Ehrenmorde in Jordanien sind keine Einzelfälle

Über 30 Fälle so genannter Ehrenmorde, die Tötung von Frauen aus eigenen Familienkreisen, werden jährlich in Jordanien von der Gerichtsreporterin Rana Husseini dokumentiert. Petra Tabeling hat sich mit der engagierten Journalistin getroffen.

Rana Husseini, Foto: ai
Rana Husseini

​​Es war eine ganz besonders tragische Geschichte, von der die jordanische Journalistin Rana Husseini vor zehn Jahren aus Amman erfuhr: Ein Mädchen wurde von ihrem eigenen Bruder ermordet, weil sie das Ansehen der Familie beschmutzt hatte.

Das Mädchen starb nach einem langen Leidensweg: Sie war von einem ihrer Brüder mehrfach vergewaltigt und schließlich geschwängert worden. Die Familie gab ihr hierfür die Schuld und zwang sie zur Abtreibung.

Danach verheirateten die Eltern die Tochter mit einem 50 Jahre älteren Mann, der sie nach einem halben Jahr wieder verstieß. Das Mädchen wandte sich an ihre Familie und wurde noch am selben Tag umgebracht.

Öffentliches Bewusstsein schaffen

Rana Husseini war entsetzt als sie von diesem tragischen Ereignis 1993 erfuhr. Die Jordanierin war grade erst aus den USA zurückgekehrt, um bei der Tageszeitung "The Jordan Times" als Gerichtsreporterin zu arbeiten.

Seither hat es sich die heute 37-jährige Journalistin zur Aufgabe gemacht, diese Ehrenmorde in ihrer Heimat zu dokumentieren und zu veröffentlichen, weil sie feststellte, dass niemand über solche Vorfälle sprach: "Ich fühlte mich verantwortlich, allen zu erzählen, dass diese Frauen es verdienen, zu leben. Niemand hat das Recht, sie zu töten."

Als am nächsten Tag der Bericht über den Ehrenmord an dem 16-jährigen Mädchen in der Jordan Times erschien, erhielt die Redaktion wütende Protestanrufe von Männern, aber auch von Frauen. Ihr Argument: Rana Husseini würde ein falsches Bild von Jordanien liefern.

Keine islamische Tradition

Die Ignoranz der eigenen Landsleute spornt die Gerichtsreporterin seitdem erst recht an, die durchaus noch heute praktizierten Ehrenmorde zu dokumentieren. Seit 1994 macht sie das nun und wird dabei von ihrer Redaktion stets unterstützt.

Rana Husseini weiß von 20 bis 25 Ehrenmorden, die jedes Jahr in Jordanien verübt werden und geht von etwa fünf weiteren Fällen pro Jahr aus, über die nie jemand spricht. Ehrenmorde an Frauen geschehen nach einer Vergewaltigung, einer ungewollten Schwangerschaft oder aus Erbschaftsgründen.

"Viele glauben, dass solche Tötungen nur in islamischen Kreisen vorkommen, doch das hat nichts mit der Religion des Islam zu tun", hat Rana Husseini beobachtet. "Es ist eine kulturelle Praxis, die in ärmeren und ungebildeten Bevölkerungsschichten stattfindet, wo Religion falsch interpretiert wird."

Protest gegen blinde Justiz

Schnell musste die Gerichtsreporterin bei ihren Recherchen feststellen, dass die jordanische Justiz solche schwerwiegenden Straftaten immer wieder als geringfügig einstuft: "Die Mörder kommen mit geringen Haftstrafen davon. Ich habe immer wieder erlebt, dass nur Strafen von sechs oder gar drei Monaten Gefängnis ausgesprochen wurden."

Das jordanische Strafgesetz behandelt Ehrenmorde bislang als ein minderes Vergehen und als ein durch das "unrechte" und "gefährliche” Handeln des Opfers gerechtfertigtes Verhalten. Artikel 340 des jordanischen Strafgesetzbuches erlaubt es, dass in einem solchen Fall die Täter straffrei ausgehen oder eine erhebliche Strafminderung erhalten.

Aufgrund ihrer Dokumentationen wurden Nichtregierungsorganisationen auf das Problem aufmerksam, auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die ihr 1997 einen Preis verlieh, der bei weitem nicht der einzige blieb.

"Als internationale Medien auf mich und meine Aktivitäten gegen den Ehrenmord aufmerksam wurden, begannen meine Probleme", beschreibt Rana Husseini diese Zeit. "Ich erhielt Drohbriefe, E-Mails, Anrufe, vor allem von Männern aus den USA, die mich aufforderten, nicht mehr darüber zu berichten."

Ihre Gegner kommen aus konservativen oder islamistischen Kreisen.

Initiativen gegen Ehrenmorde

Doch Rana Husseini ist es gelungen, die Ehrenmorde zu einem öffentlichen Thema in Jordanien zu machen. Seit sie aktiv ist, gibt es zahlreiche öffentliche Debatten, das Thema Ehrenmorde wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert.

Das jordanische Königshaus hat mittlerweile seine Unterstützung im Kampf gegen Ehrenmorde zugesagt, die Regierung will das Gesetz ändern und Frauenhäuser bauen, die es bislang nicht gab. Der einzige Schutz vor Verfolgung durch die eigenen Familien besteht in der Schutzhaft:

"Diese Frauen haben keine andere Chance. Über 50 Frauen leben daher in Gefängnissen, zusammen mit Schwerverbrechern", schildert die Journalistin, die diese Frauen regelmäßig besucht.

Manche Frauen leben unter diesen Umständen schon seit mehr als zehn Jahren. Daher ist der staatliche Aufbau von Frauenhäusern ganz besonders dringlich, weiß Rana Husseini, "nur der Schutz des Staates kann hier wirksam sein."

Doch bislang ist aus den Zugeständnissen der Regierung kaum etwas in die Tat umgesetzt worden, bemängelt Rana Husseini. Internationale Aufmerksamkeit und Druck auf die jordanischen Behörden sei daher weiterhin wichtig:

"Wir müssen etwas tun, um das Gewissen der Gesellschaft für dieses Thema zu sensibilisieren und um diesen unmenschlichen Morden ein Ende zu setzen. Das Gute in Jordanien ist, dass wir eine relativ offene Gesellschaft haben, so dass man zumindest über das Problem der Ehrenmode sprechen kann."

Petra Tabeling

© Qantara.de 2004

Deutsche Webseite von amnesty international