Zwischen Fremdheit und Neufindung

Einige in Deutschland lebende arabische Autorinnen und Autoren haben die arabische gegen die deutsche Sprache getauscht, um ihren Lesern näher zu sein. Viele von ihnen können sich zum ersten Mal ohne politischen Druck oder Zensurbestimmungen ausdrücken.

In dem Roman „Rückkehr nach Tarschisch“ setzt sich Hassouna Mosbahi mit der Entfremdung von der Heimat auseinander. Der Protagonist Abdulfattah kehrt nach zehn Jahren Abwesenheit nach Tunis zurück. Tarschisch, der altarabische Name für die tunesische Hauptstadt, macht auf ihn einen traurigen Eindruck. Er hat das Gefühl, dass sein Land dem Ruin entgegensteuert. Aus Freunde von einst sind Mitarbeiter der Geheimpolizei geworden oder angepasste Staatsdiener. Andere resignierten und verfielen dem Alkohol. Kontakte zu in Deutschland lebenden Autorinnen und Autoren vermittelt die Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Asien, Afrika und LateinamerikaAber das Leben in der Fremde hat auch bei Abdulfattah ihre Spuren hinterlassen: „Ich behandle auch die Paranoia, die Intellektuelle und Arbeiter gleichermaßen in der Fremde befällt. Das Abgeschnittensein von den Wurzeln und von der Muttersprache lässt bei vielen das Gefühl aufkommen, sie seien von Feinden umgeben. Ich selber bin auch von diesen Ängsten betroffen. Wenn mich zum Beispiel ein Kellner unfreundlich behandelt, frage ich mich, warum geht er so mit mir um? Ist es weil ich Araber bin und südländlich aussehe? Aber in Wirklichkeit ist der Kellner zu allen unfreundlich. Alle arabischen Intellektuellen, die ich in Europa kenne, leiden darunter, der eine mehr, der andere weniger.“

Mosbahi lebt seit 1986 in München. Er erlebt die Einsamkeit eines arabischen Intellektuellen in einer deutschen Großstadt am eigenen Leib. Immer wieder tauchen diese Erfahrungen in seinen Erzählungen und Romanen auf. Der Mensch, der außerhalb seiner Heimat, außerhalb seiner Sprache, außerhalb seiner Traditionen lebt, wie geht er mit seiner Umgebung um? Auch ein Araber, der sich seiner Sprache, seiner Persönlichkeit und seiner Geschichte bewusst ist, verändert sich grundsätzlich nach langen Jahren der Fremde, im Westen, wenn er eine andere Musik und Sprache hört, sagt Hassouna Mosbahi. Er bleibt zwar braun im Gesicht, aber er wird ein anderer. Er verliert seine Identität. Sogar sein Name wird anders ausgesprochen. Trotzdem spricht er nicht von der Provinz Deutschland. Für Intellektuelle, so Mosbahi, gebe es keine Provinz; schließlich ginge die Erneuerung der modernen arabischen Literatur Anfang des 20. Jahrhunderts von Dichtern aus, die nach Nord- und Südamerika ausgewandert seien. Was ist da die Distanz von München nach Beirut oder Tunis im Vergleich zu New York - Beirut oder Buenos Aires vor 80 Jahren.

Neidisch könnte der eine oder andere nach Paris oder London schauen, wo namhafte arabische Gelehrte, Dichter, Schriftsteller, zudem arabischsprachige Verlage und Zeitungen sich niedergelassen haben. Insbesondere nach 1975, nach Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs, mussten viele arabische Intellektuelle ihre frühere liberale Zuflucht Beirut verlassen. Sie gingen nach Frankreich oder England. Die koloniale Vergangenheit dieser beiden Länder im arabischen Raum diente als Brücke zwischen der arabischen und der frankophonen beziehungsweise der angelsächsischen Kultur. Die Kenntnis der beiden Sprachen diente als Träger und Vermittler. Ab dem 19. Jahrhundert ist zwar ein starker Einfluss deutscher Kultur, insbesondere der Philosophie, zu beobachten, angefangen vom Marxismus über die Philosophie von Nietzsche und Heidegger bis zur Frankfurter Schule, Adorno und Habermas. Die Vermittlung geschah jedoch über das Französische oder Englische. "Der Einfluss der deutschen Kultur und Literatur in der arabischen Welt ist nicht zu leugnen, sie ist jedoch nicht in dem Maße verbreitet, wie sie es verdient", sagt Asad Khairallah. Der gebürtige Libanese war lange Jahre Dozent für moderne arabische Literatur an der Universität Freiburg. Sich selber bezeichnet er als Idealisten, der als junger Mann von der deutschen Literatur und Kunst geträumt hat und den es deswegen nach Deutschland zog. Als weiteres Beispiel für einen Idealisten nennt er den libanesischen Dichter und Hölderlin-Übersetzer Fuad Rifka, der immer wieder nach Deutschland komme, obwohl er lukrativere Angebote aus den USA erhalten habe. Die überwiegende Mehrheit kommt jedoch, weil sie in England oder Frankreich gescheitert oder keiner westlichen Sprache mächtig ist. Das mag hart klingen, sagt Asad Khairallah, aber so sei es nun mal.

