Hassliebe Teheran

Obwohl sich der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan nicht als dezidiert politischer Autor begreift, prangert er in seinen Romanen die gesellschaftlichen Zwänge und menschlichen Tragödien im Iran konsequent an. Volker Kaminski hat sich mit ihm unterhalten.

Von Volker Kaminski

Amir Hassan Cheheltan; Foto: Volker Kaminski
Ein umtriebiger Kolumnist, der Stellung bezieht zu den Ereignissen in seiner Heimat - der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan

​​ Sein derzeitiger Aufenthaltsort Berlin muss Amir Hassan Cheheltan vergleichsweise klein und überschaubar vorkommen. Er, der daran gewöhnt ist in der 15-Millionen-Metropole Teheran zu leben, hat seit dem Sommer für ein Jahr eine Gastwohnung des DAAD in einer stillen Seitenstraße am Kurfürstendamm. Im Gespräch schwärmt Cheheltan denn auch von den Megacities mit ihren breiten Boulevards, den Menschenmassen, dem unablässig fließenden Verkehr.

Es ist eine durchaus zwiespältige Sympathie, die ihn mit solchen Metropolen wie seine Heimatstadt verbindet, er übersieht nicht die Schattenseiten dieser in verstopften Straßen und giftigen Abgasen versinkenden Riesenstädte. Doch er betont, dass es gerade die Anonymität einer Metropole wie Teheran sei, die ihm durch ihre schiere Größe eine gewisse Bewegungsfreiheit und den benötigten persönlichen Freiraum bietet.

Für einen angesehenen Schriftsteller aus dem heutigen Iran spielt der Aspekt der Freiheit dabei eine zentrale Rolle. Nirgendwo sonst als in Teheran, sagt Cheheltan, könne er sich in seinem Heimatland sicherer fühlen. Aber es sind nicht nur die Megacities, die den Schriftsteller reizen. Auch von europäischen Hauptstädten wie Paris, London, Rom oder eben Berlin fühlt er sich immer wieder aufs Neue angezogen. Als Romanautor schöpft er aus der unmittelbaren Gegenwart und lässt Figuren aus dem heutigen Teheran auftreten, wie sein soeben auf Deutsch erschienener Roman "Teheran Revolutionsstraße" zeigt.

Teheran – teuflische Stadt

Cheheltan hat bereits ein umfangreiches Werk vorgelegt und ist Autor von bisher sieben Romanen und mehreren Erzählbänden. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit tritt er auch als Verfasser zahlreicher Artikel in großen – auch deutschen Feuilletons – auf. Ein umtriebiger Kolumnist, der Stellung bezieht zu den Ereignissen in seiner Heimat. Dabei ist sein Lebensmittelpunkt Teheran immer wieder zentrales Thema. In seinem neuen Roman beschreibt er die Stadt als Ort der Hölle, ja er geißelt sie als "teuflische Stadt", deren "trübe Luft,... Tumult und … Anarchie… ins Innere der Menschen eindringen und ihre zerstörerische Wirkung zwangsläufig verstärken."

​Jemand, der wie er gesellschaftliche Probleme und menschliche Nöte so direkt und realistisch anspricht, gerät fast zwangsläufig in Konflikt mit den strengen Behörden seines Heimatlandes, vor allem mit der staatlichen Zensur. Er beschreibt im Gespräch, wie viel Mühe und Geduld einem kritischen iranischen Schriftsteller abverlangt werden, um sein Werk zu publizieren. Dabei sehe es heute sogar besser für ihn aus als vor zwanzig Jahren, als sieben Manuskripte bei ihm auf Publikation warteten. Nach und nach konnte er, allerdings immer im Einvernehmen mit der Zensurbehörde, sein Werk veröffentlichen.

