Nach Palmyra bald auch Suwaida?

Noch gilt das Drusengebiet in Südsyrien, das zahlreiche archäologische Schätze birgt, als eine der Hochburgen des Assad-Regimes. Das könnte sich jedoch schon bald ändern. Informationen von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

In der südsyrischen Stadt Suwaida – wie auch in der gleichnamigen Provinz – wächst seit Wochen die Angst vor Angriffen der Gegner des Assad-Regimes. Von Osten rücken die Milizionäre des "Islamischen Staates" immer weiter vor, von Westen die einer Aufständischenkoalition, in der die radikalislamische Nusra-Front den Ton angibt.

In den Augen dieser beiden miteinander rivalisierenden sunnitischen Dschihadisten-Lager sind die Bewohner Suwaidas, die als letzte Bastion der Assad-Treuen im äußersten Süden gelten, Ungläubige – weil sie Drusen sind, Anhänger einer Religionsgemeinschaft, die zwar ihren Ursprung im mittelalterlichen Schiismus ismailitischer Prägung hat, sich jedoch durch die Beimischung neuplatonischer Elemente und den Glauben an die Seelenwanderung vom Islam entfernt hat.

Infolge des gemeinsamen schiitischen Ursprungs waren die Drusen quasi natürliche Verbündete der syrischen Alawiten, die das Fundament des Assad-Regimes bilden. Nicht nur dies macht sie aus Sicht der vorrückenden Gotteskrieger zu Feinden. Auch hat es in der Geschichte Suwaidas manche Phase gegeben, deren Spuren die Islamisten am liebsten vollständig aus der Erinnerung tilgen würden. Die Stadt hieß nämlich in der Antike Dionysias, womit die Tradition des Weinkultes der dort zuvor siedelnden Nabatäer fortgeschrieben wurde.

Wenngleich den Drusen jeglicher Alkoholgenuss untersagt ist, bildet der Traubenanbau in der Region nach wie vor einen wichtigen Wirtschaftsfaktor, und so finden sich auf dem Stadtwappen Suwaidas neben Äpfeln auch Trauben – in einem Korb, den eine traditionell gekleidete Drusin hält.

Verhasste Wahrzeichen

Der durchsichtige weiße, das Haar nur leicht bedeckende Schleier der Drusinnen dürfte den Dschihadisten ebenso ein Dorn im Auge sein wie die beiden weiteren Wahrzeichen auf dem Emblem der Stadt. Das eine ist die in Suwaida befindliche Reiterstatue zu Ehren von Sultan al-Atrasch (1891-1982), einem drusischen wie syrischen Nationalhelden, der in den Jahren 1925 bis 1927 einen Aufstand gegen die französischen Kolonialherren anführte.

Dem Reiterstandbild wie auch dem al-Atrasch und seinen Kameraden gewidmeten monumentalen Ehrenmal in dessen Geburtsort Quraya, der 15 Kilometer südlich von Suwaida liegt, droht das gleiche Schicksal wie allen Denkmälern, die die islamistischen Milizonäre mit dem Regime und seiner säkular-nationalistischen Kultur assoziieren: Sie werden gleich demoliert oder gar in die Luft gesprengt.

Drusische Frauen auf dem Majdal Shams in den Golanhöhen; Foto: picture alliance/zumapress
Den IS-Dschihadisten ein Dorn im Auge: "Der durchsichtige weiße, das Haar nur leicht bedeckende Schleier der Drusinnen dürfte den Dschihadisten ebenso stören die beiden weiteren Wahrzeichen auf dem Emblem der Stadt" - drusische Frauen auf dem Majdal Shams, Syrien.

Dasselbe Los könnte die auf dem Wappen der drusischen Stadt ebenfalls abgebildeten Baureste aus römischer Zeit ereilen, auf die man in Suwaida nicht minder stolz ist.

Im städtischen Denkmalschutzamt und Museum herrscht deshalb nicht ohne Grund höchste Alarmbereitschaft. Das Museum, ein rechteckiger Bau mit einer Außenverkleidung aus dem für die Gegend typischen schwarzen Basalt, beherbergt außer Resten aus nabatäischer Zeit auch bestens erhaltene Mosaiken und Inschriften aus der griechisch-römischen Antike sowie Funde aus der byzantinischen und islamischen Periode. Die Anfänge der Sammlung gehen auf die Archäologiebegeisterung des Franzosen Gabriel Carbillet zurück, der in den Jahren 1924 und 1925 Gouverneur der Drusengebiete war. Er war berüchtigt für die repressiven Methoden, mit denen er seine ambitionierten Modernisierungsprojekte durchsetzte.

Diese – darunter die Errichtung eines ersten Archäologiemuseums in Suwaida – wurden bisweilen unter Einsatz von Zwangsarbeitern realisiert und lieferten den lokalen Drusenscheichs, deren traditionelle Herrschaft Carbillet zu unterminieren versuchte, schließlich die Rechtfertigung für ihren Aufstand gegen die französische Kolonialherrschaft.

Das Museum, das 1990 durch den jetzigen Bau ersetzt wurde, richtete der französische Archäologe Maurice Dunand (1898-1987) ein, der in der Umgebung auch zahlreiche Ausgrabungen durchführte und 1934 einen ersten Katalog der Museumsbestände erstellte.

