Die Ausdehnung der Grenzbereiche zwischen Legalität und Informalität mit all ihren teils widersprüchlichen Facetten und multiplen Zentren verlieh dem autoritären Regime Mubaraks eine Flexibilität, die sein Fortbestehen sicherte, ohne dass es sich zu sehr auf physische Gewaltanwendung verlassen musste. Dennoch war die Ausdehnung dieser Grauzone nicht nur ein Segen, denn zwischen der stetigen Ausweitung der Grenzbereiche auf der einen und der Notwendigkeit sie einzudämmen auf der anderen Seite, verlor das Regime in den letzten Jahren seiner Herrschaft zusehends die Kontrolle über sie.

"Rohe Gewalt" statt Legalität und Informalität

Das Regime Abdel Fattah al-Sisis hat von Anfang an verstanden, dass die Flexibilität des Mubarak-Regimes sich gegen ihn gewandt hatte und konsequent seine Lehren aus dessen spektakulärem Sturz gezogen. Angesichts der auf unabsehbare Zeit schlechten Wirtschaftslage macht Al-Sisi keine Anstalten, eine bessere Zukunft zu versprechen und greift auch nicht auf Lügen zurück: Es stimmt, wenn er sagt, dass das ägyptische Bildungs- und Gesundheitssystem in Scherben liegen.

Die Regimemedien setzen sich nicht für die Umsetzung von Menschenrechten und die Verankerung demokratischer Prinzipien ein. Warum auch, wenn die Lösung aller Probleme "rohe Gewalt" ist, wie der Präsident ein ums andere Mal wiederholt. Stattdessen überbieten sie sich gegenseitig in ihrem Bestreben Propaganda für die Willkürherrschaft des Regimes zu betreiben und versuchen erst gar nicht, diese schönzureden.

All das geschieht in völliger Offenheit: Während es sich in der Vergangenheit hinter den Kulissen abgespielt hätte, muss heute niemand mehr verheimlichen, dass die Geheimdienste verschiedene private Medien kaufen und steuern.

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Wahlen als politische Farce: Führende ägyptische Persönlichkeiten hatten zum Boykott der Präsidentschaftswahl aufgerufen. Sie beklagten ein Klima der Einschüchterung sowie Maßnahmen der Behörden und Sicherheitskräfte, die einen "fairen Wettbewerb" unmöglich machten. Zudem sei die Wahl eine reine Show-Veranstaltung, da es keinen Gegenkandidaten zu Al-Sisi gebe.

Das Regime verschleppt mögliche Präsidentschaftskandidaten in aller Öffentlichkeit und anschließend geben sie im Fernsehen ihren Rücktritt von der Kandidatur bekannt, als wäre nichts geschehen. Es lässt sogar den ehemaligen Leiter der größten Aufsichtsbehörde des Landes und Stellvertreter einer der Präsidentschaftskandidaten, Hisham Geneina, auf offener Straße überfallen und zusammenschlagen.

Bevor die Wahlen in Ägypten überhaupt begonnen haben, sind zwei der Kandidaten im Gefängnis und ein weiterer steht unter Hausarrest. Nun weist das Regime völlig unverhohlen und dreist eine Partei nach der anderen ganz offen an, einen Kandidaten für die Wahlen aufzustellen, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, diese Vorgänge zu dementieren oder schönzufärben.

Inszeniertes Wahltheater

Stattdessen wird dem Regime in den Kommentarspalten der Zeitungen vorgeworfen, die Inszenierung der Wahl nicht rechtzeitig vorangetrieben zu haben. Denn niemand leugnet, dass es eine Inszenierung ist, lediglich die Ansprüche an die Aufführung wurden dabei scheinbar nicht ganz erfüllt. Nie zuvor wurde eine Wahl so offensichtlich und unverblümt vor den Augen aller inszeniert.

Und in der Tat hat das Regime keinerlei Interesse daran, die Wahlen in positivem Licht erscheinen zu lassen. Im Gegenteil, es zieht sie mit voller Absicht ins Lächerliche und verspottet und verunglimpft sie, wo es nur geht.

Das Regime lügt nicht, und es will nicht lügen: Jegliche Grauzonen sind verschwunden. Auch wenn es noch welche geben sollte, sind sie kaum der Rede wert. Manche versuchen sich damit Hoffnung zu machen, dass ein derart grobschlächtiges autoritäres Herrschaftssystem aufgrund seiner Trägheit und mangelnder Flexibilität zwangsweise kurzlebiger ist.

Das muss allerdings nicht zwangsläufig der Fall sein, denn ein offen autoritäres Regime kann genauso lange Bestand haben, wie ein flexibles, subtiler agierendes Regime – vielleicht sogar länger. Da aber seine Mittel begrenzt sind und sich letztlich in der Regel auf Repression beschränken, fordert es mehr Opfer und kommt die betroffene Gesellschaft ungleich teurer zu stehen.

Shady Lewis Botros

© Qantara.de 2018

Übersetzt aus dem Arabischen von Thomas Heyne

Shady Lewis Botros, Publizist und Psychologe, lebt in London und beschäftigt sich mit der Analyse der psychologischen Dimensionen politischer Diskurse in der arabischen Welt.

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