Sein aktueller Roman "Teheran Revolutionsstraße" durfte jedoch bis heute nicht im Iran erscheinen. Dabei versteht sich Cheheltan nicht als dezidiert politischer Autor, ihm gehe es darum den Ursachen gesellschaftlicher Deformationen mit den Mitteln der Literatur nachzuspüren. Neben seinen historischen Stoffen, die er auch immer wieder bearbeitet, ist es das Gesicht der heutigen Metropole Teheran, dessen Zerrissenheit er in Form menschlicher Tragödien aufzeigt. Da sich die staatliche Kontrolle auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt – die Vorschriften betreffen auch den privaten Bereich, die Art wie man sich kleidet, was man isst und trinkt, liest und schreibt, die Form der Erziehung –, so ist der Konflikt mit den zuständigen Behörden quasi programmiert.

Ausweglosigkeit in einer kontrollierten Gesellschaft

Solange die islamische Regierung das Anliegen verfolge, der Gesellschaft einen ganz bestimmten Lebensstil aufzuzwingen, solange versuche er als Schriftsteller dagegen anzuschreiben. In seinem Roman "Teheran Revolutionsstraße" sind die Auswirkungen gesellschaftlicher Zwänge auf die in ihnen lebenden Personen auf drastische Weise dargestellt. Zwar wird nirgendwo im Roman direkt auf politische Vorgänge eingegangen, dennoch ist spürbar, wie ausweglos ein Leben in einer absolut kontrollierten, von Gewalt geprägten Gesellschaft ist. Der durch die Islamische Revolution zu Erfolg gekommene "Hymenoplastiker" Fattah, dessen Aufgabe es ist jungen Mädchen das zerrissene Jungfernhäutchen wieder zusammenzunähen, damit sie als Jungfrau in die Ehe gehen können, verliebt sich eines Tages in eine seiner Patientinnen.

Doch die junge Schahrsad ist bereits einem anderen versprochen, einem jungen Mann, der im berüchtigten Teheraner Gefängnis als Folterer angestellt ist. Schahrsad weiß nichts von der grausamen Tätigkeit Mustafas und ihre Wahl würde auf ihn fallen, doch sie wird nicht gefragt. Vom Geld verlockt, beschließt ihre Familie, dass Schahrsad mit dem wohlhabenden Arzt verheiratet werde, doch dies weiß der um die Braut betrogene Mustafa auf grausame, perfide und letztlich tragisch endende Weise zu verhindern. Diese erschütternden Geschehnisse bettet Cheheltan ein in ein unübersichtliches Teheran, dessen behauptete "höllische" Züge im Lauf der Lektüre immer mehr an Plausibilität gewinnen.

Drastik, die einem "die Luft abschnürt"

Für deutsche Leser ist das Geschehen, wie es in einer Rezension heißt, von einer Drastik, die einem "die Luft abschnürt". Dabei erzählt Cheheltan nicht ohne Ironie und seine Figuren bleiben bei all ihrer Fehlerhaftigkeit und moralischen Verwerflichkeit ganz normale Menschen. Für Cheheltan ist die Aussicht, diesen und andere Romane auf längere Sicht im Iran zu veröffentlichen, höchst wichtig. Er ist sich sicher, dass ihm dies gelingen wird, aber er zeigt sich abgeneigt, seine Bücher auch zukünftig nach den Wünschen der Zensurbehörde zu publizieren.

So hat er sich unlängst öffentlich gegen die Nominierung für einen Buchpreis gewehrt, der von derselben Behörde vergeben wird. Cheheltan, dessen Bekanntheit auch außerhalb Irans stetig wächst und der viele Einladungen zu Lesungen erhält, zuletzt für das Internationale Literaturfestival in Berlin, kann sich ein Leben außerhalb des Iran dennoch nicht vorstellen. Schließlich ist es seine Heimat und das Land, dessen Sprache er liebt.

Volker Kaminski

© Qantara.de 2009

Amir Hassan Cheheltan: "Teheran Revolutionsstraße", aus dem Persischen von Susanne Baghestani, 208 Seiten, erschienen im P. Kirchheim Verlag