Syriens leere Museen

Im Museum von Suwaida finden seit Wochen, so jedenfalls die offizielle Verlautbarung, "Umbauarbeiten" statt, weshalb es für Besucher kaum noch geöffnet ist. Bereits im Mai beklagte man in syrischen Oppositionskreisen, dass der Museumseingang von ortsfremden Soldaten "mit alawitischem Akzent" bewacht werde.

In den Medien der Aufständischen kursiert die Behauptung, Handlanger des Regimes würden sich nun auch in Suwaida die Schätze des Museums unter den Nagel reißen. Mit ihrem Verkauf wolle der syrische Diktator seinen Krieg gegen die Bevölkerung finanzieren.

Tatsächlich stehen mittlerweile die meisten syrischen Museen weitgehend leer. Den Vorwurf des Antikendiebstahls weist man in der syrischen Museums- und Antikenbehörde vehement zurück. Wie ihr Chef Maamoun Abdulkarim immer wieder betont, seien rechtzeitig Vorkehrungen getroffen worden, um die kostbarsten und transportfähigen Bestände der syrischen Museen in Sicherheit zu bringen – in der Nähe oder in Damaskus.

Die Rebellen, die von der Regierung als Terroristen bezeichnet und ebenfalls des Antikenraubs bezichtigt werden, glauben nicht an diese Version. Die ihnen nahestehende Damaszener Wochenzeitschrift "Souriatna" ("Unser Syrien") sprach denn auch kürzlich in Bezug auf Suwaida von "Diebstahl" und deutete die Vorgänge als klaren Hinweis dafür, dass Damaskus längst beschlossen habe, die Stadt aufzugeben.

Weltkulturerbe Syrien Amphitheater Bosra; Foto:Fotolia/waj
Prachtvolles Weltkulturerbe: Genau wie das Assad-Regime scheuen die Rebellen keine Mühe, sich als Bewahrer des syrischen Kulturerbes zu inszenieren. Das zeigt das südlich von Suwaida gelegene Bosra, das ebenfalls für ihre archäologischen Schätze – darunter ein sehr gut erhaltenes römisches Theater – berühmt ist.

Solche Behauptungen bringen die Kulturbeamten in Suwaida in Erklärungsnot. Gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur "Sana" versicherte der Leiter des städtischen Denkmalschutzamts Hussein Zain al-Din zwar, dass die wichtigsten Exponate des Museums inzwischen sicher verwahrt seien. Sein Statement ließ aber die Skepsis bei den Bewohnern Suwaidas nur noch weiter wachsen.

Rückzug nach Damaskus?

Auch sie deuten die schon länger andauernden und offensichtlich kaum zu verheimlichenden Maßnahmen zur Sicherung der mehr als 2.000 Museumsstücke als Indiz, dass Damaskus schon bald zum Rückzug blasen und sie im Stich lassen werde. Diesen Eindruck festigte kurze Zeit später noch Museumsdirektor Naschat Kiwan, der in einem Interview mit einem lokalen TV-Sender nach mehrmaligem Nachhaken der Moderatorin schließlich zugab, dass einige der Exponate aus Sicherheitsgründen nach Damaskus geschafft würden – Kiwan bestand aber darauf, dass es sich bei den Vorgängen in seinem Haus lediglich um "Umbauarbeiten" handele.

Diese Darstellung vermochte indes jenen Flügel der lokalen Drusengemeinde nicht zu überzeugen, der auf die Beistandsbekundungen des Assad-Regimes ohnehin nicht mehr viel gibt. Angeführt wird er von Scheich Wahid Balus, der schon einmal wegen des Aufrufs zur Wiederbewaffnung der Drusen – Damaskus hatte eine solche all die Jahre systematisch verhindert – von Assad-treuen Glaubensgenossen mit einem religiösen Bann belegt wurde.

Die Evakuierung der Museumsbestände wie auch die Räumung des Depots der zentralen Provinzbank durch die Regierung hat Balus scharf verurteilt. Auffälligerweise überschneidet sich hier seine Rhetorik mit jener der Aufständischen. Wie Letztere behauptet nun auch der Drusenführer, dass die Ausstellungsstücke in Wirklichkeit nicht nach Damaskus, sondern in die nordsyrische Küstenstadt Latakia, eine Hochburg der Alawiten, transferiert würden.

Inszenierung als Bewahrer des syrischen Kulturerbes

Die Rebellen scheuen ihrerseits keine Mühe, sich als die eigentlichen Bewahrer des syrischen Kulturerbes zu inszenieren. Das zeigt etwa das Beispiel der nur rund 30 Kilometer südlich von Suwaida gelegenen Stadt Bosra, die ebenfalls für ihre archäologischen Schätze – darunter ein sehr gut erhaltenes römisches Theater – berühmt ist.

Kaum war der Ort von einer Rebellenkoalition, in der die islamistische Nusra-Front allerdings nur bedingt das Sagen hat, im März erobert worden, machte man sich daran, die antiken Ruinen der Stadt zu säubern und die Aktion fürs Internet zu filmen. Die Urheberschaft für die Initiative beanspruchten indessen sowohl die syrische Antikenbehörde als auch das lokale Denkmalschutzamt.

Dessen noch für Damaskus arbeitender Leiter war allerdings zu dem Zeitpunkt schon längst aus der Stadt geflohen. Sein von den Aufständischen eingesetzter Nachfolger ist vor allem damit beschäftigt, lange Listen der angeblich unter seinem Vorgänger begangenen Antikendiebstähle zu erstellen – wie auch von Schäden am lokalen Kulturerbe, welche die Regierungstruppen angerichtet haben sollen.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2015