Die vielen Gesichter des Mohammed Dahlan

Der frühere Sicherheitschef der Autonomiebehörde, Mohammed Dahlan, gilt nicht nur als größter Rivale von Präsident Abbas, sondern auch als politischer Tausendsassa mit besten internationalen Beziehungen. Viele trauen dem geschassten Fatah-Funktionär nun eine Rückkehr auf die politische Bühne zu. Von Neville Teller

Von Neville Teller

Um die kontroverse Persönlichkeit Dahlans ranken sich seit Jahren Gerüchte über Verschwörungen und Gegenverschwörungen, die sich in den vergangenen Wochen noch verstärkt haben. Beispielsweise wird Dahlans Name mit dem jüngsten Putschversuch in der Türkei gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Verbindung gebracht – eine Annahme, die der Theorie widerspricht, der Putsch sei von Erdoğan selbst geplant worden, um einen Grund für die Beseitigung seiner politischen Gegner und zusätzliche autokratische Macht für seine Präsidentschaft zu bekommen.

Die Beweise dafür, dass Dahlan etwas mit diesem Komplott zu tun hat, sind unwesentlich, aber im Januar 2016 berichtete die türkische Zeitung Gercek Hayat, Dahlan habe die Aufsicht über ein multinationales Vorhaben, der unter der Leitung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mit russischer und iranischer Unterstützung einen Putsch gegen Erdoğan zum Ziel habe.

Im Bund mit Gülen?

Weiterhin wiesen türkische Medienberichte vom 27. Juli darauf hin, dass die Türkei gegenwärtig eine mögliche Beteiligung Dahlans an dem Putschversuch überprüfe. Ahmet Varol, ein führender Politiker der türkischen Regierungspartei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), behauptete, Dahlan habe enge Verbindungen zu Anhängern von Erdoğans Erzfeind, dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, der von den türkischen Behörden beschuldigt wird, der Drahtzieher des Putschversuchs zu sein. Varol räumte dabei jedoch ein, dass es für Dahlans Beteiligung keine eindeutigen Beweise gäbe, bestätigte aber, dass der Fall weiter untersucht werde: "Wir werden nicht zögern, diejenigen zu bestrafen und zur Verantwortung zu ziehen, die an der Schädigung unseres Landes beteiligt waren".

Ob Dahlan nun seine Finger in diesem gescheiterten Vorhaben hatte oder nicht: Fest steht, dass sein internationaler politischer Einfluss erheblich ist. Der frühere Minister und Sicherheitschef der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) lebte viele Jahre in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und ist Berater von Muhammad Bin Zayed, dem Kronprinz von Abu Dhabi. Außerdem gilt er als "Freund" der Ministerpräsidenten von Montenegro und Serbien, Milo Djukanovic und Aleksandar Vucic.

 Nach dem Militärcoup stürmen türkische Zivilisten einen Panzer in Istanbul; Foto: Reuters/Y. Karahan
Gerüchteküche im Falle des jüngsten Staatsstreichs in der Türkei: "Ob Dahlan nun seine Finger in dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei hatte oder nicht: Fest steht, dass sein internationaler politischer Einfluss erheblich ist", schreibt Neville Teller.

Im Jahr 2010 erhielten Dahlan und seine Frau die montenegrinische Staatsbürgerschaft, und Djukanovic bezeichnete ihn im Parlament als einen Freund, der aufgrund seiner Beziehungen zu Abu Dhabis königlicher Familie erhebliche Investitionen nach Montenegro gelenkt habe. 2013 erhielt Dahlan sogar die serbische Staatsbürgerschaft, nachdem er dem Land angeblich viele Millionen Dollar an Investitionen aus den VAE versprochen hatte.

Unterstützung grenzenlos

In politischen Kreisen Palästinas ist die Ansicht weit verbreitet, dass Dahlans außenpolitisches Engagement Teil einer Strategie ist, mit der er sich als direkter Nachfolger von Präsident Abbas profilieren will. Laut Ahmed Youssef, dem politischen Berater des ehemaligen Hamas-Ministerpräsidenten Ismail Haniyeh, könnte sich Dahlan "bessere Chancen auf hohe Ämter innerhalb der PA ausrechnen als alle anderen Palästinenser". Dazu trägt die (relative) Zufriedenheit Israels mit ihm und sein besonderes Verhältnis zu den VAE ebenso bei, wie zu Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien und zur syrischen Opposition. Diese internationalen Beziehungen, die er in ein palästinensisches Amt einbringen würde, könnten es ihm ermöglichen, die Stufen der Führungsleiter ganz nach oben zu erklimmen."

Shaker al-Jawhari, der Herausgeber der jordanischen Zeitung Al-Mustaqbal, glaubt, Dahlan genieße die Unterstützung einer Vielzahl regionaler Akteure. "Dank der finanziellen Mittel, die er dort an seine Förderer verteilt, reicht sein Einfluss sogar bis in den Libanon und nach Europa. Dadurch wird er zu einem starken und ernst zu nehmenden Wettbewerber für Abu Mazen (Mahmud Abbas)."

Pro Mohammed Dahlan-Demo in Gaza-Stadt am 18.12.2014; Foto: Reuters/Mohammed Salem
Popularität im In- und Ausland: Laut Ahmed Youssef, dem politischen Berater des ehemaligen Hamas-Ministerpräsidenten Ismail Haniyeh, könnte sich Dahlan "bessere Chancen auf hohe Ämter innerhalb der PA ausrechnen als alle anderen Palästinenser".