Bei Gesprächen mit einigen arabischen Intellektuellen stellt man fest, daß Asad Khairallah gar nicht so im Unrecht ist: Bei Hassouna Mosbahi beispielsweise war es der pure Zufall, der ihn nach München verschlug. Die in München ansässige Orientalistin Erdmute Heller schlug ihm vor, an der vom Goethe-Institut herausgegebenen arabischen Zeitschrift Fikrun wa Fann mitzuarbeiten. Der Tunesier ahnte damals schon, was ihn in der deutschen Großstadt erwarten würde. Doch er hatte dieses Alleinsein, weit weg von arabischen Intellektuellenkreisen, geradezu gesucht. In Paris oder London, so meint er, gebe es zwar Hunderte von arabischen Intellektuellen, aber es könne auch leicht vorkommen, dass man an ihren internen Streitigkeiten und Kämpfen erstickt. In seiner engen Münchener Wohnung wolle er, wie er sagt, zu sich selbst finden.

Der irakische Dichter Khalid Al-Maaly hatte Frankreich als Ziel vor Augen, als er vor 24 Jahren seine Heimat verlassen musste. Es hat ihn dann nach Deutschland verschlagen. Zu Beginn seines Aufenthalts hat er seine Entscheidung, ins Nachbarland auszuweichen, mehrmals bereut. Heute, sagt er, befällt ihn dieses Gefühl der Reue nicht mehr. Er hat ein Stückchen Erde gefunden, wo er seine, vielleicht provisorischen, Wurzeln geschlagen hat. Wesentlich dafür war der Kontakt mit der Sprache, die einen Austausch ermöglichte, "ein Geben und Nehmen", wie Al-Maaly es nennt. Geben und Nehmen heißt für ihn, arabische Gedichte, auch seine eigenen, ins Deutsche zu übersetzen und umgekehrt, deutsche Lyrik ins Arabische. Der Austausch mit der deutschen Sprache ist heute bei Khalid Al-Maaly so intensiv gediehen, dass er sagt, er kann manchmal nicht mehr unterscheiden zwischen der arabischen Originalfassung seines Gedichts und der deutschen Version.

Ein weiteres Beispiel für den Weg eines arabischen Intellektuellen in die Provinz Deutschland und sein Umgang mit ihr ist der in Aachen ansässige syrische Publizist, Dichter und Übersetzer, Suleiman Taufiq. Er wollte nur in Deutschland studieren und anschließend zurückkehren, dann ist er geblieben. Heute nennt er die deutsche Sprache seine intellektuelle Sprache. Er bewegt sich in einer internationalen Kulturszene, die durch die italienischen, türkischen und Einwanderer aus anderen Ländern in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Die Araber stellen darunter nur eine verschwindende Minderheit dar.

Suleiman Taufiq gesteht, dass er sich seiner Heimat und seiner Muttersprache entfremdet hat. Bei ihm gebe es diese doppelte Fremdheit, die geographische und die intellektuelle. Die erste kann gefährlich werden, wenn man es nicht schafft, eine neue Identität aufzubauen. Und diese Identität besteht für ihn in der deutschen Sprache. Er bewegt sich ganz frei in ihr. Sie ist für ihn zu einem Medium geworden, seine Gefühlswelt auszudrücken. Fremdheit bleibt trotzdem, sowohl im Arabischen als auch im Deutschen. Sie ist jedoch unerlässlich geworden. Sie vermag das Schöpferische in ihm freizusetzen. Sie lässt ihn wagen, Neues auszuprobieren. Eine gewisse Angst, die deutsche Sprache nicht beherrschen zu können, bleibt trotzdem. Er ist aber überzeugt, dieser Gesellschaft und ihrer Sprache etwas geben zu können.

