Folter im 24-Stunden-Takt

Mehr als 215.000 Syrer leiden in den Gefängnissen des syrischen Regimes. Aber trotz UN-Resolution interessiert sich offenbar kaum jemand für ihr Schicksal. Es sei denn, einer der Opfer erhält einen Preis. So zum Beispiel der Journalist und Rechtsanwalt Mazen Darwish, der kürzlich mit dem Preis für Pressefreiheit der UNESCO ausgezeichnet wurde. Von Kristin Helberg

Von Kristin Helberg

Mazen Darwish ist ein zurückhaltender Mann, seine Stimme leise, die Gesten vorsichtig. Nur die Zigaretten zündete er sich mit großer Sicherheit an, eine nach der anderen, bis der Qualm in den beiden Kellerräumen seines Medienzentrums den Blick trübte.

Wer zu ihm wollte, musste wissen wohin, denn an dem unauffälligen Wohnblock in einer ruhigen Seitenstraße von Damaskus deutete nichts auf das von ihm gegründete "Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit" hin. Jahrelang beschäftigte sich der Rechtsanwalt dort mit Syriens Medienlandschaft, verfasste Studien, organisierte Weiterbildungen und dokumentierte die Übergriffe des Regimes.

Wie fast alle syrischen Nichtregierungsorganisationen arbeitete das Medienzentrum ohne offizielle Genehmigung. Eine ständige Gratwanderung, erklärte Darwish im Jahr 2009. Denn die Geheimdienste fürchteten nicht das, was tatsächlich passiert, sondern das freie Denken, so der Journalist. "Sobald sie spüren, dass es eine andere, unabhängige Meinung gibt, die nicht der offiziellen Lesart entspricht, werden sie nervös", sagte Darwish damals. "Die Idee der Freiheit macht ihnen Angst."

Erstickter Ruf nach Freiheit

Es sind deshalb Menschen wie Mazen Darwish – Rechtsanwälte, Journalisten, Aktivisten – die das Regime verfolgt. Erst Recht, als im Frühjahr 2011 die Revolution ausbricht und aus der Idee der Freiheit der hunderttausendfache Ruf nach Freiheit wird. Ein knappes Jahr später, im Februar 2012, durchsucht der Geheimdienst die beiden Kellerräume des Medienzentrums und verhaftet Darwish und mehrere Kollegen.

Im Februar 2013 werden Darwish und zwei seiner Mitarbeiter, Hussein Ghareer und Hani Al-Zitani, wegen "Unterstützung terroristischer Handlungen" angeklagt – im schlimmsten Fall droht ihnen die Todesstrafe. Der Prozess wird jedoch immer wieder verschoben und Darwish Anfang 2015 aus dem Zentralgefängnis Adra in Damaskus in eine Haftanstalt nahe Homs verlegt. Dabei hatte der 40-jährige Familienvater noch Glück – seine Angehörigen wissen, wo er ist, und mehrere internationale Organisationen setzen sich für ihn ein.

Die meisten Gefangenen des Assad-Regimes sind dagegen sogenannte "Verschwundene" – Menschen, die an Checkpoints, Grenzübergängen oder bei Hausdurchsuchungen verhaftet werden und über deren Schicksal nichts bekannt ist, sagt der syrische Rechtsanwalt Z. Er schätzt ihre Zahl auf 150.000.

Der syrische Journalist Mazen Darwish. Foto: Mazen Darwish
„Sobald sie spüren, dass es eine andere, unabhängige Meinung gibt, die nicht der offiziellen Lesart entspricht, werden sie nervös“, zitiert Helberg Darwish, der im Februar 2013 vom Assad-Regime inhaftiert wurde. „Die Idee der Freiheit macht ihnen Angst.“

Vor der Revolution verteidigte Z. jahrelang politische Gefangene, inzwischen hat er das Land verlassen, möchte aber aus Angst um seine Verwandten in Damaskus anonym bleiben. "Früher wurde jemand verhaftet und wir wussten, er kommt irgendwann zurück", erinnert sich Z. Heute bedeute eine Verhaftung dagegen den Tod, so der Jurist.

In den Folterverließen des Regimes

Mindestens 215.000 Syrer sitzen in den Gefängnissen des Assad-Regimes. Diese Zahl nennt das "Syrische Netzwerk für Menschenrechte" (SNHR), eine unabhängige und professionelle Nichtregierungsorganisation, deren Daten auch die UN verwenden. Besonders schlimm seien die Haftbedingungen in den unterirdischen Folterzentren der verschiedenen Geheimdienste, zu denen niemand Zugang habe, sagt Anwalt Z.