Auf der Webseite Middle East Eye verdichten sich die Hinweise, Dahlan sei womöglich noch an einem weiteren Komplott beteiligt gewesen. Ägypten, Jordanien und die VAE hätten gemeinsam einen Plan erarbeitet, um Dahlan zum nächsten Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde zu küren. Auch heißt es, die Hamas sei bereit, ihre lange Geschichte der Feindschaft gegen Dahlan hinter sich zu lassen (als dieser von 1995 bis 2000 Sicherheitschef in Gaza war, ließ er Hunderte von Hamas-Mitgliedern mit der Anschuldigung einsperren, sie hätten bewaffnete Operationen gegen Israel durchgeführt).

Auf dem Weg zur Macht

Ginge dieser Plan für die Zeit nach Mahmud Abbas auf, hätte sein Erzrivale Dahlan beim Amtsantritt die Kontrolle über die palästinensische Präsidentschaft, die PLO und die PA. Auch wird berichtet, dass die VAE angeblich mit Israel über Strategien zur Amtseinführung Dahlans verhandelt habe, und die drei Hauptverhandlungsparteien nach einer Einigung auch die Führung Saudi-Arabiens hierüber informieren wollten.

Am 24. Juni hielt Khaled Meshaal, der Vorsitzende des Politbüros der Hamas, in seinem Hotel in Doha eine Pressekonferenz ab, in deren Verlauf er darauf hinwies, dass es ein regionales Bündnis gebe, das darauf hinwirke, "jemanden von außerhalb als Regierungschef von Gaza und Ramallah einzusetzen". Die anwesenden Journalisten verstanden dies als eine Anspielung auf Mohammed Dahlan. Bereits seit Avigdor Lieberman am 30. Mai zu Israels neuem Verteidigungsminister ernannt wurde, mehren sich Berichte über einen solchen Plan (oder Verschwörung), Dahlan zum nächsten Palästinenserführer zu machen.

Laut palästinensischen und israelischen Quellen traf Lieberman, damals noch israelischer Außenminister, Mohammed Dahlan im Januar 2015 bei einem Geheimtreffen in Paris, um "Angelegenheiten der Palästinensischen Autonomiebehörde" mit ihm zu besprechen. Solche Andeutungen über eine Absprache zwischen Lieberman und Dahlan – ob sie nun wahr sind oder nicht – reichen zweifelsohne aus, um Dahlan ins schlechte Licht zu rücken und seine Rivalen mit jeder Menge Munition auszustatten, von der sie auch ohne zu zögern Gebrauch gemacht haben.

Mahmud Abbas und Mohammed Dahlan am 7. April 2007 im Gazastreifen; Foto: picture-alliance/dpa
Vom einstigen Weggefährten zum Gegenspieler von Mahmud Abbas: Das Zentralkomitee der palästinensischen Fatah-Bewegung hatte Mohammed Dahlan am 28.12.2010 suspendiert. Neben Korruptionsvorwürfen wurde dem ehemaligen Sicherheitschef von Gaza zur Last gelegt, einen Putschversuch gegen den Palästinenserpräsident geplant zu haben.

In Gaza haben sich dank Dahlans guter Verbindungen zu Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi auch seine Beziehungen zur Hamas erheblich verbessert. Die Hamas-Führung in Gaza hoffte, Dahlan könne ihnen dabei helfen, Streitigkeiten mit Sisi beizulegen. Ebenfalls begrüßte sie die finanzielle Unterstützung der Dahlan-Stiftung im Gaza-Streifen, die zur Förderung von Projekten und zur Hilfe für Bedürftige verwendet werde. Die dortige Hamas-Führung kann es sich nicht leisten, großzügige Finanzhilfen abzulehnen, selbst wenn Dahlan der Sponsor ist. Es ist offensichtlich, dass Dahlans Chancen, die Führung der politischen Maschinerie der Palästinenser zu erlangen, durch diese nationalen Projekte steigen.

Im Clinch mit der Fatah

Sein größtes Hindernis auf dem Weg nach oben ist jedoch das Establishment der Fatah. Im Juni 2011 wurde Dahlan nach Korruptions- und Mordvorwürfen aus der Fatah-Regierung ausgeschlossen. Abbas hatte ihn beschuldigt, den ehemaligen Palästinenserführer Jassir Arafat ermordet zu haben. Daraufhin wurde Dahlan von der PA in Abwesenheit wegen Korruption verurteilt.

Doch inzwischen genießt der geschasste Politiker die Unterstützung einer neuen Fatah-Führungskommission, die mit der Ablehnung der etablierten Fatah-Führung gegen ihn radikal gebrochen zu haben scheint. Berichten zufolge wurde der neuen Kommission am 25. Juli von führenden Fatah-Politikern vorgeworfen, Entscheidungen zur Bevorzugung von Dahlan getroffen zu haben, durch die sein Einfluss auf die Bewegung gegen Mahmud Abbas vergrößert worden sei. In einem Brief an Abbas sprachen diese Politiker von einer Art Umsturzversuch und warnten vor dem "vollständigen Zusammenbruch" des organisatorischen Rahmens der Fatah, der zum Amtsantritt der momentanen Führungskommission eingeführt worden war. Die Kommission wurde von den Autoren des Briefes beschuldigt, Verbindungen zu ausländischen Mächten zu pflegen und externe Interessen zu unterstützen.

Falls die Behauptungen zutreffen, dass Dahlan ernsthaft versucht, Nachfolger von Abbas zu werden, und dass er dabei von erheblichen internationalen Bündnispartnern unterstützt wird – werden seine Stärken dann seine Schwächen überwiegen? In dieser Hinsicht könnten die nächsten Kommunalwahlen in Gaza und im Westjordanland wertvolle Hinweise auf die politische Zukunft Dahlans geben – sollten diese wirklich eines Tages stattfinden.

Neville Teller

© MPC Journal 2016

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff