte eher Recht als Unrecht. Von Ian Buruma

Von Ian Buruma

Trump zieht eine Vielzahl von rassistischen Unterstützern an, deren Ansichten erbärmlich sind. Das Problem ist, dass viele dieser erbärmlichen Wähler zugleich relativ ungebildet sind, was Clintons Bemerkung snobistisch aussehen ließ. Beklagenswerterweise gibt es in den USA zu viele relativ ungebildete Menschen.

Unter den entwickelten Ländern nehmen die USA, was die Lese- und Schreibfähigkeit, die Allgemeinbildung und die naturwissenschaftlichen Kenntnisse angeht, einen niedrigen Platz ein. Japaner, Südkoreaner, Holländer, Kanadier und Russen weisen konsequent höhere Werte auf. Dies beruht zumindest teilweise darauf, dass man in den USA die Bildung zu stark dem Markt überlässt: Wer Geld hat, ist hochgebildet, und wer nicht über ausreichende Mittel verfügt, ist nicht gebildet genug.

Clinton scheint bisher eindeutig die gebildeteren städtischen Wähler anzusprechen, während Trump überwiegend für die weniger gebildeten weißen Männer attraktiv ist, von denen viele in früheren Generationen demokratisch wählende Berg- oder Industriearbeiter gewesen wären. Bedeutet dies, dass es eine Verknüpfung zwischen Bildung bzw. Bildungsmangel und der Attraktivität eines gefährlichen Demagogen gibt?

Besonders bemerkenswert in Bezug auf Trump sind das Ausmaß seiner eigenen Unwissenheit (trotz seines hohen Bildungsabschlusses) und die Tatsache, dass er davon zu profitieren scheint, dass er damit prahlt. Vielleicht ist es einfacher für einen großmäuligen Ignoranten, eine Viezahl an Personen zu überzeugen, deren Wissen über die Welt so gering ist wie sein eigenes.

Furcht, Ressentiments und Misstrauen

Doch beruht diese Annahme darauf, dass Tatsachen in der Rhetorik eines populistischen Agitators eine Rolle spielen. Viele von Trumps Anhängern scheinen nicht viel Wert auf sachliche Argumente zu legen – dies ist etwas für "liberale" Snobs. Was mehr zählt, sind Emotionen, und die wichtigsten Emotionen, die Demagogen in den USA und anderswo manipulieren, sind Furcht, Ressentiments und Misstrauen.

Trump-Anhänger in New Hampshire; Foto: Reuters/M. Segar
Manipulierte Emotionen: "Die Anhänger Trumps zeigen einen ähnlichen Groll gegen die Symbole der Elite, wie etwa Wall-Street-Banker, die etablierten Medien und Washingtoner 'Insider'. Ihre Fremdenfeindlichkeit jedoch richtet sich gegen arme mexikanische Einwanderer, Schwarze oder Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten, die als Schmarotzer wahrgenommen werden, welche ehrliche (sprich: weiße) Amerikaner um den ihnen zustehenden Platz in der sozialen Hackordnung bringen", schreibt Buruma.

Dies war auch in Deutschland der Fall, als Hitler an die Macht kam. Doch fand die NSDAP die Masse ihrer Unterstützer in ihrer Frühphase nicht unter den am wenigsten gebildeten Teilen der Bevölkerung. Deutschland war Durchschnitt gebildeter als andere Länder, und zu den begeistertsten Nazis gehörten Lehrer, Ingenieure und Ärzte sowie, auf dem Land, Kleinunternehmer, Angestellte und Landwirte.Die städtischen Fabrikarbeiter und konservativen Katholiken waren insgesamt weniger anfällig für Hitlers Einflüsterungen als viele hochgebildete Protestanten. Geringe Bildungsstandards bieten keine Erklärung für Hitlers Aufstieg.

Furcht, Ressentiments und Misstrauen waren nach der Schmach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und inmitten einer verheerenden Wirtschaftsdepression groß in der Weimarer Republik. Doch die von den Propagandisten der Nazis geschürten rassischen Vorurteile waren andere als die, die heute bei vielen Trump-Anhängern erkennbar sind. Damals wurden die Juden als unheilvolle Kraft betrachtet, die die Eliteberufe dominierte: als Banker, Professoren, Anwälte, in den Nachrichtenmedien oder in der Unterhaltungsbranche. Sie waren die Verräter aus der "Dolchstoßlegende", die den Wiederaufstieg Deutschlands verhinderten.

Kampf um Privilegien und soziale Hackordnung

Die Anhänger Trumps zeigen einen ähnlichen Groll gegen die Symbole der Elite, wie etwa Wall-Street-Banker, die etablierten Medien und Washingtoner "Insider". Ihre Fremdenfeindlichkeit jedoch richtet sich gegen arme mexikanische Einwanderer, Schwarze oder Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten, die als Schmarotzer wahrgenommen werden, welche ehrliche (sprich: weiße) Amerikaner um den ihnen zustehenden Platz in der sozialen Hackordnung bringen. Relativ unterprivilegierte Menschen in der zunehmend multikulturellen Welt der Globalisierung grollen jenen, die noch weniger Privilegien genießen.

Ian Buruma; Foto: privat
Ian Buruma ist Professor für Demokratie, Menschenrechte und Journalismus am Bard College in New York. Er ist Autor zahlreicher Bücher wie "Murder in Amsterdam: The Death of Theo Van Gogh and the Limits of Tolerance" und zuletzt "Year Zero: A History of 1945".

In den heutigen USA haben die Aufgebrachten und Ängstlichen wie einst in der Weimarer Republik so wenig Vertrauen in die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Institutionen, dass sie einem Führer folgen, der verspricht, dass System im größtmöglichen Maße durcheinanderzurütteln. Wenn der Stall ausgemistet wird, so ihre Hoffnung, wird das Land wieder groß werden. In Hitlerdeutschland bestand diese Hoffnung in allen gesellschaftlichen Schichten, der Elite ebenso wie der Plebs. In Trumps Amerika herrscht sie überwiegend bei letzterer.

Für die wohlhabenderen und gebildeteren Wähler in den USA und Europa, die von offenen Grenzen, billigen eingewanderten Arbeitskräften, der Informationstechnologie und einer breiten Palette kultureller Einflüsse profitieren, nimmt sich die heutige Welt weniger furchteinflößend aus. Genauso haben Einwanderer und ethnische Minderheiten, die ihr Leben verbessern wollen, kein Interesse daran, einer populistischen Rebellion beizutreten, die sich vor allem gegen sie selbst richtet, und werden daher für Clinton stimmen.

Trump muss sich auf die unzufriedenen weißen Amerikaner stützen, die das Gefühl haben, abgehängt zu werden. Die Tatsache, dass ausreichend viele unzufriedene Menschen so empfinden und einen derart ungeeigneten Präsidentschaftskandidaten tragen, ist eine Anklage gegen die US-Gesellschaft. Dies hat etwas mit Bildung zu tun – nicht, weil gebildete Menschen gegen Demagogie immun wären, sondern weil ein kaputtes Bildungssystem zu viele Menschen benachteiligt.

In der Vergangenheit gab es ausreichend Arbeitsplätze in der Industrie, sodass sich die weniger gebildeten Wähler einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen konnten. Heute, wo diese Arbeitsplätze in den postindustriellen Gesellschaften verschwinden, haben zu viele Menschen das Gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben.

Dies ist in vielen Ländern so, aber es ist in den USA von größerer Bedeutung, denn wenn hier ein bigotter Demagoge ins höchste Amt gewählt würde, würde dies nicht nur den USA selbst, sondern allen Ländern, die versuchen, in einer immer gefährlicheren Welt an ihren Freiheiten festzuhalten, großen Schaden zufügen.

Ian Buruma

© Project Syndicate 2016

Aus dem Englischen von Jan Doolan