Im Fadenkreuz radikaler Islamisten

Die jüngste Messerattacke auf den indonesischen Sicherheitsminister Wiranto zeigt, wie groß die Gefahr durch Islamisten ist. Beim Kampf gegen die Radikalisierung sind aber nicht allein die Sicherheitskräfte in der Pflicht. Von Rodion Ebbighausen

Von Rodion Ebbighausen

Als der indonesische Sicherheitsminister Wiranto Anfang Oktober in der Provinz Banten (West-Java) am hellichten Tag aus dem Auto stieg, stürzte ein Mann vor und stach zweimal zu, bevor er von den Sicherheitskräften überwältigt werden konnte. Wiranto erlitt schwere Magenverletzungen und wird in einem Militärkrankenhaus in Jakarta behandelt; er befinde sich in stabiler Verfassung, wie mitgeteilt wurde.

Der Angreifer ist der 31jähriger Syahril Alamsyah, der den Kampfnamen "Abu Rara" angenommen und der der Terrororganisation Jamaah Ansharut Daulah (JAD) die Treue geschworen hat. JAD wiederum ist eine der vielen terroristischen Organisationen Südostasiens, die sich dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) angeschlossen haben. Neben JAD gehören dazu Abu Sayaf und die Maute-Gruppe auf den Philippinen.

Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer islamistischer Terrororganisationen, die über die ganze Region verteilt von Thailand, Malaysia, Indonesien, Singapur bis zu den Philippinen aktiv sind. Nicht alle gehören zum IS, wie zum Beispiel Jemaah Islamiyah (JI) aus Indonesien, die 2002 den Bombenanschlag auf Bali über 200 Toten durchführte. Nach Bali wurde JI von den Sicherheitsbehörden weitgehend unter Kontrolle gebracht, nun aber erstarkt ihr Netzwerk nach Einschätzung von Experten wieder.

Südostasien als Ziel des IS

Zachary Abuza, Südostasienexperte vom National War College in Washington D.C., und Colin P. Clarke von der RAND Corporation kommen in einem gemeinsamen Bericht auf dem Sicherheits-Blog "Fortuna's Corner" zu dem Schluss, dass "Südostasien aktuell wahrscheinlich die besten Voraussetzungen für den militanten Islam bietet." Nachdem der IS sein Territorium in Syrien und im Irak im März 2019 verloren hatte, wandelte er sich zu einer dezentral organisierten, globalen Terrororganisation.

Der indonesische Sicherheitsminister Wiranto; Foto: picture-alliance/AP
Dschihadistisch motivierte Attacken: Bereits im Mai waren Wiranto und drei weitere hochrangige Regierungsvertreter nach Polizeiangaben einem Anschlag entgangen. Der frühere Militärchef und ehemalige Präsidentschaftskandidat Wiranto ist eine der wichtigsten politischen Persönlichkeiten Indonesiens. Ihm werden seit langem Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Unabhängigkeitsreferendums in Osttimor 1999 vorgeworfen.

Die wegen der vielen Inseln schwer zu kontrollierende Region Südostasien eignet sich laut den Experten besonders gut für Infiltrierung durch den IS. Nach den Anschlägen in Sri Lanka im April 2019 erklärte die Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter: "Wir haben überall in Süd- und Südostasien dschihadistische Strukturen mit internationalem Hintergrund."

In Südostasien bekannten sich Terrorgruppen schon 2014 zum IS. Seit 2016 erscheint wöchentlich die IS-Zeitung "al-Fatihin" ("Der Eroberer") in Malaiisch und Indonesisch. Seit 2018 gab es in Indonesien elf Selbstmordanschläge und sechs auf den Philippinen. Fast wöchentlich berichten die Zeitungen der Region von der Verhaftung von militanten Islamisten. Allein in Malaysia wurden in den letzten sechs Jahren mehr als 500 Terrorverdächtige inhaftiert. Nun kommen mögliche Rückkehrer aus Syrien und dem Irak hinzu. Malaysia erwartet nach Angaben der malaysischen Zeitung "Benar News" 53 Kämpfer und Indonesien mehr als 100.

