Nomadin zwischen Marokko und Europa

Hindi Zahra ist das neue Gesicht einer jungen Generation emanzipierter, kosmopolitischer Songwriterinnen Nordafrikas. Ihr Album "Hand Made" erscheint Ende Februar. Stefan Franzen hat Hindi Zahra in Paris getroffen.

Von Stefan Franzen

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Hindi Zahra; Foto: Hassan Hajjaj

Geboren wird die Berberin im Süden Marokkos, im Ort Khouribgha, und sie bezeichnet sich als eingefleischte Nomadin: "Von Kindesbeinen an war ich mit meinen Eltern im Land auf Reisen, habe also die ganze Palette marokkanischer Musik von den Gesängen der Berberfrauen über die Gnawa-Chants bis hin zum Rock tagtäglich mitbekommen. Auch die Musik der Tuareg, die ägyptische Musik, und ein ganz besonderes Faible hatte ich für Bollywood."

Die Stimme ihrer Mutter war zu dieser Symphonie das Grundthema – denn bei den Berbern ist der Gesang von jeher Frauensache, denn in jeder Familie gibt es mindestens eine Frau, die singt.

Faible für die "Meisterinnen der traurigen Stimmungen"

Bewegt erzählt Zahra, dass ihr diese Verwurzelung eine große Portion weibliches, "intimes und zugleich kraftvolles" Selbstvertrauen mit auf den Weg gab. Und so sind auch ihre Idole alle weiblich: Ella Fitzgerald, die große ägyptische Diva Oum Kalthoum und Perus Exotica-Wunder Yma Sumac, die Frau mit der Fünf-Oktaven-Stimme. "Alle sind Meisterinnen der traurigen Stimmungen", betont Hindi Zahra.

In jungen Jahren macht sie sich schon auf nach Paris. Ganz bewusst wollte sie sich von der Heimat abnabeln, um andere Kulturen kennen zu lernen. Einfach war das nicht, wie sie sich erinnert: "Für jeden, der ins Exil geht, ist es schwierig, in der neuen Heimat Fuß zu fassen, vor allem, wenn man jung ist. Als Erwachsene ist man für einen Wechsel mental eher vorbereitet. Aber wenn man diesen Schritt als Jugendliche vollzieht, überrollt es einen wie eine mächtige Überraschung. Mich an eine Großstadt zu gewöhnen, war problematisch, da ich ja nur das Unterwegssein kannte."

Zuhause im Irgendwo

Dass sie als Berberin in einem Land mit starker arabischer Kultur aufgewachsen war, und dass dort die arabische, nicht die Berbersprache gesprochen wird, gab ihr stets das wenig konkrete Gefühl von einem Zuhause im Irgendwo. Dieses Gefühl erleichterte es ihr aber auch, sich überall zu adaptieren - schließlich auch in Paris.

Hindi Zahra; Foto: &copy festivalrai.wordpress.com
"Ein Maghreb-Mädchen mit Gitarre – viele denken da sofort an Souad Massi, der wir es zu verdanken haben, dass die klassischen Klischees von singenden Frauen der arabischen Welt vor einer Dekade hinweggewischt wurden. Doch die nächste Generation dieser kosmopolitischen Songwriterinnen Nordafrikas keimt schon: Hindi Zahra ist das neue Gesicht dieser Bewegung", schreibt Franzen.

​​Zunächst singt sie Soul an der Seine, als Backgroundstimme. "Es hat mich wirklich frustriert, nur mit Musikern aus dem Okzident zu arbeiten", erinnert sie sich, "dabei wurde mir bewusst, was ich für einen Reichtum in mir habe. Ich wollte die Gesangskultur meiner Heimat auf eine andere Stufe heben, mit anderen Instrumenten arbeiten, mit dem Piano vor allem und der E-Gitarre, und so eine Mélange kreieren, verschiedenste Elemente in Einklang bringen."

Auf "Hand Made" (Blue Note/EMI) präsentiert die junge Frau nun das Ergebnis der Selbstfindung. Es ist ein weitestgehend akustischer Songzyklus mit Berberblues, tranceartigem Chanson und Anleihen an den Jazz der 1930er und 1940er Jahre, gesungen auf Berberisch und Englisch.

Seeleute auf einer Reise ins Unbekannte

Das englische Magazin "Wire" bezeichnete das Vorzeigestück "Beautiful Tango" als Kreuzung aus Django Reinhardt und Billie Holiday. "Einverstanden", lacht Hindi Zahra. "Der Rhythmus ist schon eindeutig auf dem Handclapping der Berber aufgebaut. Doch der Blues der Berber hat Verwandtschaften mit der Musik der Manouches, kein Wunder, beide sind ja Nomadenvölker. Und der alte Jazz ist auch etwas, was mich von klein auf fasziniert und beeinflusst hat. Für mich sind die Jazzer Seeleute auf einer Reise ins Unbekannte.

Und auf diese Reise gehe auch ich, mit der Stimme als Medium." Die elf Songs haben sehr spontanen und informellen Charakter, mal wie kleine Hinterhof-Miniaturen, mal wie Hymnen an die Nacht. Die Newcomerin hat zudem eine Schwäche fürs Psychedelische: "Set Me Free" etwa solle die Atmosphäre einer Nacht in der Wüste widerspiegeln, wenn man in der Stille nach oben auf den Sternenhimmel blickt und sich in Kontemplation über die menschliche Natur, den Sinn des Lebens begibt.

Die E-Gitarre, so Hindi Zahra, trage einen zu den Sternen. Andere Stücke dagegen haben sehr konkrete Themen, wie z.B. "Oursoul" (ein Berberwort, das zufällig auch englisch sein könnte), wo es mit großem Einfühlungsvermögen um eine Zwangsheirat geht. Entstanden ist "Hand Made" in einem großen Atelier, um den handwerklichen Charakter der Aufnahmen zu fördern. Schließlich arbeiten die Musiker ja mit den Händen, seien also Handwerker, so Hindi Zahra, die in Stücken wie "Old Friends" und "Don't Forget" ihre katzenartige, zwischen den Tönen herumschweifende Stimme zu wundersamen Chören schichtet.

"Die Arrangements und die Vokalsätze träume ich", gibt sie ganz ernst zu Protokoll. "Melodien manifestieren sich in meinem Bewusstsein, ohne dass ich groß etwas dazu tue, ich arbeite instinktiv, ohne etwas schriftlich zu fixieren." Auch in ihrer Studioarbeit also bleibt Hindi Zahra, die zwischen Marokko, Paris, Brüssel und London herumschweift, ganz Nomadin.

Stefan Franzen

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