Davon ist auch Hussain Al-Mozany überzeugt. Der in Köln lebende Romancier und Übersetzer hat sich vor einigen Jahren entschlossen, auf Deutsch zu schreiben. Eine Konsequenz aus der jahrelangen Exilerfahrung und der Verwurzelung in der neuen Heimat: „Ich schreibe natürlich nicht wie ein Deutscher, der die Muttersprache in all ihren Facetten und Finessen kennt. Aber ich kenne die technischen Mittel. Ich habe das studiert, gelesen, erfahren und erlebt. Ich muss etwas Neues entdecken, etwas Neues schreiben.“ Hinter Al-Mozanys Entschluss steht auch der Wunsch des Schriftstellers, direkten Kontakt zu seinen Lesern haben zu wollen. Obwohl von ihm auf Arabisch ein Erzählband und ein Roman vorliegen, hat er kaum Reaktionen oder gar Anerkennung aus der arabischen Welt bekommen. Das wollte er ändern. Trotzdem bleibt die Auseinandersetzung mit den beiden Sprachen, Arabisch und Deutsch, ein fester Bestandteil seiner Arbeit. So übersetzte er deutsche Literatur ins Arabische z.B. Werke von Grass, Rilke und Musil. Und der Entwurf seines zweiten Romans auf Deutsch lag zunächst als Kurzgeschichte auf Arabisch vor. In „Mansur oder der Duft des Abendlands“ geht es um einen desertierten irakischen Soldaten, der beweisen will, dass seine Urahnin Aischa vor ungefähr 1000 Jahren einen deutschen Mann geheiratet hat. Er soll als Kreuzfahrer in den Orient gezogen sein. So hätte Mansur als Nachkomme dieses ungewöhnlichen Paares heute Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Eine Geschichte voller grotesken Situationen, die dem deutschen Leser ernste Themen auf eine leichte, ja unterhaltsame Weise nahe bringt: Kriegsalltag im Irak, die unerträgliche Enge im Asylantenwohnheim, wo Menschen aus ganz verschiedenen Kulturkreisen zusammenleben müssen oder der Wirrwarr deutscher Bürokratie und Gerichte. Al-Mozanys Entscheidung, die Sprache zu wechseln, scheint belohnt worden zu sein: Er ist der diesjährige Träger des Adelbert–von-Chamisso-Förderpreises.

Die Zensur und Selbstzensur verfolgen die arabischen Autoren, wo sie auch hingehen mögen. Als Beispiel führt Hassouna Mosbahi die Entstehung seines Romans "Rückkehr nach Tarschisch" an. Er beschreibt darin das Bordell von Tunis. Eine einzigartige Welt, wie er sagt. Eine Welt, die Europäer fasziniert. Aber die Tunesier selber scheuen sich, darüber zu schreiben. Sie hätten ihn sicherlich gefragt, warum er das beschrieben habe, vielleicht sogar vor Gericht gestellt, sagt Mosbahi. Aber in seiner Münchener Wohnung hatte er die völlige Freiheit, sich an den Sprachgebrauch der Prostituierten Wort für Wort zu erinnern. Der Roman erschien im marokkanischen Tobkal Verlag, ohne die Beschreibung des Bordells von Tunis. Der Zensor hatte seine Bedenken angemeldet. Hassouna Mosbahi war einverstanden, die entsprechende Stelle zu streichen. Er wollte nicht, dass sein Buch unveröffentlicht bleibt. Aber trotz allem bleibt, dass er es in völliger Freiheit geschrieben hat, und dies sei sehr wichtig, meint Mosbahi. Für diesen Roman erhielt er übrigens vor drei Jahren den Tukan Preis für die gelungste Neuerscheinung eines Münchner Autors.

Eine weitere Problematik sieht Al-Maaly in der arabischen Sprache selbst. Der heutige Stil strotze vor Wiederholungen und sei verfettet, es würden keine echten Texte produziert, so Al-Maaly. Dies sei ihm erst richtig bewusst geworden über den Umweg der deutschen Sprache. Die Übersetzung ins Deutsche hat für ihn einen Lernprozess in Gang gesetzt und die Rolle eines Kontrollmechanismus gewonnen.

Suleiman Taufiq dagegen nimmt die Herausforderung, in der mit Tabus besetzten arabischen Sprache zu schreiben, nicht an und greift zur unbelasteten fremden Sprache. Er gibt zu, einem Konflikt auszuweichen. Aber als Christ fühle er sich nicht in der Lage, sich mit dem Arabischen, das eng mit dem Koran verbunden ist, auseinanderzusetzen. Dies sei die Aufgabe von Muslimen, sagt Taufiq. In erster Linie schreibt er für deutsche Leser. Er freut sich zwar, wenn seine Arbeiten auf Arabisch erscheinen, aber es bleibt dennoch Nebensache.

Asad Khairallah beschreibt den Umgang der deutschen Gesellschaft mit der Kreativität hier ansässiger Araber, aber auch anderer Nationalitäten, wie den Umgang mit einer schönen Pflanze. Sie wird in ihrem Topf belassen, ihr wird nicht erlaubt, den richtigen Boden zu berühren, Wurzeln zu schlagen und zu wachsen. Asad Khairallah führt die Beispiele von frankophonen Arabern wie Amin Maalouf, George Chahade oder Tahar Ben Jelloun an, die die höchsten literarischen Preise in Frankreich bekamen. Natürlich liege es an der fehlenden gemeinsamen Vergangenheit, aber auch an der mangelnden Bereitschaft der deutschen Kultur, sich zu öffnen. Asad Khairallah bleibt dennoch optimistisch. Er glaubt, dass im Zeitalter der Verkabelung die Grenzen obsolet geworden sind. Aber wann der erste Ausländer den ranghöchsten deutschen Literaturpreis bekommen wird, das vermag Khairallah nicht zu sagen.

Von Mona Naggar; © 2003 Mona Naggar