Eine typische Türkin gibt es nicht

Hilal Sezgin gehört zu den wenigen türkischstämmigen Journalistinnen, die vorurteilsfrei und intelligent über Islam, Frauenrechte und Integration in Deutschland berichten – eine Bereicherung für die deutschen Feuilletons. Von Nimet Seker

Hilal Sezgin gehört zu den wenigen türkischstämmigen Journalistinnen, die vorurteilsfrei und intelligent über Islam, Frauenrechte und Integration in Deutschland berichten – eine Bereicherung für die deutschen Feuilletons. Nimet Seker stellt die Autorin vor.

Hilal Sezgin; Foto: Julika Tillmanns
"Feminismus in Deutschland ist ein Diskurs, wie er leiser, verschämter kaum sein könnte", meint Hilal Sezgin

​​ "Ich hatte als Redakteurin keine Lust, schräge Texte zu drucken", meint Hilal Sezgin zur Islamdebatte in den Medien nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete die Journalistin noch in der Sachbuch-Redaktion der Frankfurter Rundschau.

Ob Unwissenheit, Pauschalurteile oder falsche Bildauswahl – noch immer bestimmt seit 9/11 ein einseitiges Islambild viele Medien. Und nach Ansicht der Publizistin Sezgin fehlen bis heute wirklich versierte, kompetente Journalisten und Kommentatoren auf diesem Gebiet.

Deswegen macht Sezgin, Tochter des renommierten Islamwissenschaftlers Fuat Sezgin und der deutschen Muslima Dr. Ursula Sezgin, nach dem 11. September den Islam zu einem ihrer zentralen Arbeitsthemen. "Der 11. September war geeignet, sich zu fragen: Um Gottes Willen, welcher Religion gehöre ich eigentlich an? Habe ich etwas total missverstanden im Islam?", so Sezgin.

Moralphilosophie und Harry Potter

Bis dahin schrieb Sezgin vor allem über philosophische Themen. Geboren 1970 in Frankfurt am Main, studierte Sezgin Philosophie, Soziologie und Germanistik und wollte nach dem Studium eigentlich im Fach Philosophie promovieren. Doch sie entschied sich anders. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin.

Sie gehört zu den ganz wenigen muslimischen Autoren, die für überregionale Zeitungen berichten. Eigentlich müsste man betonen, dass sie vor allem eine Autorin ist. Denn Sezgin schreibt als Frau nicht nur über den Islam und vor allem nicht aus der Perspektive ihrer eigenen Biographie. In dieser Hinsicht ist Hilal Sezgin in Deutschland gewiss einzigartig.

Sezgins Themenspektrum reicht von Moralphilosophie, politischer Philosophie und Tierethik bis hin zu Fragen, die Migration in Deutschland betreffen. Sie schreibt unter anderem mit Bestsellerautor und Weltensammler Ilija Trojanow die monatliche Kolumne "Das Schlagloch" in der Tageszeitung (taz). Aber auch Geschichten über Harry Potter gehören schon mal zu einem ihrer Sujets.

"Mohammed und die Zeichen Gottes"

Doch Sezgins Beschäftigung mit dem Islam ist nicht nur journalistischer Art. Zusammen mit dem ägyptischen Reformtheologen Nasr Hamid Abu Zaid präsentierte sie in dem Buch "Mohammed und die Zeichen Gottes" eine moderne Interpretation des Korans, die keineswegs den Glauben relativiert oder das heilige Buch der Muslime in Frage stellt.

Darin heißt es zum Beispiel: "Wenn man die politischen Konsequenzen der Religionen ​​ studieren will, muss man sich auf das Gebiet der Geschichte begeben, nicht in die Exegese heiliger Schriften." Sezgin gibt damit eine klare Antwort auf den gegenwärtigen Diskurs in deutschen Medien, der im Koran nach der Legitimation für islamistische Gewalt sucht.

In diesem Mediendiskurs vermisst Sezgin wechselnde Perspektiven, manchmal ein ganz einfaches Hintergrundwissen und auch die Weitsicht.

Häufig säßen in den Redaktionen nur wenige Journalisten mit Migrationshintergrund – in diesem Fall Muslime, die ein falsch gesetztes Bild austauschen oder einen Text redigieren könnten oder aber, um auch nur gängigen Klischees vorzubeugen sowie den Kollegen Feedback und Anregung geben zu können:

"Momentan ist es ja so, dass sich jede Zeitung händeringend einen Islamexperten sucht, der wird dann zum Sprachrohr für die ganze Sache und muss immer Meinungen vom Katheder verkünden", meint Sezgin.

In den letzten Jahren wurde in Deutschland die Klage laut, es gäbe zu wenige Journalisten mit Migrationshintergrund. Fachtagungen fanden statt, Förderprogramme wurden initiiert – hat es etwas gebracht? "Von alleine werden sich solche Ungleichheiten nicht ausbügeln lassen, vermutlich gar nicht. Das ist bei Frauen und auch bei Migranten so", meint Sezgin.

Wie verlief Sezgins Karriere bisher? Hatte sie als Halb-Türkin mit beruflicher Benachteiligung zu kämpfen? "Als Frau hat man sowieso dieses Problem. Einerseits muss man sich durchbeißen, wenn man beißt, wird man aber mehr gehasst. Man muss also irgendwie 'sanft zubeißen', was eigentlich gar nicht geht", überlegt Sezgin, die sich als Feministin sieht.

Apropos Feminismus: In deutschen Zeitungen muss man heute regelrecht nach diesem Thema suchen. Dabei gibt es so viel zu berichten – über den Emanzipationskampf der Migrantinnen und ihrer Töchter beispielsweise.

Eine alt gediente Feministin

Doch dann stößt man hin und wieder auf einen intelligenten Beitrag zum Thema in der taz oder ​​ der ZEIT – natürlich von Hilal Sezgin. "Feminismus in Deutschland: ein Diskurs, wie er leiser, verschämter kaum sein könnte. Höchstens in der Integrationsdebatte hat das Thema familiäre Gewalt noch Unterschlupf gefunden, den deutschstämmigen deutschen Frauen scheint es nur an Kindertagesstättenplätzen zu fehlen." Mit diesen Worten beginnt eines der Sachbuch-Rezensionen Sezgins.

In einem Radiointerview bekennt sie: "Ich verstehe mich immer noch als alt gediente Feministin – nicht dass ich jemals die Revolution mitgetragen hätte, aber ich habe jedenfalls immer mit ihr sympathisiert. Ich habe nie feststellen können, dass häusliche Gewalt ein Thema ist, was die Öffentlichkeit wahnsinnig interessiert. Das hat sich geändert. Doch was die türkische Frau angeht, da ist plötzlich selbst bei der Bild-Zeitung ein sehr großes Interesse vorhanden, dem ich dann natürlich auch nicht traue."

Die Ethnobrille bitte im Etui lassen

Ihr Buch "Typisch Türkin? Porträt einer jungen Generation" hat ebenfalls viel mit Feminismus zu tun. Darin schildert sie die Lebenswelten von 19 Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren, eine unterschiedlicher als die andere. Das Buch hat keinen thesenartigen Anspruch. Es geht um das Aufzeigen von Vielfalt, um das Ausräumen von Klischees.

Um welche Personen handelt es sich? Sind sie alle "klassische" Opfer des islamischen Patriarchats, die wir aus so vielen Bestsellern kennen?

Sezgin war häufig selbst überrascht von der Offenheit und der Individualität dieser Frauen. Da ist die gläubige Muslima, die sich als Mannheimerin versteht und als prägende Personen ihres Lebens aufzählt:

Pippi Langstrumpf, Hermann Hesse, Annemarie Schimmel, Rumi. Die Samba-tanzende Werbeassistentin. Die karrierorientierte, emanzipierte, gläubige Anwältin, die am Flughafen zwischen Check In-Schalter und Abflug Zeit für ein Interview hat."

Die Deutschen sollen doch bitte die "Ethnobrille im Etui lassen", hat Sezgin einmal geschrieben. Die typische Türkin gibt es eben nicht.

Nimet Seker

© Qantara.de 2009

Qantara.de

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