Unterschiedliche Vorgehensweisen gegen Islamisten

Der Kampf um die philippinische Stadt Marawi auf der Insel Mindanao von Mai bis Oktober 2017 zeigt, wozu die Islamisten fähig sind. Sie eroberten die 200.000 Einwohner zählende Stadt und lieferten sich über Monate lang Kämpfe mit dem philippinischen Militär, wobei die Stadt weitgehend zerstört wurde. Bis heute leben mehr als 50.000 Einwohner in Notunterkünften.

Zerstörter Stadtteil in Marawi; Foto: Reuters
Gewachsene radikal-islamistische Gefahr: Der Kampf um die philippinische Stadt Marawi auf der Insel Mindanao von Mai bis Oktober 2017 zeigt, wozu die Islamisten fähig sind. Sie eroberten die 200.000 Einwohner zählende Stadt und lieferten sich über Monate lang Kämpfe mit dem philippinischen Militär, wobei die Stadt weitgehend zerstört wurde. Bis heute leben mehr als 50.000 Einwohner in Notunterkünften.

Experten bewerten die Anti-Terror-Maßnahmen der Regierungen in der Region unterschiedlich. Zachary Abuza stellt Indonesien ein gutes Zeugnis aus. Er verweist darauf, dass Hunderte Verdächtige seit Verabschiedung eines neuen Anti-Terror-Gesetzes von 2018 verhaftet wurden. Dass der Wiranto-Attentäter den Sicherheitsbehörden als Radikaler bekannt war, aber nicht verhaftet wurde, habe damit zu tun, dass er bis zum Anschlag kein Gesetz gebrochen hat, sagte der indonesische Sicherheitsexperte Stanislaus Riyanta: "Es ist nicht so, dass die Geheimdienste nicht wüssten, was vor sich geht. Aber sie können nur warnen und erst dann eingreifen, wenn ein terroristischer Angriff unmittelbar bevorsteht."

Die Terroristen hätten ihre Strategie an die verschärfte Gesetzeslage angepasst und würden sich vermehrt auf kleine Zellen und individuelle geplante Anschläge verlegen. "Dadurch wird es schwieriger, sie rechtzeitig zu identifizieren."

Abuza und Clarke sehen die Anti-Terror-Bemühungen der Philippinen dagegen kritischer. Die Sicherheitskräfte verübten bei ihren Operationen so massive Menschenrechtsverletzungen, dass sie all diejenigen, die ohnehin einen Groll gegen die Regierung in Manila hegen, in die Arme der Islamisten trieben. Das gleiche gelte für den rücksichtlosen Militäreinsatz in Marawi, der von den Dschihadisten für ihre Propaganda ausgenutzt werde.

Gesamtgesellschaftliches Problem

Die Bekämpfung terroristischer Strukturen durch den Sicherheitsapparat reicht aber nicht aus. Der Bonner Indonesien-Forscher Berthold Damshäuser beobachtet seit Jahren eine "wachsende Intoleranz". Insbesondere jüngere Indonesier sprächen sich immer öfter für eine konservative Auslegung des Islam aus. Die vom Populismus geprägte Politik gäbe diesen Strömungen zu oft nach. Das wiederum fördere eine zunehmende Islamisierung des Landes.

Zu den fünf Grundprinzipien ("Pancasila") des 1945 unabhängig gewordenen Staates gehörte vor allem religiöse Toleranz. Diese wird laut Beobachtern gerade in jüngster Zeit durch regionale Sonderrechte zur Durchsetzung fundamentalistischer Moralvorstellungen untergraben.

Insofern hat die stärkere Betonung der Interessen und Rechte der Regionen in der modernisierten indonesischen Verfassung dem Erstarken des Fundamentalismus Vorschub geleistet. Wichtig wäre laut Susanne Schröter, die überwölbenden demokratischen Prinzipien der Verfassung gegenüber regionalen islamistischen Auswüchsen stärker in Stellung zu bringen.

Rodion Ebbighausen

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