Kontroverse um den Begriff "Rasse" im Grundgesetz

"Rasse" - dieses Wort steht noch immer in einem der wichtigsten Artikel des Grundgesetzes. Die meisten Parteien wollen den Begriff streichen. Unterstützt werden sie von Wissenschaftlern und von Rassismus Betroffenen. Volker Witting berichtet.

Von Volker Witting

Karamba Diaby hat Rassismus in Deutschland immer wieder hautnah erlebt - in den sozialen Medien und im realen Leben. Auf seiner Homepage beschreibt sich der SPD-Politiker selbst so: "2013 wurde ich als erster in Afrika geborener Schwarzer Mensch in den Deutschen Bundestag gewählt."

Ende Januar wurde auf sein Wahlkreisbüro in Halle/Saale ein vermutlich fremdenfeindlicher Anschlag verübt: Einschüsse in der Fensterscheibe. Zum Glück wird niemand verletzt. Dann der Fall George Floyd; der Afroamerikaner, der von einem weißen Polizisten brutal erstickt wird. Und auf einmal ist die Rassismusdebatte wieder da. Und die Diskussion um einen umstrittenen Begriff im deutschen Grundgesetz: "Rasse".

Den sollte man einfach streichen, meint Diaby, der schon seit 35 Jahren in Deutschland lebt und aus dem Senegal stammt. Bei Menschen gebe es - so die Wissenschaft - nur eine Rasse, sagt Diaby: "den Menschen". Im Interview mit der DW führt er das so aus: "Leider ist festzustellen, dass es sehr schwer ist für viele, das Thema anzunehmen, weil sie sich gar nicht vorstellen können, wie wichtig das für die Betroffenen ist. Ich persönlich finde es wichtig, dass wir den Begriff Rasse aus dem Grundgesetz streichen!"

Die Grünen hatten die Debatte um Artikel 3 des Grundgesetzes schon Anfang März angeregt und vor dem Hintergrund des Todes von George Floyd wieder aufleben lassen. Die Vorsitzende der Oppositionspartei, Annalena Baerbock, sagte der DW: "Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar. Das steht in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Und das muss sich auch in Artikel 3 widerspiegeln, wo wir - aus der Vergangenheit - das Wort Rasse bisher drin haben. Das rauszustreichen wäre aus meiner Sicht essentiell."

Wissenschaftler: "Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus"

Es geht im Artikel 3 um die Gleichheit vor dem Gesetz und das Verbot jeglicher Diskriminierung: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."

Der SPD-Politiker Karamba Diaby; Foto: picture-alliance/Uwe Zucchi
SPD-Politiker Karamba Diaby: "Wir haben ein ernsthaftes Problem mit Rassismus, und wir müssen daran arbeiten." Viele täten sich schwer, Ausgrenzungen wegen der Herkunft oder des Aussehens als rassistisch zu bezeichnen. "Stattdessen wird von Ausländerfeindlichkeit oder Fremdenfeindlichkeit gesprochen", sagte der SPD-Politiker. Diese Begriffe verniedlichten das Problem jedoch.

Heute wird der Begriff "Rasse" aber von vielen als unzeitgemäß, sogar als rassistisch eingeordnet, sagt Hendrik Cremer vom unabhängigen Deutschen Institut für Menschenrechte: "Dieser Begriff löst Irritationen aus und Sprachlosigkeit, bis hin zu persönlichen Verletzungen", so der Menschenrechtsexperte im Gespräch mit der DW.

Der Begriff habe seinen Ursprung schon im Zeitalter der Aufklärung und des Kolonialismus. Und unter der nationalsozialistischen Herrschaft "mündete das in monströsen Menschheitsverbrechen". Der Begriff Rasse sei "im Grunde vergiftet", erläutert Cremer weiter.

Zu diesem Ergebnis kommen auch Wissenschaftler der Universität Jena. Die Gruppierung in "Rassen" - "etwa aufgrund der Hautfarbe, Augen- oder Schädelform - hat zur Verfolgung, Versklavung und Ermordung von Abermillionen von Menschen geführt", heißt es in einem Forschungsbericht aus dem vergangenen Jahr.

