Nur noch ein Quadratkilometer Herrschaft

Der Druck auf Präsident Ali Abdullah Saleh wächst, nachdem die Unruhen weiter anhalten und inzwischen Zehntausende seinen sofortigen Rücktritt fordern. Der jemenitische Vertreter bei der Arabischen Liga erklärt, warum die Tage des Diktators Saleh gezählt sind. Einzelheiten von Karim El-Gawhary

Zehntausende protestieren gegen Jemens Präsident Saleh in Sanaa; Foto: dapd
Unter dem Motto "Tag des Abschieds" trotzten die Salih-Gegner dem vor einer Woche verhängten Ausnahmezustand. Zehntausende versammelten sich erneut am Freitag (25.3.) auf dem Taghier-Platz in Sanaa und forderten den sofortigen Rücktritt Ali Abdullah Salihs.

​​ So wie viele andere Jemeniten will auch Abdulmalik Mansour nicht länger Jemens Diktator Abdullah Saleh dienen. Der Diplomat, Soziologieprofessor und Vertreter seines Landes in der Arabischen Liga sitzt in seinem Büro in Kairo und sagt Salehs baldigen Untergang voraus:

"Der Präsident kontrolliert nur noch einen Quadratkilometer rund um seinen Palast in Sanaa, bewacht von der Präsidentengarde, die von seinem Sohn angeführt wird." Für diesen Freitag (25.3.) haben die immer zahlreicher gewordenen Demonstranten angekündigt, auf den Palast zu marschieren und Saleh aus dem Schlafzimmer zu holen, erzählt er.

Seit vorigem Freitag (18.3.) ist die Lage endgültig eskaliert, als Scharfschützen auf eine friedliche Demonstration schossen und dabei mehr als 40 Demonstranten töteten. Doch die Demonstranten ließen sich nicht abschrecken. Zudem wechselte ein großer Teil der Armee die Seiten, darunter der De-facto-Armeechef Ali Muhsen al-Ahmar, der vor kurzem verkündete, dass er fortan die Demonstranten unterstütze.

Ein blind um sich schlagender Präsident

Der seit 32 Jahren regierende Saleh schlägt seither blind um sich: Er drohte mit einem blutigen Bürgerkrieg, feuerte am letzten Sonntag (20.3.) sein gesamtes Kabinett, um dann drei Tage darauf vom Parlament den Notstand verkünden zu lassen – besser gesagt: vom Rest des Parlaments, denn nur noch 160 der 301 Abgeordneten kamen überhaupt noch zur Sitzung.

Zwischendrin versuchte es Saleh mit versöhnlichen Tönen, erklärte, dass er durchaus "Verständnis und Sympathien für die Probleme der Jugend" habe. Zuvor hatte er der Opposition angeboten, innerhalb von Monaten zurückzutreten. Aber nach dem blutigen Freitag dürfte sie sich darauf nicht einlassen.

Jemens Präsident Saleh; Foto: dapd
Reformen unerwünscht: Präsident Saleh hatte unter dem Druck der seit rund sechs Wochen anhaltenden Proteste zwar zuletzt Zugeständnisse in Aussicht gestellt, die der Opposition aber nicht weit genug gingen.

​​Auch Mansour hatte Saleh am blutigen Freitag persönlich angerufen und gefragt: "Warum tötest du meine Söhne, friedliche Jugendliche im besten Alter?" In einer Rede bei der Arabischen Liga hatte er ihn anschließend aufgefordert, sofort zurückzutreten. "Ich möchte ihm sagen, dass er sich nicht diesen tyrannischen Mörder Gaddafi als Vorbild nehmen soll", sagt er.

Die Arabische Liga reagierte gespalten auf seinen Antrag, den Rücktritt Salehs zu fordern: "Meine Kollegen aus Ägypten und Tunesien und der Generalsekretär Amr Moussa haben mich unterstützt, Algerien, Marokko, Syrien und Saudi-Arabien haben das als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten abgelehnt", erzählt Mansour.

Seine Rede in der Arabischen Liga war noch nicht beendet, da erhielt er einen Anruf aus dem Außenministerium, dass sein Rücktritt angenommen worden sei. Aber Mansour hat nie um einen Rücktritt nachgesucht, und die Autorität des Präsidenten, ihn zu feuern, erkennt er nicht mehr an. "Saleh hat seine Legitimität durch das Blut verloren, das er vergossen hat. Wer auf sein eigenes Volk schießen lässt, hat sich als Präsident disqualifiziert", meint der Diplomat.

Die Zeit der Pharaonen ist abgelaufen

​​Er hegt keine Zweifel daran, dass die Demonstranten gewinnen werden. "Sie wollen nicht nur, dass er abtritt, sie wollen ihn für seine Taten vor Gericht stellen", erklärt er. "Von Tunesien über Ägypten bis Marokko, Algerien, Bahrain, Saudi-Arabien und natürlich den Jemen wird die Revolution nicht mehr aufzuhalten sein", prophezeit er. "Die Leute haben Durst, und ihr Getränk ist die Demokratie. Die Zeit der Pharaonen ist abgelaufen", sagt er.

Egal was in den nächsten Tagen und Wochen im Jemen geschieht, das verarmte Land an der südlichen Spitze der Arabischen Halbinsel, in dem außerhalb der Hauptstadt vor allem die Stämme das Sagen haben, hat sich bereits jetzt verändert.

Es sei kein Geheimnis, dass alle Jugendlichen der Stämme bewaffnet seien, erklärt er. Aber sie hätten sich dazu entschieden, ihre Kalaschnikows zu Hause zu lassen und vollkommen unbewaffnet zu den Demonstrationen und Streiks zu gehen und ihren Herrscher zum Rücktritt aufzufordern – und das, obwohl sie mit Tränengasgranaten und sogar scharfer Munition beschossen wurden und seit Beginn des Aufstands mindestens 50 von ihnen getötet wurden.

"Unsere Herrscher leben noch in der alten Zeit, unsere Jugendlichen denken völlig neu. Sie sind noch dem Stamm verpflichtet, aber sie haben jetzt einen Universitätsabschluss", meint Mansour. "Sie haben ihre Kalaschnikows in den Schrank gehängt", sagt er, "ihre neue, viel stärkere Waffe sind Facebook und das Internet."

Karim El-Gawhary

© Die Tageszeitung 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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