Mit mehreren Kollegen dokumentiert er seit Jahren die Zustände in Syriens Gefängnissen. "In vier mal vier Meter großen Zellen sind etwa 100 Gefangene zusammengepfercht. Sie können weder hocken noch sitzen, sondern müssen zum Teil wochenlang stehen. Wer Glück hat, kann sich mit dem Rücken an die Wand lehnen", erzählt Z. Die Gefangenen seien psychisch und körperlich am Ende, manche würden zusammenbrechen, andere durchdrehen, so der Rechtsanwalt. "Es gibt Häftlinge, die ihren Kopf so lange gegen die Wand schlagen bis sie tot sind."

Ein besonders berüchtigtes Folterzentrum in Damaskus ist das Flughafengefängnis Mezze. Dort verbrachte Orwa, ein Journalistikstudent, im Frühsommer 2011 mehrere Wochen. Er hatte die Demonstrationen und die Schüsse der Armee gefilmt und war im Mai 2011 mit 62 Videos auf seinem Computer verhaftet worden.

"Sie wollten wissen, warum ich die Proteste filme, wer dahinter steckt, wer mich finanziert – die üblichen Fragen", erinnert sich der junge Mann. "Dann behaupteten sie, ich sei ein Spion des Westens." Orwa wurde wegen "Kampf gegen die Verfassung mit militärischen Mitteln" angeklagt, kam aber angesichts der überfüllten Gefängnisse auf Bewährung frei. Der damals 25-Jährige tauchte unter und floh in die libanesische Hauptstadt Beirut.

"Köpfen ist gnädiger"

Den Alltag im Flughafengefängnis Mezze beschreibt Orwa als eine einzige Strafe. "Es war eng, wir bekamen kaum etwas zu Essen und wer auf die Toilette musste, wurde geschlagen." Am unerträglichsten aber seien die andauernden Foltergeräusche gewesen, die sie 24 Stunden lang gehört hätten, sagt der Student. "Das hat uns fertig gemacht. Das war noch schlimmer als die Folter am eigenen Leib – die Stromschläge, die Schläge mit dem Lederriemen oder das Bewusstlos-Prügeln."

Gefängnis in Aleppo; Foto: AFP/ Getty Images
Die Geräusche der Gefolterten: Der ehemalige Häftling Orwa beschreibt die Zustände im Flughafengefängnis Mezze als unerträglich. Platz- und Ernährungsmangel gehören dort zur Normalität; genauso, wie die Foltergeräusche, die sie unaufhörlich in der Zelle hören konnten.

Im Durchschnitt sterben jeden Tag sieben Syrer unter der systematischen Folter des Assad-Regimes. 11.427 solcher Fälle hat das "Syrische Netzwerk für Menschenrechte" in den vergangenen vier Jahren dokumentiert. Dabei ist Folter nur eine von mehreren Todesursachen in den Gefängnissen. "Die meisten Gefangenen sterben, weil sie keine medizinische Behandlung bekommen", erklärt Menschenrechtsanwalt Z.

An Durchfall und dem damit verbundenen Flüssigkeitsverlust, an einer Grippe, die zur Lungenentzündung wird, an Asthma oder Herzproblemen. Oder an einer kleinen Verletzung, die sich zu einem Wundbrand entzündet. Es gebe nicht mal eine Tablette Paracetamol, sagt Z. Wenn ein kranker Häftling an die Tür klopfe, sei die Antwort: "Sagt uns Bescheid, wenn er gestorben ist, dann holen wir ihn".

Über die Toten scheint das Assad-Regime genau Buch zu führen. Die 11.000 Leichen, die der Militärfotograf mit Codenamen "Cäsar" im Auftrag des Regimes fotografierte, tragen alle Nummern. Ausgemergelte Körper, von Folter gezeichnet.

Die außer Landes geschmuggelten Fotos wurden von internationalen Experten für echt befunden und kürzlich im UN-Hauptquartier in New York gezeigt. Inzwischen sind sie im Internet zugänglich für Syrer, die nach Angehörigen suchen und mit Hilfe der Fotos zumindest Gewissheit bekommen. Außerdem könnten die Aufnahmen im Falle einer Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof als Beweismaterial dienen.

Einen solchen Prozess gegen Assad und seine Führungsriege fordert auch Rechtsanwalt Z., der vor dem Krieg selbst mehrere Jahre im Gefängnis saß. "Vom IS geköpft zu werden, ist ein gnädigerer Tod als monatelang vor sich hinzusterben", meint der Jurist. Die Gefangenen sehnten sich jeden Tag nach dem Tod – um nicht mehr leiden zu müssen und diesem Grauen zu entkommen, das kein Mensch ertrage.

Kristin Helberg

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