Auch heute noch werde der Begriff "Rasse" im Zusammenhang mit menschlichen Gruppen vielfach verwendet. Es gebe aber keine biologische Begründung dafür, stellen die Forscher fest. "Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung", steht in ihrer "Jenaer Erklärung".

Parteien-Streit um den "Rasse"-Begriff

Alle Parteien haben sich mittlerweile in der "Rasse"-Debatte geäußert. Die Konservativen sind skeptisch und die AfD will den Begriff nicht aus dem Grundgesetz streichen. Die anderen Parteien sind eher dafür.

Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte; Foto: Anke Illing
Auch europäische Länder, wie zum Beispiel Frankreich, Finnland oder Schweden hätten vom Begriff "Rasse" längst Abstand genommen, meint Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte.

"Das Grundgesetz wendet sich entschieden gegen Rassismus. Das muss es aber auch sprachlich zum Ausdruck bringen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, der DW. Die Linke würde ebenfalls für eine Streichung des Begriffs stimmen. Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, erläutert, dass seine Partei bereits 2010 einen entsprechenden Antrag eingebracht habe. "Nur rassistische Theorien gehen von der Annahme aus, dass es unterschiedliche menschliche Rassen gebe", sagte Korte.

Mittlerweile macht sich auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht dafür stark, auf den Begriff zu verzichten. "Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich damals etwas dabei gedacht. Es wurden die Diskriminierungsgründe formuliert, unter denen Menschen während der Naziherrschaft zu leiden hatten", sagte die SPD-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Begrifflichkeit sei zu der Zeit richtig gewesen. "Aber wir sind heute in der Diskussion deutlich weiter."

Thorsten Frei (CDU), der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, hält es zwar ebenfalls für richtig, das Grundgesetz dort zu modernisieren, wo es nicht mehr zeitgemäß ist. "Außerdem müssen wir Rassismus in unserer Gesellschaft bekämpfen", sagte er der DW. Zweifel habe er aber, ob man diesem Ziel mit einer Änderung von Artikel 3 wirklich näherkommen würde.

Bremen macht es vor. Aus der Landesverfassung wurde dort der Begriff "Rasse" gerade erst gestrichen. Grundlage war ein Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. In Drucksache 20/375 der Bremischen Bürgerschaft vom 5. Mai heißt es, der Begriff sei in "Deutschland besonders vorbelastet" und könne "persönliche Verletzungen" auslösen. In Artikel 2, Absatz 2 der Landesverfassung soll also demnächst von "rassistischer Diskriminierung" die Rede sein und nicht mehr von "Rasse".

Yes! Im Bremer Parlament haben wir vor kurzem erst beschlossen, dass das Wort "Rasse" aus unserer Landesverfassung gestrichen wird - und dass eine Antifaschismusklausel reinkommt. Let's do the same mit dem Grundgesetz! https://t.co/rfDe58WGlK

— Kai Wargalla (@KaiWargalla) June 8, 2020

Auch andere deutsche Bundesländer haben ihre Verfassungen novelliert. Vorreiter seien Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt, heißt es in einer Veröffentlichung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Auch europäische Länder, wie zum Beispiel Frankreich, Finnland oder Schweden hätten vom Begriff "Rasse" längst Abstand genommen, ergänzt Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte.

Verfassungsänderung schwierig

Die Grünen wollen einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, damit der Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz verschwindet. Für die Änderung ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig, die unsicher scheint, weil die Union zögerlich und die AfD dagegen ist. Doch selbst wenn der Begriff gestrichen wird, was sollte dann an dieser Stelle im Grundgesetz stehen?

Hendrik Cremer hat da schon seit Längerem eine genaue Vorstellung: "Niemand darf rassistisch benachteiligt werden", wäre die Formulierung, die er vorschlagen würde. Wichtig sei, dass der "Schutzzweck" auf jeden Fall erhalten bleibe. Es müsse klar werden, dass es um "rassistische Diskriminierung" gehe.

"Ethnische Zugehörigkeit" schlägt der SPD-Politiker Karamba Diaby vor, der auch Mitglied des Menschenrechtsausschusses des Bundestages ist. "Ich wünsche mir, dass wir die nötigen Mehrheiten organisieren können." Die Diskussion habe aber gerade erst begonnen, ergänzt Diaby nüchtern.

Volker Witting

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