Armeegegner brechen ihr Schweigen

Monatelang haben einzig Ägyptens Islamisten gegen die Armee demonstriert. Nun gehen erstmals seit langem auch wieder säkulare Aktivisten auf die Straße. Doch das Regime scheint gut vorbereitet zu sein. Von Markus Symank aus Kairo

Von Markus Symank

Begleitet von Blasmusik und würdevoll blickenden Männern in Uniform weihte Ägyptens Ministerpräsident Hasim Beblawi am letzten Montag (18.11.2013) auf Kairos Tahrirplatz ein Denkmal für die Opfer der Revolution ein. Keine 24 Stunden später hatten Aktivisten die offizielle Gedenktafel herausgebrochen und das Monument mit Graffiti überzogen. "Nieder mit den Verrätern der Revolution: Islamisten, Mubarak-Getreue und Armee", schrieben sie in blutroter Schrift.

Zum Beifall der Umstehenden rief einer der Aktivisten in sein Megaphon: "Wir wollen niemand töten, wir wollen kein Blutvergießen. Alles, was wir wollen, ist Gerechtigkeit für die Märtyrer und Strafe für jeden, der dem Land und der Revolution geschadet hat, damit unser Land besser wird."

Auch bald drei Jahre nach dem Volksaufstand gegen Husni Mubarak seien die Mörder der getöteten Demonstranten auf freiem Fuß, beklagte er. Das neue Regime schütze die verantwortlichen Sicherheitskräfte ebenso wie das alte. Dass die Mörder ihren Opfern nun ein Denkmal setzten, sei eine Farce.

Denkmal für die bei den Protesten gestorbenen Menschen auf dem Tahrir Platz, Kairo; Foto: picture-alliance/dpa
Hier steht das Tahrir-Denkmal noch unbeschadet: Keine 24 Stunden nach der Einweihung des Mahnmals für die Toten der Revolution 2011 kam es zu Ausschreitungen zwischen der Armee und Demonstranten.

Kritik an Armeechef Sisi

Während der vergangenen vier Monate hatten allein die Anhänger des gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi gegen die Armee und die von ihr eingesetzte Übergangsregierung demonstriert. Nun kommt der Widerstand erstmals auch aus der säkularen Ecke. Die jugendlichen Revolutionsaktivisten hatten zuletzt auf Protestmärsche verzichtet, um nicht als Sympathisanten der Muslimbrüder abgestempelt zu werden. Doch seit sich die Berichte über Willkürfestnahmen und Folter mehren und sich abzeichnet, dass die Generäle ihre in der Verfassung verankerten Privilegien nicht aus der Hand geben werden, wollen die Aktivisten nicht länger schweigen.

Den Anfang machte in der vergangenen Woche der blinde Aktivist Ahmed Harara. Als wohl erster Nicht-Islamist überhaupt wagte es der 33-Jährige, Armeechef Abdel Fattah al-Sisi öffentlich anzugreifen. Den Zeitpunkt für seinen Auftritt im ägyptischen TV-Sender Al Nahar - kurz vor dem zweiten Jahrestag des sogenannten Mohammed-Mahmud-Massakers, benannt nach einer Straße am Tahrirplatz - hatte er geschickt gewählt. Mindestens 47 Personen kamen damals im Tränengasnebel und Kugelhagel der Sicherheitskräfte ums Leben, als sie für einen Abzug der Generäle aus der Politik demonstrierten.

Angehörige der Opfer der Revolution halten Bilder der Toten.; Foto: picture-alliance/dpa
Die Trauer um die Opfer der Revolution sitzt noch tief: Das Mahnmal wurde einen Tag vor dem Nationalfeiertag, dem 19. November eingeweiht. 2011 starben zwischen dem 19. und 24. November mindestens 50 Demonstranten nahe dem Tahrir-Platz.

Harara selbst wurde bei den Ausschreitungen von einer Gummischrotkugel ins linke Auge getroffen. Sein rechtes hatte er zehn Monate zuvor während des Volksaufstandes gegen Husni Mubarak verloren. Ans Fernsehpublikum gerichtet sagte er: "Der Militärrat, der diese Menschen getötet hat, muss zur Verantwortung gezogen werden. Al-Sisi, der jetzt die Macht hat, saß damals bereits im Militärrat."

Regime schreibt Revolutionsgeschichte um

Für die Armee kommt der Zwischenruf des angesehenen Aktivisten denkbar ungelegen, hatte sie dem Jahrestag des 19. Novembers 2011 doch ohnehin bereits nervös entgegengeblickt. Zwar reiten die Generäle seit dem Sturz des unbeliebten Mohammed Mursi auf einer Welle der Popularität. Doch die Dauerberieselung der staatlichen Propaganda hat die erschütternden Bilder und Videos, mit denen die Aktivisten vor zwei Jahren die brutale Staatsgewalt dokumentierten, nicht aus den Köpfen der Ägypter verdrängen können.

Die Sicherheitskräfte versuchten daher, sich den Jahrestag vom 19. November zu eigen zu machen. Das Innenministerium rief kurzfristig einen nationalen Gedenktag aus, an dem sowohl an die zivilen Opfer als auch an alle getöteten Soldaten und Polizisten seit Beginn der Revolution erinnert werden sollte. Auch die islamistische Muslimbruderschaft kündigte Protestmärsche an - ungeachtet der Tatsache, dass sie vor zwei Jahren zur staatlichen Gewalt gegen die jugendlichen Revolutionäre geschwiegen hatten.

Die Aktivistin Iman kritisiert wie viele andere die Scheinheiligkeit des Regimes ebenso wie die der Islamisten: "Die Regierung und das Innenministerium wollen uns weismachen, dass die Muslimbrüder für das damalige Morden verantwortlich sind. Und die Muslimbrüder wollen den Gedenktag missbrauchen, um an die Macht zurückzukehren. Dabei sind beim Gedenktag im vergangenen Jahr, als die Islamisten regierten, ebenfalls Demonstranten gestorben."

Einen dritten Weg aufzeigen

Wand mit den Gesichtern von Männern, die bei den Protesten vor zwei Jahren starben; Foto: picture-alliance/dpa
Für die Armee kommt der Zwischenruf des angesehenen Aktivisten, Ahmed Harara denkbar ungelegen, hatte sie dem Jahrestag des 19. Novembers 2011 doch ohnehin bereits nervös entgegengeblickt.

Die mehrheitlich linken oder liberalen Aktivisten, die sich am Protest beteiligten, sind fest entschlossen, der Armee und den Islamisten die Deutungshoheit über die Revolution wieder zu entreißen. Noch aber ist die Zahl der Armeekritiker überschaubar.

Etwa 1.000 Menschen wagten sich Montagnacht auf den Tahrirplatz im Herzen Kairos vor. Mehrere Tausend lieferten sich dort am Dienstag (19.11.2013) Scharmützel mit Sisi-Anhängern, während Armeehubschrauber über der Menge kreisten.

Der junge Aktivist Mustafa beklagt, dass es schwierig sei, gegen die Propagandamaschinerie des Regimes anzukommen. Wer derzeit auf die Straße gehe, werde unweigerlich als Islamist oder Terrorist verunglimpft. Umso wichtiger sei es, dem Volk eine echte Alternative aufzuzeigen: "Wir müssen einen dritten Weg finden. Wir müssen eine Regierung schaffen, die weder religiös-faschistisch noch militärisch-faschistisch ist."

Sollten sich ähnliche Proteste in Zukunft häufen, hat die Regierung Vorsorge getroffen. Interimspräsident Adli Mansur liegt ein unterschriftsreifes Gesetz vor, dass es dem Innenministerium erlauben würde, unliebsame Demonstrationen jederzeit für illegal zu erklären. Auch über ein Anti-Graffiti-Gesetz wird im Kabinett verhandelt. Wer mit der Spraydose gegen die Armee zu Felde zieht, könnte künftig vier Jahre hinter Gittern landen. Zum Vergleich: Der einzige Polizist, der für die Gewalt am 19. November 2011 bislang verurteilt wurde, bekam drei Jahre Haft.

Markus Symank

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de